Hallo,
Am 1.10.2009 ist mein Vater (68a) seinem Krebsleiden erlegen. Im Juli 2007 wurde der Blasenkrebs in bereits weit fortgeschrittenem Stadium festgestellt und seit damals kämpfte mein Vater mit einer Zuversicht und Kraft, die ich noch nie an einem anderen Menschen erlebt habe. Er überstand 2 schwere OPs gut und kämpfte sich durch 2 Chemozyklen, die ihm extrem zusetzten und auch die Metastasen leider nicht aufhielten. Im August 2009 fingen dann diverse Infektionen an, denen sein Körper einfach nichts mehr entgegenzusetzen hatte und die Rettung mußte ihn mehrere Male ins Krankenhaus bringen, um die Infektionen zu bekämpfen. Am So, den 27.9. war es wieder mal soweit und ich holte die Rettung, um mit ihm ins Krankenhaus zu fahren (das war immer mein Job, weil meine Mutter, die ihm daheim pflegte das nervlich nicht schaffte). Am Mo, den 28.9. rief mich dann das Spital an, um sicherzustellen, ob wir eh ins Krankenhaus kommen, weil sich sein Zustand rapide verschlechtert hat und von da an blieben meine Mutter und ich auch über Nacht im Krankenhaus bis mein Vater am Do, den 1.10. um 5 Uhr früh starb.
Das waren definitiv die schwersten Stunden meines Lebens. Jeder Atemzug war ein Kampf, den sein schwacher Körper ausfocht udn das mitanzusehen hat mich total erschüttert. Seither kriege ich das Bild seines ausgemergelten Gesichts nicht mehr aus meinem Kopf. Als er seinen letzten Atemzug tat, schlief meine Mutter gerade und ich war bei ihm. Wie ich diesen Moment jemals "verarbeiten" soll, weiß ich nicht. Das Herz schlug mir bis zum Hals, ich war richtig erschrocken in dem Moment, als ich begriff, das er jetzt aufgehört hat zu atmen. Dieses "erschreckte Gefühl" werde ich seither nicht mehr los.
Einerseits bin ich dankbar dafür, dass wir bei ihm sein konnten, uns verabschieden konnten und ihn seine letzten Tage so angenehm wie möglich machen konnten, aber andererseits habe ich Angst, dass ich dieses Erlebnis nicht verkraften kann.
Ich fühle mich total aus der Bahn geworfen, kann nicht verstehen, dass das Alltagsleben einfach weitergeht. Es ist so unbeschreiblich entsetzlich, dass es für mich zur Zeit unvorstellbar ist, dass es jemals besser wird (auch wenn mein Verstand weiß, dass es so sein wird).
Mein Vater war erst 68 Jahre alt und immer ein extrem tatkräftiger und aktiver Mensch. Er kümmerte sich um alles, wußte immer Rat und half wo er konnte, egal ob es an Muskelkraft, Ideen oder Geld fehlte. Ich weiß, das klingt jetzt kitschig und verklärt; aber er war wirklich so.
Meine Mutter war immer Hausfrau und ist sehr unselbständig und braucht bei den vielen Terminen, die wir teilweise hinter uns und teilweise noch vor uns haben, extrem viel Beistand von mir. Alles, was mit Organisatorischen Dingen zusammenhängt, muß ich regeln, was normalerweise kein Problem für mich ist, aber diese Kraft geht mir aus und ich kann einfach nicht mehr.
Meine Mutter ist so unglaublich ruhig, ja fast gelassen. Meine Schwester hat ihre Trauer offenbar am 1.10. und beim Begräbnis (16.10.) erledigt und macht jetzt in Sachen Alltag weiter, als wäre nichts gewesen. Nur ich kann und will noch nicht zum Alltag übergehen, ich muß so oft weinen, mir fallen so viele Geschichten und Dinge von meinem Vater ein und ich kann so oft an ncihts anderes denken, als dass er mit unsäglich fehlen wird. Wir waren uns so ähnlich, haben viele gemeinsame Interessen gehabt, viel gemeinsam unternommen.
Wenn ich mit anderen Menschen darüber rede, kommen nur die üblichen Phrasen, die mich richtig wütend machen. Ganz besonders gefühllos finde ich diejenigen, die jetzt schon mit Aussagen, wie "Dein Leben geht weiter..." kommen. Es ist grade erst passiert und ich kann und will das jetzt noch nicht ad acta legen. Ich fühle mich einfach allein gelassen. Viele Freunde sind zwar betroffen, aber einfach sprachlos und daher auch keine Hilfe. Mien armer Ehemann, der mir ein gewaltiger Beistand war und ist, weiß auch nicht, was er mir sagen soll. Er ist einfach da, läßt mich weinen und nimmt mich in die Arme. Aber ihm gegenüber habe ich schon fast ein schlechtes Gewissen.
Wenn ich sehr alte Menschen auf der Straße sehe, ertappe ich mich dabei, dass ich wütend werde. Warum hat mein Vater schon gehen müssen? 68 Jahre ist heutzutage nicht alt! Er hatte noch so viele Pläne, wollte in der Pension noch so viel tun ...
Und was ist, wenn das Leben nach dem Tod genaus weitergeht, wie es kurz vor dem Tod war? Sprich: voller Schmerzen, körperlichen Beeinträchtigungen und Wut?
Mein Vater ging nicht in Frieden. Er war noch nicht so weit. Er glaubt fest daran, den Krebs besiegen zu können und war seit der Verschlechterung seines Zustandes (ca. April 2009) wütend und zornig. Er war noch weit davon entfernt, sein Schicksal anzunehmen, sein Leben abzuschließen und ruhig aus dieser Welt zu gehen. Er hat bis zum allerletzten Atemzug gekämpft und sich gewehrt. Und es war für mich nicht zu ertragen, ihm dabei zuschauen zu müssen.
Ich hadere zur Zeit selbst mit vielen Dingen. Ich weiß eigentlich auch nicht, was ich mir davon erwarte, meine Geschichte hier zu posten. Aber vielleicht hilft es, mir wenigstens alles von der Seele schreiben zu können.
Nora