Hallo!
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, deswegen schreibe ich jetzt die gesamte Geschichte auf.
Mein Exfreund M (ich möchte seinen Namen hier nicht nennen) und ich, wir waren während der Schulzeit zusammen, leider aber nur sehr kurz. Es war auch keine intensive Liebesbeziehung oder dergleichen, aber wichtig war es trotzdem. Dass wir uns getrennt haben, war aber nicht, weil wir uns nicht mehr verstanden hätten, sondern weil er ein sehr labiler Mensch war und große Probleme hatte (psychischer Natur). Damals war ich erst so 16 oder 17, hatte selbst mehr als genug Probleme und war mit seinem Zustand völlig überfordert. Ich wollte ihm helfen, aber ich konnte es einfach nicht. Natürlich habe ich ihm zugehört, war für ihn da, so lang es ging - aber irgendwann ging es nicht mehr. Die Beziehung habe schließlich ich beendet, wir hatten danach ab und an Streit. Aber nachdem wir in dieselbe Klasse gingen, blieben wir nach einer Weile streiten auch befreundet. Wir waren drei Jahre lang in einer Klasse und sind auch immer nebeneinander gesessen, haben die Pausen gemeinsam verbracht, manchmal auch an den Nachmittagen was getan (hatten beide durch die Schule sehr wenig Freizeit). Also habe ich mich eigentlich immer gut mit ihm verstanden; er war mir immer wichtig und hat mir immer etwas bedeutet, auch wenn es irgendwann wahrscheinlich keine Liebe mehr war.
Im Maturajahr - leider kann ich mich nicht mehr so gut erinnern, das ist jetzt schon 4 Jahre her - hat sich M dann von so ziemlich allen und allem zurückgezogen. Er wollte gar nicht zur Matura antreten, ich aber schon. Ein ehemaliger Klassenkollege hat mir das vor kurzem aus seiner Sicht so erzählt, weil ich gar nicht mehr wusste, warum ich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr mit M gesprochen habe. Und dieser Kollege/Freund hat mir gesagt, ich hätte mich damals zurecht einfach auf die Matura konzentriert, hatte keinen Kopf, keine Nerven, keine Zeit für M und seine Probleme. Und dass dieser auch nicht mehr in die Maturavorbereitungen und all sowas gegangen wäre. Sprich, der Kontakt ist eigentlich da schon abgebrochen, aber nicht weil wir uns gestritten haben, sondern weil M und ich uns irgendwie aus den Augen verloren haben.
Als ich damals gehört habe, dass er gar nicht maturieren "will", habe ich versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, ihm Mut zu machen, ihn aufzuheitern, ihm zu helfen. Das haben viele aus unserer alten Klasse versucht, aber er hat so gut wie keinem darauf geantwortet, auch mir nicht, er hat nicht reagiert (zu dem Zeitpunkt war er in der Schule gar nicht mehr anwesend). Es ist einfach alles aus dem Ruder gelaufen. Alles was ich über ihn erfahren habe, kam damals von Klassenkameraden und vieles waren nur Gerüchte, die mich irgendwie über Umwege erreicht haben.
Von Freunden weiß ich, dass M schließlich doch angetreten ist. Er hat nur ein Fach nicht geschafft. Am Tag der Maturafeier, als die Zeugnisse übergeben wurden, habe ich ihn sogar noch gesehen, mein Bruder hat kurz mit ihm gesprochen, meine Eltern auch. Ich aber nicht! Warum weiß ich nicht, ich habe mich damals - glaube ich - einfach nicht "getraut", wusste nicht wie damit umgehen, was ihm sagen. Böse war ich nie auf ihn. Wahrscheinlich dachte ich, er wäre böse auf mich, weil ich mich nicht noch mehr um ihn gekümmert habe.
Da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen.
Ich habe dann zu studieren begonnen und habe bestimmt ein halbes Jahr lang nicht mehr an M gedacht. Es war eben alles neu.
Nach einer Weile habe ich versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Seine Nummer hatte ich nicht mehr, also habe ich ihm gemailt. Im Lauf der Zeit habe ich ihm vielleicht vier lange Mails geschrieben, mich entschuldigt, gefragt wie es ihm geht, um Kontaktaufnahme gebeten. Ich habe ihm alles geschrieben, auch, dass ich nicht weiß, warum wir am Ende der Schulzeit nicht mehr miteinadner gesprochen haben, und dass es mir leid tut und ob wir bitte darüber sprechen können.
Er hat nie geantwortet. Dann habe ich es über einen Freund von M versucht, der mir gesagt hat, er macht gerade Zivildienst in einem Kindergarten und das würde M auch Spaß machen (dass er gern mit Kindern arbeitet, das wusste ich ja). Eigentlich hat mich das beruhigt, weil ich mir dann gedacht habe "also hat ers doch geschafft und macht jetzt etwas, das ihm gefällt."
Ich habe auch danach noch versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Als darauf nichts zurückkam, habe ich schließlich aufgegeben, bzw. akzeptiert, dass er offensichtlich keinen Kontakt wollte. Zumindest habe ich ihm nicht mehr geschrieben, aber trotz allem gehofft, ihn wieder zu sehen, ihm zufällig in der Stadt zu begegnen. Mich hat das nie losgelassen, und ich habe auch oft noch von ihm geträumt. Aber nach einiger Zeit habe ich die Kontaktaufnahmen eben ganz sein lassen und nur noch ein bisschen "im Hinterkopf" auf eine Aussprache gehofft.
Vor einer Weile hat mich ein gemeinsamer Klassenkollege, mit dem M und ich viel zu tun hatten, kontaktiert. Nicht wegen M direkt, sondern "einfach so", um zu reden und zu plaudern. Wie damals. Ich hatte in der Zwischenzeit auch ein paar Probleme, Stress auf der Uni etc., mir ist es in vielen Punkten nicht gut gegangen, und habe mich dann entschlossen, mich mit ihm zu treffen, weil ich ehrlich gesagt mit jemandem "von früher" reden wollte. Diesen Klassenkameraden habe ich auch per Mail nach M gefragt, er hat mir zurückgeschrieben, er hätte auch keinen Kontakt mehr mit ihm, aber das wäre eine lange Geschichte, und er würde mir das bei unserem Treffen erzählen.
Das Treffen fand dann am letzten Samstag statt. Wir haben ein bisschen geredet, über alles mögliche, es war ein sehr schönes und gutes Gespräch, in dem es nicht gezielt um M ging. Aber dann hat er sich bei mir entschuldigt, weil er mir per Mail nicht die ganze Wahrheit über meinen Exfreund gesagt hätte, weil er mir es persönlich sagen wollte. Er hat gesagt, er hätte furchtbare Angst vor dem, was er mir erzählen muss.
Ich dachte bis zuletzt nicht, dass es dann die Nachricht von Ms Tod sein würde.
M ist schon im letzten August gestorben. Über das Internet habe ich dann gestern herausgefunden, dass er im Oktober bestattet wurde. Von dem allem habe ich viel zu spät erfahren, und hatte überhaupt keine Ahnung. Mein Klassenkollege meinte, er wäre selbst auch nur einem Gerücht nachgegangen, hätte sich überall erkundigt, und schließlich vom Pfarrer in der Gemeinde, in der M recht lange ministriert hat, die traurige Bestätigung erhalten. Angeblich war es kein Selbstmord, sondern ein unglücklicher Zufall. Angeblich. Ich weiß es nicht. Es spielt wohl auch keine Rolle mehr.
Seit Samstag bin ich unendlich traurig. Unter Tags geht es mittlerweile, wenn auch nicht gut, aber am Abend, wenn ich allein bin, wirft es mich regelmäßig aus der Bahn. Meine Trauer ist grenzenlos und mir tut alles so unendlich weh.
Ständig denke ich, dass ich nicht so egoistisch sein soll und darf, weil es MIR schlecht geht. Ich werfe hier auch niemandem vor, dass Trauer Egoismus bedeutet und Selbstmitleid. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich gerade fast ausschließlich an mich selsbt denken kann. Selbst in diesem Beitrag steht dauernd nur "Ich, Ich, Ich". Kann das richtig sein? Darf ich an mich selbst denken? Außerdem will ich mich nicht in die Trauer "hineinsteigern". Tue ich das?
Ich weiß auch, dass ich meine Gefühle jetzt nicht ändern kann und dass es eine "normale" Reaktion von mir ist, um M zu trauern. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich überhaupt das Recht dazu habe, zu trauern. Wir hatten ja keinen Kontakt mehr. Ist das wichtig?
Ich bin nicht nur traurig "wegen mir", sondern auch wegen ihm. Weil ich ihm ein besseres Leben gewünscht habe. Weil ich von seinen Problemen mit seiner Familie wusste, weil ich ihm gewünscht habe, dass sich das ändert. Weil ich wollte, dass er glücklich ist. Und weil zwischen uns tausende Dinge offen geblieben sind, und überhaupt nichts abgeschlossen war.
Mein Kopf ist voller wirrer Gedanken, alles dreht sich im Kreis. Ich habe tausende Fragen, Gefühle, Gedanken. Normalerweise kann ich strukturieren und sortieren, wenn ich etwas aufschreibe oder nachdenke, aber seit Samstag verliere ich mich in Details. In immer neuen Gedankengängen, aber ich finde keine Lösung, keinen Trost, überhaupt nichts.
Was soll ich tun? Wie soll ich trauern? Wird das immer so wehtun oder hört es irgendwann auf? Soll ich die Gefühle, die da kommen, immer zulassen, oder sie wegschieben? Mich zusammenreißen? Meine Familie will ich auch nicht belasten, will nicht "wehleidig" sein, oder dramatisieren. Ich will niemandem damit auf die Nerven gehen.
Momentan versuche ich, seine Grabstätte zu finden, damit ich "zu ihm" gehen kann, mich nachträglich verabschieden kann. Ist das eine gute Idee? Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll. Wie kann ich damit abschließen? Ist es normal, dass ich jetzt so viel an mich denke und an jedes kleine Detail, das M und ich früher je erlebt und gemacht haben.
Bitte kann mir jemand helfen?
Ich danke euch allen sehr herzlich fürs Lesen und eure Beiträge.
Liebe Grüße
Sarah