Liebe Silvia,
aus deinen Worten lese ich heraus, wie stark dich heute deine Trauer niederdrückt!
Das Lesen eines Todesberichts ist schmerzhaft Ich kenne das nur allzu gut. Noch viele Monate nach dem Tod meiner Mutter kamen immer wieder Rechnungen vom Krankenhaus, die ich dann bei der Krankenkasse einreichen musste; natürlich steht da alles haarklein aufgelistet, von der Spritze über die Medikation bis hin zum Todestag: Exitus letalis ... Das TUT WEH ...
Denn da steht schwarz auf weiß, ganz knallhart und ohne jeden Schnörkel, dass sie tot ist.
Was dir heute passiert ist, diese erneute Konfrontation, ist also nur ein Stein auf dem steinigen Weg irgendwann heraus aus der schlimmsten Trauer.
Gibt es denn wirklich nichts, was diesen Schmerz stillen kann?
Du verlangst von dir zu viel, liebe Silvia. Dein ganzes Leben ist durch den Tod deines Papas auf den Kopf gestellt, nichts ist mehr so wie zuvor. Sich an die neue Situation zu gewöhnen, benötigt unglaublich viel Zeit.
Die musst du dir, deinem Körper und deinem Geist gönnen.
Ich möchte dir ein kleines Beispiel geben:
Stell dir vor, du hättest irgendeine schlechte Angewohnheit, die du dir unbedingt abgewöhnen willst; du nimmst dir also vor, dich an deine selbst aufgestellten Regeln zu halten. Preisfrage: Schaffst du das ohne große Anstrengung, oder kostet es dich mehr Mühe, als du angenommen hattest? Ich denke mal, eher Letzteres.
Ich möchte damit sagen, dass alle Gewohnheiten, und dazu gehört auch, dass dein Vater ein Bestandteil deines Lebens war, Bahnen, also Vernetzungen (Gedächtnis!) in deinem Gehirn hinterlassen haben. Und diese Vernetzungen sind quasi wie einzementiert. So viele Dinge hast du alltäglich mit ihm geteilt, ob du nun regelmäßig mit ihm spazieren gegangen bist, oder jeden Morgen Kaffee mit ihm zusammen getrunken hast und, und, und ... das sind alles Datenbahnen, die nun ins Leere laufen.
Jetzt aber MUSST du ein anderes Leben leben, eines ohne deinen physisch präsenten Vater.
Vom Verstand (Gehirn) her weißt du, dass er tot ist, dein Gedächtnis aber weigert sich, dies als Realität zu akzeptieren, weil es an anderes gewöhnt war. Dieser Prozess nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Sehr viel Zeit. Außerdem hast du dich ja nicht aus freien Stücken entschlossen, ein Leben ohne deinen Papa zu führen, diese Situation ist dir aufgezwungen worden!
Glaube mir, dein Gehirn muss jetzt Schwerstarbeit leisten! Wir Trauernden müssen lernen, alte Gewohnheiten abzulegen und uns neue zulegen, damit wir irgendwann ein zumindest erträgliches (neues) Leben führen können,
Sei geduldig mit dir. Ich weiß, das ist schrecklich schwer
Mir hat immer geholfen, die winzig kleinen Momente, in denen ich mich eine Spur besser gefühlt habe, ganz bewusst zu genießen, damit sich mein Körper erholen konnte. Ich habe mich dann auch immer selbst gelobt, dass ich imstande war, mich besser zu fühlen und nicht immer nur schlecht. Ich habe es als Fortschritt gewertet.
Dein kleiner Hoffnungsschimmer, den du , wenn auch nur kurz, gehabt hast, zeigt, dass es einen Weg heraus aus der schwärzesten Trauer gibt