Beiträge von Silvia S.

    Die Nächte wieder so klar wie vor einem Jahr. Der Frühling zeigt sich in seiner ganzen Pracht und in mir sieht es leer und dunkel aus. Im Geiste wiederholen sich alle Szenen noch einmal, die vor und nach dem Tod meines Vaters passiert sind. Und es ist schwer. So eine grosse Last im Moment. Meine Augen brennen vom Weinen und auch vom Nicht-Weinen.


    Nicht nur, dass ich meinen Vater nicht mehr habe; meine ganze Haltung zum Leben hat sich verändert. Seit mir dieser plötzliche, völlig unerwartete Tod brutal ins Bewusstsein gebrannt hat, dass unser Leben sehr fragil ist und sich alles innert Sekunden verändern kann, beschäftige ich mich gedanklich oft intensiv mit dem Tod. Mit meinem eigenen Tod, der irgendwann kommen wird. Mit dem Tod meiner Mutter, der irgendwann unwiderruflich kommen wird. Wir alle werden sterben. Und damit komme ich manchmal gar nicht gut klar. Vorher war alles, was mit Tod und Sterben zu tun hatte, für mich abstrakt und weit weg. Nie habe ich so bewusst daran gedacht, dass auch ich sterben muss. Meine Eltern. Meine Familie. Irgendwann sind wir alle nicht mehr da. Mir fehlt diese Unbeschwertheit von früher. Ich sage mir immer wieder, dass ich jetzt umso mehr den Moment und die Zeit, die ich jetzt habe, wertschätzen sollte; jetzt, da ich weiss, wie fragil alles ist. Aber es gelingt mir nicht.


    Gerade lastet das alles wieder schwer auf mir. Und doch habe ich auch irgendwo in einem versteckten Winkel meines Gehirns die Gewissheit, dass es wieder besser wird. So wie es die letzten Male auch wieder ein wenig leichter wurde, irgendwann.

    Ihr Lieben


    Lange habe ich nicht mehr geschrieben. Aber heute möchte ich es so gerne. Ich möchte auf diese Weise ganz fest an meinen Vater denken, der vor einem Jahr, am 30.3.2020, gestorben ist. Heute ist sein erster Todestag. Und ich habe eine Kerze für ihn angezündet. Und das erste Mal seit langer Zeit kann ich mal wieder weinen. Ich habe mich ein wenig daran gewöhnt, dass er nicht mehr da ist. Und trotzdem flammt die Trauer immer wieder unvermittelt auf. Gerade an Tagen wie diesen, die so wunderschön mild, sonnig und klar sind. Denn genau so waren auch die Tage, nachdem mein Vater so unerwartet gestorben ist. Alles schien unwirklich und surreal. Wie kann er einfach weg sein? Eben war er doch noch da. Bei uns, am Tisch, im Garten.


    Gestern habe ich über unserem Haus einen Milan seine Kreise ziehen sehen. Er war nicht so hoch oben im Himmel wie sonst die Greifvögel. Er kreiste einige Minuten lang ruhig über meiner Tochter und mir. Und ich habe die ganze Zeit hoch geschaut und mir vorgestellt, dass mein Vater auf diese Weise Verbindung mit uns aufnehmen und uns zeigen wollte, dass er an einem guten Ort ist, dass es ihm gut geht und dass er uns weiterhin begleitet.


    Zu Weihnachten habe ich meiner Mutter einen Kalender geschenkt mit Fotos von meinem Vater, für jeden Monat eines. Diesen Kalender zu machen, hat mich viel Kraft gekostet. Es war so schwer, all diese Erinnerungen wieder so präsent vor Augen zu haben und damit umgehen zu müssen, dass keine neuen Erinnerungen hinzukommen. Aber es hat auch gut getan. So bleibt er auch lebendig. Und das möchte ich. Ich möchte ihn nicht vergessen. Niemals.

    Liebe Isabel


    Meine Tochter hat meinen Schwiegervater nur selten gesehen. Und sie hat ihn leider nur noch als kranken Mann im Rollstuhl erlebt.


    Mein Partner hat in all den Jahren, als sein Vater so krank war, schon oft mit seinem Tod rechnen müssen. Für ihn war es schwierig, ihn so hilflos und pflegebedürftig sehen zu müssen. Und so kann er den Tod seines Vaters als Erlösung sehen und glaubt fest daran, dass es ihm jetzt besser geht und er an einem besseren Ort ist, mit einem neuen Körper. Er ist nach dem ersten Schock und dem Weinen bis jetzt sehr gefasst. Was mir fast ein wenig unheimlich ist... Aber so verarbeitet eben jeder die Trauer um einen geliebten Menschen anders.

    Liebe Stella


    Auch bei mir hat sich die Trauer verändert, Ich kann sehr gut verstehen, was du meinst. Mir geht es auch so. Im Moment bin ich aber wohl gerade wieder von einer Trauerwelle erfasst. Viele Bilder, viele Gedanken, und auch das Hadern und das Nicht-Akzeptieren-Können, dass mein lieber Papa einfach für immer weg ist. Es ist nicht mehr in der gleichen Intensität wie in der ersten Zeit. Ich glaube, so etwas kann man nicht noch einmal durchstehen. Im Rückblick ist es mir ein Rätsel, wie ich trotz dieser allumfassenden Trauer weitermachen konnte. Ich weiss nicht mehr, wie das ging. Irgendwie, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Mit sehr viel Weinen und sehr viel Schreiben.


    Ich wünsche auch dir von Herzen viel Kraft und dass bald wieder liebe Menschen in dein Leben kommen.

    Liebe Linchen, liebe Kikiro


    Ich danke euch für eure lieben Worte und die Umarmung und für das Mitgefühl.


    Das traurigste Jahr meines Lebens. 2020. Noch vor einem Jahr war alles gut. Mein Vater hatte im November 2019 eine Darmoperation und alles verlief sehr gut. Die Erinnerung, wie ich ihn mit meiner Mutter und meiner Tochter damals besucht hatte, ist sehr lebendig. Es war so ein schöner, harmonischer Besuch. Wie hätte ich ahnen können, dass ein Jahr später alles anders ist? Mein Vater ist schon 7 Monate tot. Mein Schwiegervater gerade mal 4 Tage. Mein Partner und ich haben uns vorgestellt, wie unsere beiden Väter sich im Jenseits treffen. Ein tröstlicher, schöner Gedanke, der uns beide ein wenig zum Lächeln gebracht hat.


    Heute morgen war ein Gedenkgottesdienst für alle Verstorbenen des Jahres 2020. Jetzt hat Allerheiligen eine Bedeutung für mich. Es tut gut, in dieser Weise an die lieben Menschen zu denken, die nicht mehr da sind. Aber es ist auch schwer. Von all den Worten, die gesprochen wurden, ist mir nur ein Gedanke im Gedächtnis geblieben: Sie (die Verstorbenen) sind uns voraus gegangen. Ja, das hoffe ich so sehr.

    Guten Abend ihr Lieben


    Eine lange Schreibpause habe ich hinter mir. Heute Abend hatte ich den Impuls, mich hier im Forum anzumelden und sogar zu schreiben. Viel Energie habe ich nicht. Und die Trauer ist gerade zurück.


    Am Mittwochabend ist mein Schwiegervater gestorben. Nach langer, schwerer Krankheit, und doch dann sehr plötzlich. Wir hatten noch kurz telefoniert (Video), da meine Schwiegermutter wohl gespürt hat, dass etwas nicht stimmt. Es tröstet mich, dass er seine einzige Enkeltochter kurz vor seinem Tod noch sehen konnte. Ich trauere um ihn und bin erschüttert, dass meine Tochter im gleichen Jahr gleich ihre beiden Grossväter verloren hat. Und beide in einer Zeit, in der das Abschiednehmen so schwierig ist wegen all der Corona-Massnahmen. Es ist nicht einmal klar, ob ich nach Deutschland ausreisen kann für die Beerdigung.


    Und morgen ist Allerheiligen. Der Tod meines Vaters ist wieder präsent wie nie. Auch die Umstände seines Todes, seine letzten Tage, all die Bilder, die Gefühle von damals - alles wieder da.


    Silvia

    Ihr Lieben


    Ich habe heute realisiert, dass ich nicht mehr automatisch weiss, wieviele Wochen und Tage seit dem Tod meines Vaters vergangen sind. Ich habe dann nachgezählt: 24 Wochen und 3 Tage. Fast ein halbes Jahr. Ich kann nicht genau eruieren, seit wann ich nicht mehr mitzähle. Und ich fühle mich ein wenig schuldig, als ob ich nicht mehr genug an meinen lieben Vater denken würde. Aber gleichzeitig weiss ich, dass es nicht stimmt, denn ich denke immer noch sehr, sehr oft an ihn. Und das Vermissen ist noch immer sehr heftig. Aber es drückt mich nicht mehr so nieder. Ich habe auch unterdessen mehr Vertrauen, dass es ihn noch gibt, dass seine Seele noch da ist und auf mich aufpasst. Und das tröstet mich sehr.


    Heute hatte ich auch das allererste Mal wieder das Gefühl, echtes Glück zu verspüren, am Leben zu sein. Ich war mit meiner Tochter draussen im kleinen Park neben unserem Haus. Sie hat geschaukelt, und ich bin locker von Baum zu Baum gejoggt, ich hatte das Bedürfnis, mich zu bewegen. Und während ich so gelaufen bin, habe ich den warmen Wind gespürt und die Sonne, habe tief eingeatmet und mich einfach dankbar gefühlt, hier sein zu dürfen; an diesem schönen Platz, mit meiner Tochter, an diesem wunderschönen Tag. Das hat mir so gut getan.


    Das hätte ich noch vor ein paar wenigen Wochen nicht für möglich gehalten. Ich wollte dies schreiben als Hoffnungsschimmer für alle, die sich einfach nicht vorstellen können, jemals wieder Freude empfinden zu können oder Glück. Es braucht Zeit, viel Zeit. Aber es wird wirklich leichter, schleichend. Am Anfang unmerklich. In winzigsten Schrittchen. Aber ich weiss, dass man es einfach nicht glauben kann, wenn man so tief in dieser allumfassenden Trauer steckt. Ich habe es bei anderen auch gelesen, wollte es auch glauben, aber konnte es in den Momenten nicht. Jetzt erfahre ich es selber. Und bin sehr dankbar dafür.


    Bestimmt kommen auch wieder traurigere Zeiten. Wenn der Winter kommt und Advent und Weihnachten und Sylvester. Darauf muss ich gefasst sein.


    Alles Liebe von mir.

    Liebe Linchen


    Vielen Dank für deinen Beistand und für die Umarmung. Ja, ich empfinde es auch als rücksichtslos, gedankenlos. Das Grab ist doch oft noch das letzte Greifbare, das wir von unseren lieben Verstorbenen haben. In der Anfangszeit war ich jeden Tag auf dem Grab und habe etwas mitgebracht, auch kleine, leichte Dinge wie Federn oder Tannzapfen. Das ist alles weg. Und das schmerzt mich schon.

    Ich habe es auch heute nicht geschafft, das Grab zu besuchen. Ich habe Angst, dass mich der Anblick dann wieder zurückkatapultiert in die Tage nach der Beerdigung. Meine Mutter war aber da und hat sich schon ein bisschen versöhnt mit der neuen Situation, sie hat sich sogar schon Gedanken gemacht, welche neuen Blumen sie kaufen möchte und wie sie diese dann arrangieren könnte. Das beruhigt mich.


    Alles Liebe von mir

    Silvia

    Ihr Lieben


    Ich danke euch sehr für eure Gedanken. Ich war gestern in einer seltsamen Stimmung und hatte das Gefühl, nicht die richtigen Worte finden zu können für meinen Zustand. Kerstin, du hast es gut getroffen:

    Man fühlt sich nicht richtig schlecht, aber auch nicht wirklich okay.

    Ja, genau. Alles irgendwie verschwommen, nicht klar. Wie im Nebel, was meine Gefühle anbelangt. Nur eben diese Angst vor einem erneuten Verlust, die ist bei mir im Moment sehr greifbar. Diese unglaublich tiefe Trauer der ersten Wochen, die einfach alles ausgefüllt hat, jede einzelne Sekunde, jeden Gedanken, ohne Pause, die war stark und intensiv; da wusste ich, woran ich bin, so schmerzhaft es war. Aber wenigstens empfand ich nicht dieses Schwammige. Jetzt stecke ich irgendwo und irgendwie fest und weiss nicht mehr richtig, wo ich stehe und wie ich mich fühle.


    Bei uns auf dem Friedhof ist gestern ein neues Grab ausgehoben worden, und zwar ist es das erste, seit mein Vater gestorben ist. Alle anderen haben Urnengräber, Erdbestattungen sind selten geworden. Meine Mutter kam gestern ganz verstört vom Friedhof. Das ganz Grab sah aus wie geplündert, alle Blumenschalen weg, all die Steine, Kristalle und sonstigen Gegenstände, die wir aufgelegt hatten, sogar das Kreuz mit seinem Namen drauf, alles war verschoben worden. Der Anblick des nackten Grabes und der abgedeckten Grube daneben, ausserdem der Geruch der nassen Erde, das war fast zuviel für sie. Auch mich hat das in der Nacht verfolgt. Es kommt mir pietätlos vor, ohne Vorwarnung einfach alles wegzuräumen, obwohl es wohl nötig war, damit das Grab daneben ausgehoben werden konnte. Heute wurde dann alles wieder zurück gestellt, aber das Grab ist nun verkürzt und natürlich nichts ist mehr so liebevoll arrangiert wie vorher. Ich hab es nicht geschafft hinzugehen. Wir hatten so ein schönes Grab, haben Blumen angesäht, Federn, farbige Steine, Rindenstücke draufgelegt, kleine Vasen mit immer frischen Blumen standen da. Mir ist es wichtig, dass der Körper von meinem lieben Papa eine schöne, friedliche letzte Ruhestätte hat, und die hatte er auch. Aber jetzt? Als ob jemand seine letzte Ruhe gestört hätte. Wir wollen die nächsten Tag zusammen alles wieder schön gestalten. Aber es ist halt nicht mehr das gleiche. Die Gestaltung des Grabs ist quasi gewachsen über die Wochen und Monate und es war für mich immer ein Ort der Ruhe und der Verbundenheit mit meinem Vater. Ich hoffe sehr, dass es das wieder wird.

    Ausserdem lebe ich momentan in einer seltsamen Unsicherheit. Der Tod von meinem lieben Papa hat mein Urvertrauen ins Leben zunichte gemacht, zumindest für den Moment. Ich bin oft in Sorge, dass mir liebe Menschen einfach wegsterben, dass ich selber bald sterben könnte. Jederzeit könnte etwas passieren. Durch den Tod meines Vaters habe ich soviel verloren, soviel Stabilität, soviel Liebe. Wo ist meine Zuflucht? Der Ort, an den ich immer gehen konnte, wenn es mir nicht gut ging? Meine Eltern waren dieser Ort, gemeinsam. Jetzt ist meine Mutter allein, selber traurig und ein wenig orientierungslos.

    Ihr Lieben


    Ich würde so gerne öfter schreiben, es tut mir gut und bringt mich auch mir selber und meinem lieben Papa näher. Ich merke im Moment, wie mich das Leben so mit sich zieht und ich kaum mehr Zeit für mich und meine Gefühle und eben das Schreiben finde. Wenn ich mir überlege, wie es mir geht, weiss ich es manchmal gar nicht richtig. Ich bin auf jeden Fall nicht mehr permanent so intensiv traurig, und doch begleiten mich die Gedanken an meinen verstorbenen Vater durch jede Stunde des Tages. Ich fühle mich ein bisschen wie in einer Zwischenwelt, noch halb gefangen in der Trauer, aber doch noch nicht richtig angekommen zurück im Leben. Ich vermisse meinen Vater noch genauso sehr wie seit der Stunde seines Todes.

    Liebe Stella


    Danke für deine lieben Worte. Ich freue mich für dich, dass der Schmerz auch bei dir manchmal ein wenig zurücktritt und dir ein wenig Luft lässt.


    Du hast es so gut auf den Punkt gebracht: Die Jahre der Unschuld und der Unbeschwertheit sind vorbei, auf einen Schlag. Ja. Wirklich. So unbeschwert und ahnungslos werde ich nie mehr sein können. Mein Papa ist nicht mehr hier. Meine Stütze, mein weiser Ratgeber. Er, der bei allen Problemen eine Lösung gefunden hat. Er, der kreativ und künstlerisch akitv war, den Kopf voller Ideen. Er ist einfach nicht mehr da. Und ich vermisse ihn jeden Tag. Jeden Tag seit er gestorben ist, ist mir jede Sekunde bewusst, dass ich nie mehr wiedersehe. Und doch ist immer noch dieses Gefühl der Unwirklichkeit da, das du auch beschrieben hast. Dass es doch nicht sein kann. Alles sehr widersprüchlich in mir drin...

    Lieber Daniel


    Von Herzen mein aufrichtiges Beileid zum Tod deiner geliebten Mama. Es tut mir sehr leid, dass du sie auf diese plötzliche Weise verlieren musstest und keine Möglichkeit mehr hattest, dich richtig von ihr zu verabschieden. Und so jung. Niemand rechnet damit, dass seine Eltern so früh sterben könnten. Man ist völlig ahnungslos und in keinster Weise auf den Tod vorbereitet. Der Schock ist enorm. Und es braucht viel Zeit, bis die Realität so richtig im Herzen ankommt. Deshalb hast du vielleicht auch das Gefühl, dass es immer schlimmer wird, da du immer mehr realisierst, was es bedeutet, ohne deine liebe Mama leben zu müssen. Ich habe heute vor genau 21 Wochen meinen über alles geliebten Papa verloren und bin auch jetzt noch immer wieder fassungslos darüber, dass ich nie mehr mit ihm reden kann, nie mehr in seine lieben Augen schauen oder ihn lächeln sehen kann. Dass ich ihn nie mehr sehen kann, wie er voller Konzentration und völlig in seine eigenen Gedanken versunken, am Computer seine Bilder bearbeitet. Und so vieles mehr.


    Ich kann so gut verstehen, wie es dir jetzt geht. 4 Wochen ist noch so frisch, da sind alle Bilder noch so lebendig und fast das gesamte Denken und Fühlen dreht sich um den geliebten Menschen, der nicht mehr da ist, nie mehr da sein wird. Ausserdem überschwemmen einen Erinnerungen, und vielleicht auch Schuldgefühle, so wie das bei mir der Fall ist. Auch jetzt noch. Obwohl mir sogar klar ist, dass mein Papa mir bestimmt schon längst verziehen hat. Und dennoch knabbere ich daran, dass ich die Zeit nicht besser genutzt habe, als er noch da war.


    Das einzige, was mich immer ein wenig getröstet hat und auch jetzt noch tröstet, ist das Wissen, dass mein Vater zwar tot ist, aber meine Liebe zu ihm nicht. Im Gegenteil, die ist lebendiger als je zuvor und in meinem Herzen geht die Beziehung und die Liebe zu ihm weiter. Und zwar für immer. Erst seit kurzer Zeit ist es mir auch möglich, die vielen Erinnerungen an ihn nicht nur als schmerzhaft und als nicht auszuhalten zu empfinden, sondern tatsächlich als kostbaren Schatz; denn sie sind das einzige, was ich noch von ihm habe.


    Mir hilft auch das Schreiben im Forum sehr. Hier kann ich schreiben, wie es mir wirklich geht und wie schwer das alles ist. Hier ist immer jemand, der mich versteht. Und das tut gut. Und das Schreiben erleichtert einfach auch.


    Lieber Daniel, ich wünsche dir eine ruhige, erholsame Nacht mit hoffentlich viel heilsamem Schlaf.


    Viele Grüsse

    Silvia

    Liebe Kerstin


    Es tut mir leid, dass du auch wieder sehr traurig warst und bist.

    Es ist eben alles so ein Auf und Ab. Diese Wellen, manchmal innerhalb eines Tages, manchmal auch längere Phasen. Du hast Recht, die Dankbarkeit hilft wirklich durch die Trauer, aber erst jetzt, wo ich sie auch wirklich echt empfinden kann. Vorher kamen mir all diese Trauersprüche mit der Dankbarkeit einfach nur verlogen vor. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemals Dankbarkeit empfinden zu können, da jede einzelne Erinnerung einfach nur schmerzhaft war. Und das ist auch jetzt noch häufig so. Aber nicht mehr immer.


    Und auch mit den 20 Wochen hast du Recht. Was sind schon 20 Wochen gegenüber 45 Jahren? Nur kommen mir diese 20 Wochen wie eine Ewigkeit vor. 20 Wochen ohne ihn. 20 lange, lange Wochen. In meinem Kopf hat eine neue Zeitrechnung angefangen, die Wochenanzahl ist mir stets präsent.


    Dass unser Dasein ein sehr fragiles ist, beschäftigt mich zur Zeit enorm. Vor allem macht mir meine eigene Endlichkeit zu schaffen. Jetzt, wo ich weiss, was es bedeutet, ein Elternteil zu verlieren, habe ich Angst, zu früh sterben zu müssen und meine Tochter hier ohne mich zurückzulassen. Ich bin schon fast zum Hypochonder geworden. Bei jedem kleinen Unwohlsein denke ich daran, das könnte ein Vorbote einer schlimmen, unheilbaren Krankheit sein. Und dann weiss ich natürlich, dass ich den gleichen Schmerz noch einmal durchmachen muss, wenn meine Mutter dann eines Tages auch ihre Augen für immer schliesst. Nur, dass dann der Schmerz noch schlimmer sein muss, da ich dann niemanden mehr habe und ich meiner Mutter noch näher stehe als meinem Vater. Wie ist das nur zu ertragen?


    Es ist halt nicht nur diese abgrundtiefe Trauer und all die damit einhergehenden Gefühle, sondern eben auch all die Gedanken, die dadurch ausgelöst werden. Die überrollen mich einfach und damit muss ich dann auch noch klarkommen.


    Eins ist sicher, dieses Jahr 2020 wird für immer als Wendepunkt in meinem Leben in meinem Gedächtnis fest verankert sein.


    Auch dir eine gute Nacht und liebe, <3-liche Grüsse

    Ihr Lieben


    Ich war ein Weilchen nicht mehr hier. Ich habe aber sehr oft an euch alle gedacht. An euren Schmerz, der meinem so sehr gleicht. Bei euren Beiträgen nicke ich oft einfach nur, weil es mir ganz genau so geht. Die gleichen Gefühle, das Ausgeliefertsein, das Ertragenmüssen, das Vermissen, das Heimweh. Mein Vater ist am 30. März gestorben, ist also jetzt bald 5 Monate tot, 20 Wochen und 5 Tage. Es waren die allerschlimmsten und schwersten und traurigsten Wochen meines Lebens. Noch immer stehe ich manchmal in völliger Fassungslosigkeit vor seinem Grab und komme einfach nicht mir der Realität klar, dass ich ihn nie mehr wiedersehe. Nie mehr. Seine lieben Augen schauen mich auf den Fotos jeden Tag an, aber seine echten Augen gibt es nicht mehr. Nichts kann mich trösten.


    Mein Leben geht im Aussen unterdessen wieder ganz normal weiter. Wie viele von euch bin ich entsetzt, wie schnell die anfängliche Anteilnahme und das Verständnis des Umfelds verschwindet. Selbst nahe Freunde fragen nicht mehr nach und gehen davon aus, dass die Trauerzeit nun vorbei ist und dass ich nun wieder bin wie vorher. Nur bin ich nicht mehr wie vorher. Ich kann es gar nicht mehr sein. Wie soll ich mir je wieder Sorgen machen über meine Frisur oder mein Auto, welchen Salat ich essen soll? Es ist mir egal. Das ist mir einfach nicht mehr wichtig. Vieles kommt mir einfach nur sinnlos vor, was mir vorher wichtig war.


    Ich habe gute Tage, an denen ich mich wieder ein wenig unbeschwerter fühle und ganz tief die Dankbarkeit in mir spüre, dass ich den Papa hatte, den ich hatte und der mir so viel mit auf den Weg gegeben hat. Aber ich habe auch die anderen Tage, an denen mich die Trauer wieder einholt. Dann durchlebe ich wieder und wieder diese Woche, in der mein Vater im Krankenhaus lag und jeden Tag schwächer wurde und schliesslich an einem Montagabend nach einem Besuch von seiner engsten Familie starb. Und die Tage danach. Vor allem die. Jeder einzelne ist in mein Gedächtnis eingebrannt, mit allen Details.


    Abends im Bett tauchen Erinnerungen auf. Manchmal solche, an die ich schon ganz lange nicht mehr gedacht hatte. Und das ist schön. Und manchmal denke, mein Vater schickt sie mir. Daran will ich glauben.


    Euch allen eine gute Nacht und liebe Grüsse

    Ihr Lieben


    Heute Abend ist wieder der Himmel so intensiv orange über dem See. Und ich denke an all die Abende zurück als dies ebenso war und ich so abgrundtief traurig war und dieser Himmel mir ein wenig Hoffnung gab, dass mein Vater irgendwo da draussen ist und weiterhin für mich da ist und auf mich aufpasst. Es ist wie eine Zeitreise und auch heute spüre ich wieder diese tiefe Verbundenheit zu ihm.


    Auch der Tod meiner Jugendfreundin hat vieles wieder aufgewühlt. Ich bin von neuem erschüttert über die Plötzlichkeit, mit der der Tod über uns alle hereinbrechen kann. Ich fühle mich manchmal regelrecht bedroht vom Tod und der Vorstellung, dass ich meine Tochter eines Tages hier zurücklassen muss. Dieser Gedanke ist so unerträglich für mich, so unfassbar schmerzhaft, dass ich nicht weiss, wie ich damit umgehen soll. Und dann stirbt meine Jugendfreundin im gleichen Alter wie ich es jetzt bin, 45 Jahre, und ich denke nur daran, es hätte auch mich treffen können. Solche Gedanken hatte ich früher nie, niemals habe in dieser Weise über den Tod und meine Endlichkeit nachgedacht, es war alles so weit weg. Und jetzt ist der Tod auf einmal hier, so nah.

    Liebe Stella


    Wir vermissen unsere Papas so sehr. Heute habe ich auch wieder sehr weinen müssen. Ich empfinde es genau wie du, dass ich nicht verstehen kann, wie jemand wie mein Vater einfach so sterben kann, mitten aus dem Leben heraus. Und wir können gar nichts daran ändern. Dieses Ausgeliefertsein macht es für mich oft so schwer. Ich würde so gerne etwas tun, damit die Situation besser wird, aber es geht nicht. Der Tod ist unumkehrbar.


    Ich finde viel Wahrheit in dem Satz, den dein Vater oft gesagt hat: "Alles ist immer nur für eine bestimmte Zeit." Mein Vater sagte etwas ganz Ähnliches, nämlich: "Alles geht vorbei." Gerade wenn es mir nicht gut geht, denke ich daran, dass es irgendwann wieder vorbei geht und wieder leichter wird. Und so ist es halt auch mit den guten Zeiten, auch die gehen vorbei und sind nur für eine bestimmte Zeit. Ja, dankbar sein für die guten Zeiten, bewusst diese Dankbarkeit empfinden. Und so möchte ich auch für all die guten Zeiten, die ich mit meinem Vater hatte, dankbar sein und für all die Erinnerungen, die mich heute mal wieder überschwemmen. Auch wenn sie noch immer schmerzhaft sind, sind mir unterdessen sehr lieb und teuer.


    Ich habe gestern erfahren, dass eine Jugendfreundin von mir nach kurzem Krebsleiden ganz plötzlich verstorben ist. Ich hatte seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr. Und doch hat mich die Nachricht sehr aufgewühlt und betroffen gemacht. All die Erinnerungen an unsere gemeinsamen Jahre als Freundinnen tauchen auf und ich denke daran, wie unendlich schwer es für Ihre Familie sein muss. Auch sie hat der Tod brutal aus dem Leben gerissen.


    Ganz liebe Grüsse

    Silvia

    Liebe Kerstin


    Ich danke dir für deine liebe Nachfrage. Ja, dieses Auf und Ab, so kräftezehrend. Mir geht es heute ein wenig besser, das heisst, ich kann wieder ein wenig durchatmen. Die letzten Tage hatte ich viel geweint und mit allem so gehadert. Immer mal wieder überfallen mich die Bilder der schrecklichen Krankenhauswoche und der Tage danach. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie ich diese Tage überstanden habe. Es war einfach nur schlimm. Dann wieder überkommt mich dieses Gefühl der Unwirklichkeit, so wie du das auch beschrieben hast. Dann stehe ich fassungslos da und kann einfach nicht glauben, dass ich meinen lieben Papa nicht mehr habe, dass ich nun für den Rest meines irdischen Lebens ohne ihn auskommen muss.


    Ich habe heute wieder einen seiner Weisheitskrümel gelesen. Da stand sinngemäss:


    Niemand kann ewig an deiner Seite sein.

    Behalte die Erinnerung und du hast ihn immer im Herzen.


    Auf den ersten Blick erschien mir das wie eine fade Plattitüde. Jedoch blieb ich dann am ersten Teil hängen: Niemand kann ewig an deiner Seite sein. Genau so ist es. Niemand. Nicht einmal der über alle geliebte Papa, der immer da war, immer Rat wusste, immer für alles Lösungen gefunden hat, nie aufgegeben hat und so stark und eben unsterblich war für mich. Dass er so früh sterben könnte, war überhaupt nicht in meinem Bewusstsein. Ich habe es verdrängt, dass er nicht ewig an meiner Seite sein würde. Und jetzt rückblickend kann ich es nicht mehr verstehen, dass ich so unachtsam mit unserer gemeinsamen Zeit umgegangen bin.


    Liebe Kerstin, ich hoffe, dass es dir heute besser ging und du dich wieder ein wenig leichter fühlst.


    Alles Liebe von mir und eine ruhige, erholsame Nacht <3

    Silvia

    Ihr Lieben


    Heute am ersten August feiern wir in der Schweiz unseren Nationalfeiertag. Wieder ein Fest, das das erste Mal ohne meinen Vater stattfindet. Wir fuhren jeweils immer zusammen zu meiner Schwester und haben dort gefeiert. Das war auch heute so, jedoch wurde mir bei der Autofahrt wieder so bewusst, dass mein Vater nicht mehr dabei sein kann. Immer, wenn er in meinem Auto mitgefahren ist, hat er das Auto gelobt, da es sehr geräumig und gut ausgestattet ist. Wenn ich nur wieder einmal seine Stimme hören könnte, sein herzliches Lachen oder seine klugen Bemerkungen.


    Heute ist wieder ein schwerer Tag. Ich vermisse ihn einfach so sehr. Ich möchte noch einmal mit ihm reden, unbedingt. Es gibt so viele Fragen. Ich möchte ihm wieder an seinen Lieblingsplätzen im Garten begegnen. Ich möchte mit ihm Brombeeren pflücken gehen und dann die frischen Beeren mit Vanille-Eis essen, wie wir das jeden Jahr immer gemacht haben. Ich möchte mit ihm über alte Zeiten sprechen, zum Beispiel als wir gemeinsam regelmässig zu einer spirituellen Meditationsgruppe gefahren sind oder als er zur Präsentation meiner Bachelorarbeit extra nach Zürich gefahren ist. Oder als wir auf seinem Boot Ausflüge gemacht haben. Oder als wir gemeinsam über Gott und die Welt geredet haben. Oder als er mir bei der Krankheit meines Partner beigestanden ist. Oder, oder, oder. Die Liste ginge endlos weiter.


    An Tagen wie diesen möchte ich einfach nur das Schicksal verwünschen, das mir meinen Vater genommen hat. Wieso er? Wieso so früh? Wieso so unerwartet? Und das tue ich auch, aber es hilft ja nichts.


    Wir sind früh von meiner Schwester zurückgekommen, meine Tochter war auch sehr müde. Draussen knallt es schon die ganze Zeit und wenn es eindunkelt wird dann das Feuerwerk losgehen. Mir ist alles andere als nach Feiern zumute, aber ich muss ausharren, bis es dann wohl um Mitternacht wieder langsam stiller wird.

    Liebe Ganzallein


    Ich habe eben deine Geschichte gelesen und habe gespürt, wie du dir über alles so viele Gedanken machst. Ich bin in dieser Hinsicht gleich. Ich kann so gut verstehen, was du beschreibst. Es tut mir sehr leid, dass du so viele liebe Menschen verlieren musstest und nun auch noch von deiner lieben Mama und von deinem Elternhaus ein grosses Stück Abschied nehmen musst. Das ist sehr, sehr schwer.


    Ich habe vor etwas mehr als 17 Wochen meinen über alles geliebten Vater verloren und fühle mich, als ob ein Riesenteil meines Lebens einfach weggebrochen ist, allein und entwurzelt fühle ich mich, mein Leben ist instabil geworden und ich muss Tag für Tag schauen, dass nicht alles einstürzt. Und dies, obwohl ich meine Mutter noch habe und selbst auch eine Tochter und einen Partner habe. So kann ich mir nur voller Mitgefühl ausmalen, wie einsam und verloren du dich in der Welt fühlen musst. Niemand mehr, für den du das Allerwertvollste auf der Welt bist, bei dem du einfach du selbst sein kannst, geborgen und getragen. Seit mein Vater gestorben ist, lebe ich in dieser Angst, dass auch meine Mutter völlig unerwartet viel zu früh sterben muss, und ich dann ganz allein dastehe. Es ist ein ganz schlimmes Gefühl.


    Ich schicke dir ganz liebe Grüsse

    Silvia