Liebes Glasherz,
ich arbeite seit 12 Jahren im Bestattungsbereich, seit bald 20 Jahren im Gesundheitsbereich (Krisenintervention, Notfallpsychologie, Psychotraumatologie etc.) Wenn man ständig, tagein tagaus mit dem Sterben und dem plötzlichen Tod zu tun hat, dann lernt man einerseits ein Stück weit zu akzeptieren, dass der Tod eines Menschen traurig ist, aber dass man deshalb selbst nicht traurig sein muss. Zumindest nicht dauernd. Es gibt Sterbefälle, die mich heute noch betroffen machen, das ist klar. Wenn jemand aus meiner Familie stirbt oder ein guter Freund/eine gute Freundin, dann trauere ich, das ist ja eine natürliche und gesunde Reaktion. Die meisten Sterbefälle kann ich begleiten, auf die Bedürfnisse der Angehörigen eingehen, ihnen Halt geben in dieser schweren ersten Zeit, ohne aber selbst dabei traurig zu sein und das Leid mit nach Hause zu nehmen. Das ist auch nötig, sonst wäre ich schon längst krank. Außerdem ist man nicht mehr hilfreich für Angehörige, wenn man selbst von starken Gefühlen überwältigt wird.
Wie schaffe ich eine gesunde Distanz? Einerseits habe ich gelernt, dass der Tod dazugehört. Alle Lebenwese müssen sterben. Auch Kinder, auch junge Menschen. Ich habe gelernt, dass das Leben sehr ungerecht ist und dass ich daran nichts ändern kann. Ich erlebe auch, dass die allermeisten Anghörigen eine schlimme Zeit haben, die einige Jahre dauern kann, dass aber die allermeisten nach einer angemessenen Trauerzeit einen neuen Lebensabschnitt schaffen, wieder Lebensfreude empfinden und das Leben weitergehen kann.
Ich stelle mir nicht bei jedem Sterbefall vor, wie das Sterben gewesen sein könnte. Es gibt unterschiedliche Formen zu sterben bei jeder Erkrankung, auch nicht alle CF-Patienten leiden im Sterben unter Erstickungsnot. Eine Freundin von mir ist, natürlich auch dank richtiger Medikation und Lagerung trotz CF ruhig eingeschlafen. Nicht jeder Krebspatient erleidet große Schmerzen. Aber natürlich ist nicht jeder Tod friedlich. Es gibt ganz grauenhafte Unfälle, keine Frage, aber es kann sehr schnell gehen und das Opfer spürt nichts, dann gibt es ja auch noch den Schock bei schweren Verletzungen. Er schützt dich vor Schmerz, auch wenn die Verletzung brutal ist. Wie es dann letztlich bei jedem einzelnen Sterbenden war, können wir nur selten wissen. In keinem Fall bringt es aber etwas, sich in Phanatsien hinzusteigern .... Du merkst ja selbst, dass dir das nicht gut tut.
Ich kann schon nachvollziehen, dass man über den Tod von unbekannten Mesnchen betroffen sein kann. Trauer empfindet man aber nur, wenn man eine persönliche Beziehung zum Verstorbenen hatte. Du neigst dazu, Beziehungen zu Verstorbenen, die du nicht hattest, durch Phantasien und Erinnerungsmaterial künstlich herzustellen. Ich würde dir raten, das einfach nicht mehr zu tun. Ich finde auch, dass es nicht deine Sache ist, Erinnerungsvideos von dir unbekannten Verstorbenen zusammenzustellen, vor allem dann nicht, wenn du die für dich persönliche gesunde Distanz nicht einhalten kannst. Ich meine, dass es primär Sache der Familie ist.
Deine Trauer Lemarchal betreffend ist natürlich, da hattest du eine Beziehung, weil du seine Musik ja sehr gerne mochtest und an seinem Leben teilgenommen hast. Wie stark sie sein darf und wie lange sie anhält, das ist wieder eine andere Sache, die ich so nicht beurteilen kann. Aber die Grundregel lautet: Je enger die Beziehung zu einem Verstorbenen, desto länger dauert für die meisten Betroffenen die Trauerarebit als gesunder Prozess.
Unser aller Zeit ist begrenzt, auch deine. Freue dich über jeden Tag, an dem es dir und deinem direkten Umfeld gut geht. Rege dich dann auf und trauere, wenn das Schicksal wirklich dich und dein persönliches Umfeld trifft, das ist völlig ausreichend. Vielleicht magst du ja eine Ausbildung machen als ehrenamtliche Mitarbeiterin in einem Hospiz, dann bist du nah am Geschehen, siehst wirklich wie es ist, musst dich nicht in Phanatsien hineinsteigern und kannst wirklich hilfreich sein. :24: AL Christine