Liebe Astrid,
Habe Deine Botschaft auf Kiwis Seite gelesen und habe mir gedacht, ich antworte jetzt auf diese Weise. Dort soll es ja um ihre Geschichte gehen und nicht um meine...
Als ich meine Mutter verloren habe, war alles sehr, sehr schwierig. Mit meinem Vater habe ich mich nie gut verstanden, bis zu seinem Tod nicht. Er hatte für uns Kinder wenig übrig, war psychisch vermutlich ziemlich unreif, frauenfeindlich. Wir haben alle unter ihm gelitten.
Neben mir gab es noch meinen Bruder, ein Jahr jünger als ich, ein ganz armer Kerl. Seine ersten neun Lebensmonate hat er im Spital verbracht. Er hatte innere Missbildungen und musste mehrfach operiert werden.
Wir beide hatten auch nicht das beste Verhältnis. Noch dazu in dem Alter, da ist ein jüngerer Bruder nicht unbedingt ein Ansprechpartner.
Ich war die Große, die Kluge, Mamas Liebling und Vertraute. Und dann musste ich zusehen, wie sie immer dünner wurde, sich ständig erbrach, knochig und blass ist die dagelegen. Oft, wenn ich von der Schule heimgekommen bin und in ihr Zimmer gesehen habe, habe ich mich gefragt, ob sie noch lebt oder ob sie vielleicht schon tot ist. So schrecklich hat sie ausgesehen. Da war sie im 47. Lebensjahr.
Dann ist sie gestorben. ein paar Wochen später habe ich maturiert. Und alles, was ich bisher an Struktur gehabt hatte, ist weggefallen. Die Schule, die Klassenkollegen, der Stundenplan - alles auf einmal futsch.
Einen "Engel" hatte ich damals, und der ist mir bis heute erhalten geblieben: eine Lehrerin, mit der ich immer noch (und jetzt wieder verstärkt) in Kontakt bin. Sie hat vor drei Jahren ihren Mann nach einer langen Leidensgeschichte verloren, und jetzt geht es ihr wieder wirklich gut. Ich habe ihr schon gesagt "Du bist mein Vorbild" und sie hat nur geantwortet "ja gern". Leider wohnt sie ziemlich weit weg, Sie hat mich aber schon wiederholt eingeladen, sie zu besuchen.
Und jetzt.... natürlich habe ich große Angst, dass es wieder wird wie damals. Nur dass ich jetzt älter bin, nicht mehr die Energie habe wie damals, nicht mehr diese Aufbruchstimmung. Ich bin dann nämlich, sobald ich volljährig war, von zu Hause mehr oder weniger angehauen und habe mir in Wien eine neue Existenz aufgebaut, mein Studium über weite Strecken selber finanziert.
Einmal, als die Diagnose meines Partners relativ frisch war, habe ich mir gedacht: das halt ich nicht noch ein zweites Mal aus. Da gehe ich lieber auch...
Es war nur ein Moment, aber ich habe ihn noch sehr deutlich in Erinnerung.
Ich halte mich nicht für jemanden, der sich selber etwas antun würde. Aber damals war ich eben so verzweifelt.
Im Moment ist das, was mich am meisten belastet, wenn ich sehe, wie blass er ist, wie er abgenommen hat. Nicht, dass es dramatisch wäre - aber er braucht nur einmal ein Hemd mit einem zu weiten Kragen anziehen, und schon kommt alles in mir hoch. Ich denke, da holen mich die Bilder von damals ein.
Tja, so ist das in den dunklen Momenten.
In den hellen lache ich mit meinen Kolleginnen, uns fällt immer etwas zum Blödeln ein - und da bin ich voll dabei. Ich freue mich, wenn ich gut Tennis spiele oder wenn ich von jemandem ein lustiges Bild geschickt bekomme.
Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich zwei Existenzen. Eben eine helle und eine dunkle.
Und ja: ich kann es auch mit Rudi schön haben, lachen, lästern, gut essen. Aber irgendwie ist das auch schwierig, denn irgendwann kommt der Gedanke: wie lang können wir das noch genießen, was wird werden...
So, jetzt habe ich viel geschrieben.
Dank Dir für alles! Für's Mitdenken, für's Fragen und überhaupt