Langer schleichender Abschied von meinem Papa

  • Ihr Lieben,


    ich schreibe "ihr Lieben" obwohl ich dieses Forum erst vor ein paar Tagen gefunden habe ... aber seither habe ich einige Beiträge gelesen und so viel Mitgefühl und Verstehen gespürt, das hat mich berührt <3 und es hat mich ermutigt, mich anzumelden und euch von meiner Geschichte zu erzählen ...


    Mein lieber Papa ist am 20. September endgültig gegangen ... der Abschied davor ging in Wellen und über mehr als 10 Jahre, blödes Alzheimer :( meine Mama und mich hat er bis zuletzt erkannt, wofür ich unendlich dankbar bin. Bis zu seinem letzten Tag war ein wunderbarer und lieber Mensch <3


    Als die Diagnose gestellt wurde, sind meine Eltern und mein Mann und ich in ein 2-Familien-Haus gezogen. So konnten wir sie (hauptsächlich meine Mum) all die Jahre gut unterstützen, einkaufen, zum Arzt fahren etc. Meine Mama hat meinen Papa bis zuletzt gepflegt ... die letzten Wochen waren echt schlimm, da musste der Pflegedienst mit helfen ... mein Papa konnte nicht mehr alleine aufstehen und gehen, die letzten paar Tage überhaupt nicht mehr. Meine Mama hat gespürt, dass es zu Ende geht und hat mich gerufen - so haben wir jede eine Hand gehalten ... für ihn habe ich das gerne gemacht, für mich war das furchtbar, sehr schmerzlich ;( so einfach ist das mit dem Sterben nicht, auch wenn man innerlich ruhig und gelassen ist, wie mein Papa es war. Er hatte innerlich Frieden ...


    So richtig ausdrücken konnte er sich schon ein paar Wochen nicht mehr ... das hat zwar sowieso im Laufe der Jahre immer mehr nachgelassen, aber jetzt hat er überhaupt keine Worte mehr gefunden ... ich habe ihm in seinen letzten Tagen das Frühstück gereicht, Löffel für Löffel, und mich über jeden Löffel gefreut, den er essen konnte und wollte ... dabei haben wir nonverbal kommuniziert und ich habe bewusst die Entscheidung getroffen, ihn gehen zu lassen. Ich habe gespürt, dass er nicht mehr mag, nach all den Jahren ... und das habe ich ihm nonverbal zugesprochen, dass er gehen kann, darf ... dass es ok ist ... auch wenn es unendlich traurig ist ;(


    Das habe ich so noch niemandem erzählt, ist schwer in Worte zu fassen und auch wenn ich es schreibe fühlt es sich chaotisch an ... aber ich denke jeder hier weiß, wie groß das Chaos im Kopf in der Trauer ist ... nur, anderen Menschen kann man das schwer erzählen ... oder ich kann es nicht?


    In den letzten drei Monaten funktioniere ich an vielen Tagen, das konnte ich schon immer gut, leider ... ich möchte aber nichts verdrängen, bin bereit, mich der Trauer zu stellen und schreibe deshalb hier ... an Tagen, an denen ich nur funktioniere bin ich erschöpft, müde - Funktionieren ist anstrengend. Und ich habe Angst, dass ich die Trauer verdränge, wenn ich nicht oder nur wenig darüber rede ... irgendwann wird sie rauskommen. Mit meiner Mama kann ich nicht so gut darüber reden, sie hat ihre eigene Trauer und vor allem bin ich in den letzten Jahren stark in der "Unterstützerrolle" gewesen ... das kann ich nicht so leicht ablegen. Und mein Mann ist lieb und unterstützt mich, bei ihm darf ich weinen ... aber er hat noch nie so einen großen Verlust erlebt und kann es nicht wirklich verstehen. das erwarte ich auch nicht ...


    Ein Gedanke, den ich hier irgendwo gelesen hat mich sehr angesprochen ... unsere Eltern sind wie Wurzeln für einen Baum ... da kommen wir her und wenn sie weg sind fühlen wir uns ein Stück weit entwurzelt ... genau so fühle ich mich! ein Teil meiner Wurzeln sind weg ...


    Ihr Lieben, ich danke euch von Herzen fürs Zuhören <3


    Ele

  • Liebe Ele,


    ich möchte Dich hier herzlich willkommen heissen und Dir mein Beileid ausdrücken. Du hast gemeinsam mit Deiner Mutter sehr viel an mentaler und physicher Kraft aufgebracht um Deinen Papa zu pflegen.Das machen nicht viele Menschen dafür meinen Respekt.


    Dein Vater hat Eure Liebe gespürt und auch das ihr bereit wart ihn gehen zu lassen, er wird auch gespürt haben das Euch das traurig macht.


    Demenzkranke und Alzheimerkranke spüren Emotionen auch dann noch wenn sie sich selbst sprachlich schon nicht ausdrücken können.


    Das Kopfchaos in der Trauer ist hier jedem bekannt, auch mich begleitet es nach wie vor, mein Mann ist am 12.06.2018 um 19:15 Uhr in meinen Armen gestorben. Diese wirren Gefühle, das nicht verstehen könnenund sind Emotionen die die Trauer auslöst, es ist einfach nur noch ein funktionieren,Es ist gut das Du Dich hier angemeldet hast. Du kannst hier das schreiben was Dich bedrückt , das kann helfen , wenn auch nicht immer und manchmal nur ein bisschen, aber es hilft.


    Liebe Ele, ich verstehe sehr gut das Du Dich ein wenig entwurzelt fühlst, ich wünsche Dir wenn die Zeit gekommen iist sich neue kleine Wurzeln bilden mögen , die ersetzen nicht Deinen Papa, können Dir aber wieder ein wenig mehr Halt verschaffen.


    Ganz <3liche Grüße

  • Liebe Ele,

    herzlich willkommen in diesem forum!


    du wirst hier menschen finden, die dich verstehen,

    die wissen, wovon du redest -

    und du kannst schreiben, was dir auf dem herzen oder auf der seele liegt.


    viele hier hängen nach diesen emotional herausfordenden und auch belastenden

    feiertagen mächtig in den seilen...


    erst mal so viel.


    liebe grüße

    Bea

  • Liebe Ele,

    herzlich willkommen hier in diesem Forum. Zuerst möchte ich mein Beileid zu Deinem großen Verlust übermitteln.

    Ich habe ähnliches mit meinem Papa erlebt, nur ging alles innerhalb von wenigen Wochen. Die Kommunikation hat sich kurz vor seinem Tod ähnlich gestaltet, ein Augenbrauen zucken oder ein Wimpernschlag. Sprechen konnte mein Papa leider auch nicht mehr.

    So schön wie es für den Sterbenden wohl ist nicht allein zu sein, für mich war es unwahrscheinlich schmerzvoll im Herzen. Ich kann gut nachfühlen, wie Du empfunden hast. Trotz einer innerlichen Ruhe möchte das Herz vor Kummer heraus springen.

    Mit anderen reden, da habe ich unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Viele möchten nicht reden. Die Meisten eigentlich. Dafür kamen Menschen auf mich zu, wo ich es nicht erwartet hatte.

    Mir hilft es, hier zu schreiben. Auch wenn nicht immer eine Antwort kommt, aber es ist erstmal raus.

    Ich wünsche Dir Menschen, die zuhören und bei denen Du weinen kannst. Und viel Kraft, und etwas Sonne für die Seele :30:

    Herzliche Grüße Ros

  • Liebe Ele


    Auch von mir ein herzliches Wilkommen.

    Mein herzliches Beileid zum Verlust deines lieben Papa.

    Ich wünsche Dir hier Unterstützung und vielleicht auch ein klein wenig Geborgenheit. Weil, es tut gut sich mit anderen Menschen, die ein ähnliches Erlebniss haben auszutauschen.

    Hier triffst du auf viele liebenswerte Menschen mit Verständnis und Mitgefühl.


    Liebe Grüsse

    Thomas

  • Liebe Ele.


    Auch von mir ein herzliches Willkommen hier im Form und auch mein Beileid zum Verlust deines Vaters!

    Ich wünsche dir, dass dir der Austausch hier gut tun wird. Ich ziehe den Hut, was du mit deiner Mama geleistest hast. Ich habe für meine Mom auch alles erdenkliche getan auf ihrem schweren Weg - allerdings waren es bei ihr "nur" 5 Monate mit größerem Unterstützungsbedarf und ihr war es möglich bis zuletzt mit uns zu kommunizieren. Ich bin mir sicher, dein Vater hat das zu schätzen gewusst auch wenn er sich vllt nicht mehr so gut mitteilen konnte.


    Der Vergleich mit den Wurzeln eines Baumes finde ich auch sehr sehr passend! Meine Mom ist vor einem halben Jahr gegangen und noch immer kämpfe ich sehr. Es tut nicht weniger weh, aber ich komme von Zeit zu Zeit etwas besser durch den Alltag.


    Liebe Grüße

  • Liebe Ele,


    Dein Text hat mich tief berührt. Auch ich habe gerade einen unfaßbaren Verlust erlitten. Gerade jetzt am Abend, vor dem Zubettgehen breitet sich die Angst vor der Stille der Nacht aus ... der Körper kommt zur Ruhe, das Gehirn hat Zeit zum Grübeln ... und dann kommen die Gedanken, die mich fertig machen. Ich wollte vorher noch ein bißchen was zum Thema recherchieren, und da bin ich durch Zufall auf Deinen Text in diesem Forum gestoßen.


    Auch mein Papa hat Demenz. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges.


    Bis vor wenigen Wochen war mein Papa zwar vergeßlich und hatte hin und wieder leichte Anflüge von Verwirrtheit, aber er konnte noch immer alle wichtigen Sachen selber erledigen: sich alleine anziehen, sich waschen, rasieren, zur Toilette usw. Vor kurzem war er noch beim Arzt, und der fand, er mache einen guten und lebhaften Eindruck. Also: "Nehmen Sie weiter ihre Tabletten und wir sehen uns im nächsten Quartal wieder".


    Im letzten Monat wurde er allerdings immer verwirrter: er fand sich in seinem eigenen Haus nicht mehr zurecht, meinte, Personen gesehen zu haben, die nicht da waren oder hörte Musik, wo keine war.


    Was ich nicht bemerkt habe: er konnte auch nicht immer rechtzeitig zur Toilette. Meine Mutter wollte die Verschlimmerung der Erkrankung meines Vaters nicht wahrhaben und vor allem: vor mir, dem Sohn, geheimhalten. So hat sie – wie ich mir im Nachhinein zusammengereimt habe – immer hinter ihm hergeputzt, alle Spuren beseitigt und nichts davon gesagt.


    Bis zum letzten Sonnabend. Papa hatte es mal wieder nicht rechtzeitig auf die Toilette geschafft und dabei das ganze Badezimmer verunreinigt. Dies war wohl der Tropfen, der das Faß zum überlaufen gebracht hat. Meine Mutter konnte einfach nicht mehr. In einer Kurzschlußhandlung nahm sie einen Strick und erhängte sich am Treppengeländer.


    Ich selbst, psychisch auch nicht unbedingt stabil und deswegen sogar seit langem Frührentner, wohne im selben Haushalt. Nachdem ich also am letzten Samstag aufgewacht bin fand ich meinen Vater verwirrt auf dem Bett sitzend vor, das Badezimmer verdreckt und schließlich meine Mutter erhängt vor. ich werde dieses Bild nicht mehr los!


    Dies ist der schlimmste Alptraum meines Lebens, und nicht nur der Verlust von Mama zerreißt mir förmlich das Herz, auch wird erst jetzt die volle Tragweite der Erkrankung meines Vaters sichtbar.


    Der Abschied von meinem Vater hat gerade erst begonnen. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, diesen Weg mit zu gehen. Ich glaube, ich kann einfach nicht mehr!


    Meine Gedanken sind momentan erfüllt von absoluter Hoffnungslosigkeit, vor Verzweiflung und auch von Schuld. Hätte Mama mir nicht sagen können, daß sie es einfach nicht mehr schafft? Hätte ich selber nicht etwas merken müssen?


    Liebe Ele, ich bewundere, wie Du Dich bis zuletzt um Deinen Papa gekümmert hast, ich befürchte aber, daß ICH es einfach nicht schaffen werde. Der langsame Abschied von Papa, der plötzliche Verlust von Mama, wahrscheinlich auch der Verlust meines Zuhauses (denn wenn Papa in eine Pflegeeinrichtung muß, dann muß die irgendwovon bezahlt werden); dazu kommt noch, daß natürlich aufgrund der Feiertage KEINE Ärzte oder sonstige Hilfen verfügbar waren. Ich bin vollkommen allein und glaube, ich kann nicht mehr.


    Ich bin dankbar, daß ich meine Gedanken hier aufschreiben durfte.


    Liebe Grüße

  • lieber mahu,

    zuallererst heisse ich dich willkommen in diesem forum!


    dann schicke ich dir mein mitfühlen mit deinem unermesslichen leid.

    sofern ich das überhaupt mitfühlen kann -

    so schrecklich und ein albtraum ist das, was du erlebt hast - und weiter erlebst.


    du kannst hier alle deine gedanken aufschreiben,

    es wird immer eine antwort geben -

    alle hier haben einen liebsten menschen verloren,

    alle wissen, wovon die rede ist.


    ob das schreiben hier ausreicht für dich?

    hast du menschen vor ort an deiner seite?

    und auch professionelle unterstützung?


    ich wünsche dir zunächst mal eine nacht,

    in der du schlafen kannst

    und kraft sammeln

    für alles, was ansteht und dich fordert.


    herzliche grüße

    Bea

  • Liebe Ele, herzliches Beileid zu deinem Verlust, ihr habt alles richtig gemacht und ich kann die Liebe in deinen Worten richtig spüren.

    Es ist eine große Leistung, die ihr da gemeinsam vollbracht habt und es ist wunderschön, dass dein Papa in so einer geborgenen Atmosphäre gut aufgehoben war und friedlich sterben konnte.

    Darüber reden und darüber schreiben kann sehr erleichtern und das kannst du hier tun, wir fühlen alle mit dir.


    Lieber Mahu, dein Verlust ist einfach entsetzlich und was du dringend brauchst, ist Unterstützung!

    Konntest du mit dem Bestatter und dem Arzt, der den Totenschein ausgestellt hat nicht reden? Eigentlich hätte dieser in der ausweglosen Situation in der du dich mit deinem Vater jetzt befindest reagieren müssen, es gibt auch zu den Feiertagen eine Notversorgung.

    Gut wäre auch ein Anruf bei der Telefonseelsorge, die wissen auch jederzeit einen Rat, damit du fürs Erste über die Runden kommen kannst.

    Es wäre auch schön, wenn du deinen eigenen Thread eröffnen würdest, damit wir uns mit dir in aller Ruhe über dein Thema austauschen können.

    Dazu klickst du im Forum die Rubrik "Verlust der Eltern" an, dann rechts oben auf "neues Thema" und dann kannst du am besten den Beitrag, den du hier verfasst hast hineinkopieren. Dann hast du deinen eigenen Bereich wie wir alle hier und wir können viel besser auf deine Sorgen und Nöte eingehen. Vorerst wünsche ich dir alles Gute und rasche Hilfe!

  • Lieber Mahu,


    ich habe gerade mit Bestürzung Deine Geschichte gelesen , mein herzliches Beileid möchte ich Dir aussprechen. Bitte versuch dringend Unterstützung für Dich und Deinen Vater zu finden. Es ist wichtig für Euch beide, die Pflege Deines Vaters ist für Dich alleine wahrscheinlich nicht zu schaffen, bitte setz dich mit der Krankenkasse Deines Vaters in Verbindung um Hilfe zur Pflege zu erhalten Du bist jetzt in einer so schwierigen Situation die alleine nicht zu bewältigen ist.


    Bitte schreibe weiter hier bei uns , es wird reagiert und Wir versuchen zu helfen so gut es geht.


    Ganz liebe Grüße und eine Umarmung sende ich Dir

  • Ihr Lieben, die Ihr mir geantwortet habt,


    herzlichen Dank, ich hätte nicht gedacht, daß in so kurzer Zeit so viele Menschen meinen Text lesen und mir dann sogar schreiben! Auch wenn es nur "Worte aus der Ferne" sind, ich bin Euch so dankbar!


    Ich habe heute die erste Nacht seit den Vorfällen am 29.12. wieder im Haus meiner Eltern verbracht – ich habe die letzten vier Nächte in einem Hotel/einer Pension übernachtet. Ich habe diese erste Nacht hier (allein!) überstanden.


    Leider muß ich "Tigerlily" widersprechen, was das Thema "Notfallversorgung" angeht. Ich habe da sehr schlechte Erfahrungen gemacht.


    Am Tag, als es passierte, ging alles so schnell, ich stand unter Schock und konnte gar nicht reagieren. Das Haus wimmelte von Sanitätern, Polizei, Amtsarzt, Seelsorgerin und was-weiß-ich-wem, aber wirkliche Hilfe habe ich nicht erfahren. Die Polizei hat eigentlich nur die Sache an sich zu Protokoll genommen und das war's. Die Sanitäter wollten mich unbedingt "zu meiner eigenen Sicherheit" in eine psychiatrische Notaufnahme bringen, weil sie fürchteten, ich würde mir etwas antun.


    Nun muß man wissen, daß ich aufgrund einer Zwangserkrankung und AD(H)S im Laufe meines Lebens schon öfter Erfahrungen mit derartigen Einrichtungen gesammelt habe. Ich wurde 2005 schon einmal während eines Unglücksfalls auf einer psychiatrischen Notfallstation aufgenommen.


    Der Sanitäter versicherte mir, "das war 2005, wir haben jetzt 2018, und inzwischen hat sich da viel getan". Ich fühlte mich in die Enge gedrängt, habe ihm gesagt, daß ich auf freiwilliger Basis mitkäme, mit der Option, jederzeit wieder gehen zu können, wenn ich dort keine Hilfe bekomme.


    Okay, es war so: der Rettungswagen brachte mich in die Notaufnahme, dort wurde ich erstmal untersucht, der Fall wurde durchgesprochen und dann wurde ich einem Zimmer auf der Station zugeteilt. DAS WAR ALLES! Oder vielmehr, das war der Beginn eines weiteren Alptraumes innerhalb meines Alptraumes.


    Die Station (abgeschlossen natürlich) besteht aus langen Fluren, auf denen Menschen mit allen möglichen Erkrankungen umherschlurfen. Psychotiker, Schizophrene, Depressive, was-weiß-ich. Allein dieser Anblick, diese Atmosphäre kann selbst einen stabilen, gesunden Menschen fertigmachen. Die Patienten laufen umher, vom Pflegepersonal ist niemand zu sehen. Einige klopfen an die Tür des Stationszimmers, wollen irgendjemand sprechen. Sie werden vertröstet, "Dr. Sowieso hat gerade zu tun, bitte haben Sie etwas Geduld". Es sind Feiertage, es ist nur eine Ärztin für das ganze Krankenhaus da, und die Pfleger verschanzen sich im Stationszimmer und halten Besprechungen ab. ES HAT WIRKLICH NIEMAND MIT MIR GEREDET (und auch nicht mit den anderen hilfesuchenden Patienten). Mein einziger Vorteil: ich hatte ja das Recht, mich wieder eigenmächtig zu entlassen.


    Dann mußte ich noch eine Stunde auf die Ärztin warten, bis die Zeit für mich hatte. Dann wollte diese sich mit dem Oberarzt besprechen, was wieder endlos dauerte. Anschließend hat sie mir gesagt, ja, ich dürfe denn gehen, wenn ich glaubhaft versichern würde, mir selbst nichts anzutun. Okay, sie hat mir dann geglaubt, ich mußte wieder eine Stunde warten, bis sie den Arztbrief/Entlassungsschein ausgestellt hat. Dann durfte ich ENDLICH vor die Tür und mußte NOCH EINE STUNDE auf das Taxi warten, das mich nach Hause bringt.


    Fazit: ES GIBT KEINE HILFE IN NOTSITUATIONEN. Es gibt nur die Auswahl: endweder Unterbringung in der psychiatrischen Notfallambulanz (die Hölle) oder Unterbringung in der psychiatrischen Notfallambulanz RUHIGGESTELLT MIT MEDIKAMENTEN (Hölle hoch zwei). Da ziehe ich die Freiheit vor, und wenn ich unter einer Brücke schlafen muß.


    Ich habe meine erste Nacht in einem Hotelzimmer verbracht, dann die nächsten drei Nächte in einer Pension, die einem entfernten Bekannten gehört. Schlimm natürlich auch der Umstand, daß gerade Sylvester/Neujahr war, d. h. es war NIEMAND zu erreichen, es gab keinerlei Hilfe, die Welt schien nur aus Berlinern und Böllern und feiernden Menschen zu bestehen.


    Nun bin ich wieder zu Hause. Aufgrund meiner persönlichen Vorgeschichte (Zwangserkrankung etc.) ist es mir absolut unmöglich, die Verschmutzungen, die mein Vater angerichtet hat, zu beseitigen. Reinigungsunternehmen sind nicht zu erreichen oder überlastet. Gestern habe ich Hilfe von der Raumpflegerin meiner Tante erhalten: sie hat mit mir zumindest Wohnzimmer, Küche und Flur durchgewischt, so daß ich zumindest in diese Räume wieder hineingehen kann. Das bedeutet, ich habe wieder Zugriff auf den Wohnraum, in dem ich auch schlafen kann, eine Küche, eine Toilette und eine Dusche.


    Die Verschmutzungen im anderen Bad und im Elternschlafzimmer sind allerdings für eine "normale" Reinigungskraft zu stark, da müssen Spezialisten ran.


    Das ist jetzt das nächste, das ich organisieren muß.


    Was mir am meisten fehlt, ist eine organisatorische Hilfe. Eigentlich und von Rechts wegen hätte ich aufgrund meiner Vorerkrankung sogar Anspruch auf eine Hilfe für den Alltag (hatte ich sogar früher einmal, aber das Verhältnis zu der Betreuerin hatte sich aus verschiedenen Gründen getrübt und so ist die ganze Sache letztendlich abgebrochen worden).


    Ja, und nun sitze ich da, versuche zu organisieren, recherchieren, telefonieren ... und habe weder Zeit für Trauer noch für andere eigene Belange.


    Keine Ahnung, wie ich das durchhalten soll. Aber es ist immer noch besser, als in dieser schrecklichen Psychiatrie, wo ich GAR NICHTS organisieren kann, sondern dazu verdammt bin, untätig herumzulaufen (oder unter Medikamenteneinfluß vor mich hin zu dämmern).


    Ich werde jetzt (wie Tigerlily mir empfohlen hat) einen eigenen Thread eröffnen. Ich bin nicht so internet-affin, bisher habe ich das Netz nur für Recherchen und Bestellungen benutzt, noch nie für irgendwelche Foren. Daß ich jetzt hier gelandet bin, ist eigentlich nur Zufall, weil ich bei meinen Recherchen auf den Text von Ele gestoßen bin, der kich so berührt hat.


    Ihr Lieben, ichdanke und grüße Euch – bis dann.


    P. S.: Bitte verzeiht mir Schreib- oder Formulierungsfehler, ich bin sonst immer sehr pingelig, was Orthographie angeht, aber ich habe im Moment wirklich nicht die Kraft, dies alles nochmal korrekturzulesen.





  • Liebe Ele, was Du geschrieben und erlebt hast, hat mich sehr berührt.

    Meine Mutter hatte auch Demenz. Ich weiß, wie schwer die Pflege von Demenzkranken ist.

    Ich finde es schön, wie Ihr ihn begleitet habt. Bei meiner Mutter war das zu Hause leider nicht möglich.

    Und Du hast gemerkt, dass er gehen wollte und konntest ich gehen lassen. In Liebe.

    Dass Du und Deine Mutter bei seinem Sterben dabei wart, hat ihm sehr geholfen.

    Trauer ist anstrengend und kostet alle Kraft.

    Die wünsche ich Dir und Deiner Mutter.

  • Heute ist ein trüber Tag, es hat etwas geschneit, taut aber schon wieder weg, der Himmel ist nebelig und grau. Irgendwie passt das zu meiner Stimmung, ich hänge nur rum und kann mich zu nichts aufraffen, habe zu nichts Lust. Die Arbeitswoche war zum Glück kurz und relativ ruhig. Trotzdem wieder umschalten auf "funktionieren", das kostet Kraft. Als eine Kollegin mir auch noch von einer traurigen Situation in ihrer Familie erzählt hat, habe ich es fast nicht ausgehalten. Ich hatte aber keine Kraft und keine Worte dafür ihr zu sagen, dass ich das im Moment nicht schaffe ... normalerweise kann man sich bei mir immer "ausheulen" und "auskotzen" ... ich kann mich doch nicht total aus allem zurück ziehen, jedenfalls weiß ich nicht wie :( hat jemand eine Idee / Strategie für solche Situationen?


    Dann hatte ich heute eine Begegnung mit einem Bekannten ... in einem anderen Zusammenhang habe ich ihm die Tage geschrieben, dass mein Papa vor kurzem gestorben ist. Weder per Message noch heute persönlich kam irgendeine Reaktion. In meinem Kopf weiß ich, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie mit so einer Situation umgehen sollen, aber wenn man es dann erlebt ist es doch irgendwie traurig und tut weh. Das zu akzeptieren kostet auch wieder Kraft ... alles kostet Kraft und das ist gerade das, was ich viel zu wenig habe. Ich habe heute nichtmal Kraft über meinen Papa zu schreiben, das mache ich dann ein anderes Mal X/


    kraftlos

  • Liebe Ele,


    eine Startegie habe ich nicht wirklich für solche Situationen, aber ehrlicherweise sage ich wenn ich ich es ga rnicht schaffe an den Sorgen und Nöten anderer Anteil zu nehmen, weshalb es im Augenblick nicht geht, aber das ich gerne zu einem anderen Zeitpunkt ein "offenes Ohr " habe.Das ird bisher auch verstanden .


    Das mit Deinem bekannten habe ich auch schon erlebt, keine Reaktion auf das was geschehen ist , mittlerweile tut es mir in den meisten Fällen nicht mehr so weh,ich führe derartiges Verhalten auf die Unsicherheit zurück mit mir als Witwe umzugehen.


    Die Menschen sagen oft nichts, weil sie nicht einschätzen können wie auf ihre Worte reagiert wird,Das Dich das lles Kraft kostet von der sowieso nur wenig vorhanden ist , kann ich sehr gut nachvollziehen.


    schreib über Deinen Papa wenn Du es schaffst,


    Ich drück Dich :24:und schick Dir etwas von meiner Kraft , nicht sehr

    üppig aber von <3

  • In den letzten drei Monaten funktioniere ich an vielen Tagen, das konnte ich schon immer gut, leider ... ich möchte aber nichts verdrängen, bin bereit, mich der Trauer zu stellen und schreibe deshalb hier ... an Tagen, an denen ich nur funktioniere bin ich erschöpft, müde - Funktionieren ist anstrengend. Und ich habe Angst, dass ich die Trauer verdränge, wenn ich nicht oder nur wenig darüber rede ... irgendwann wird sie rauskommen.

    Liebe Ele,

    es gibt einen großen Unterschied zwischen verdrängen im Sinne von es nicht sehen und spüren wollen und dem Verdrängen als Schutz. Die ganze Trauer auf einmal wäre einfach zu viel. Darum ist Ablenkung und auch Funktionieren nicht nur eine schlechte Strategie, mit der Trauer am Anfang umzugehen. Es ist viel zu organisieren, zu planen, zu entscheiden. Da kann das Funktionieren sehr hilfreich sein.

    Und du suchst dir hier die Möglichkeit deine Trauer auszudrücken. Sie wird rauskommen - dann wenn es passt (oder scheinbar nicht passt) Du wagst es, deine Trauer anzusehen und sie anzunehmen. Das ist das Wichtigste. Du wirst ihre Wellen spüren und du wirst manchmal darin fast untergehen. Damit sie dich nicht ganz ertränkt, ist deine Strategie das Funktionieren. Es ist deine Strategie und dafür darfst du dankbar sein.


    Und du lässt die Trauer auch zu - und das ist wertvoll.


    Sei lieb gegerüßt

    Astrid.