Papa kürzlich und unerwartet gestorben, mit 34 keine Eltern mehr

  • Ihr Lieben,


    eure Beiträge haben mich immer so ermuntert, dass ich mich noch einmal an euch wenden mag.

    Es ist nun etwas Zeit vergangen, es sind Schulferien und ich kann etwas zur Ruhe kommen.

    Eine Sache beschäftigt mich jedoch noch enorm - diese quälende Einsamkeit, die Gewissheit, dass kaum einer meiner Freunde mein Schicksal auch nur annähernd nachempfinden kann, das Gefühl, es alleine aushalten zu müssen.


    Ich war gestern bei einer Freundin, die ich vor 2-3 Monaten das letzte Mal gesehen habe. Sie ist im Freundeskreis schon dafür bekannt, super beschäftigt zu sein, nur sie hat viel Stress, man muss sich terminlich immer nach ihr richten etc.

    Ich saß also bei ihr in der Wohnung, wir unterhielten uns lange über ihr Praktikum (sie ist in den Endzügen ihres Arztstudiums und hat meinen Papa 1 Woche vor seinem Tod im Krankenhaus sogar noch gesehen). Sie wurde dann relativ einsilbig, als ich anfing, zu erzählen. Auf die Frage hin, ob ihr das unangenehm ist, reagierte sie sehr distanziert und meinte, dass wir uns darüber unterhalten können, aber doch bitte nicht den ganzen Abend, sie braucht ihren Feierabend zum Abschalten und könne das dann schlecht.

    Ich war so vor den Kopf gestoßen, das ist mir bislang wirklich noch nie passiert. Ich würde sogar meinen, dass ich mich eigentlich sehr zurückhalte, ich nerve meine Freunde nicht, mache viel mit mir aus (weil ich sie eben nicht mit Themen wie Obduktion, offener Sarg, rechtsmedizinisches Gutachten, Embolie etc. nerven und belasten will). Da sie aber auch Medizinerin ist, konnte ich mich mit sowas immer an sie wenden.

    Es folgte dann ein etwas heftiger Schlagabtausch, so ganz wollte sie es nicht einsehen - ihr ginge das ja auch alles nahe (wir kennen uns seit 30 Jahren und sie kennt meinen Papa auch), sie habe sich auch viel mit ihrer Mama darüber unterhalten ... nur, das bringt mir doch nichts?!


    Ich habe dann versucht es diplomatisch zu lösen - es sei ein Kommunikationsproblem, ich dachte, sie wäre interessiert daran was passiert ist etc. Sei sie auch, es tut ihr auch leid, aber sie muss sich jetzt selbst schützen.

    Ich weiß nicht, ob ich zu viel erwarte, aber ich war so vor den Kopf gestoßen, so verletzt, dass ich dann in Tränen ausgebrochen bin. Ich dachte, dass genau das eine Freundschaft ausmacht. Ich bin immer für Freunde da, auch nachts um 3 und wenn selbst bei mir alles bis "Oberkante" steht. Ich glaube so einsam wie in diesem Moment habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Und gleichzeitig habe ich meinen Papa in diesem Moment so schmerzlich vermisst ...


    Ist es jemandem von euch mal ähnlich ergangen? Bin ich von meiner Trauer zu sehr eingenommen, sollte ich mich mehr zurückhalten, in Gesellschaft eine Maske aufsetzen und mir bloß nichts anmerken lassen (was ich eigentlich eh schon zu oft mache) ... ? Ist das die Überforderung mit dem Tod? Ich meine, wenn sie nicht darüber sprechen mag, weil sie sich schützen möchte, wie wird es dann wohl mir gehen - wo ich es tatsächlich durchlebe und noch nicht mal die Möglichkeit erhalten, meiner Trauer Raum zu geben und die Gefühle vor Freunden zu benennen?

    Es war ein komischer Abend.

  • Liebe KarenLe,


    also von einer angehenden Ärztin erwarte ich da etwas mehr Feingefühl wenn sie da schon nicht mit umgehen kann wie will sie das dann als Ärztin handhaben na Danke....solche braucht niemand sorry.


    Als Freundin sowieso aber ja diese Erfahrungen haben wir alle machen müssen leider.


    Vlg. Linchen

  • Liebe KarenLe,

    so jung und ohne die Menschen die einem bedingslos lieben, ist verdammt schwer.

    Ich weiß es leider auch wie sich das anfühlt.

    Damals war ich 30.

    Der Einzige der mir geholfen hat war mein Sohn.

    Und auch ihn mußte ich gehen lassen.

    Im letzten Jahr mit 38 Jahren.

    Ich kann sehr gut nachempfinden, wie du dich an diesem Abend bei deiner "Freundin" gefühlt haben mußt. Für mich wäre diese Freundschaft beendet.

    Und leid muß es dir um sie nicht tun.

    Auch sie wird Verlust erfahren. Auch sie wird weinen und ein schweres Herz haben.

    Viele denken, es trifft sie nicht.

    Ein lieber Mensch hat mir vor kurzem geschrieben 'der Tod ist nicht verhandelbar'.

    Genauso ist es.

    Du hast es schwer genug, da mußt du dich nicht mit Freunden umgeben, die, wohlgemerkt meine Meinung, keine sind.

    Empathie geht anders.

    Halt dich an deiner kleinen Familie fest.

    Das ist das was zählt.

    Viele Grüße

    Kathi

  • liebe KarenLe,


    wir "kennen" uns noch nicht, doch habe ich alle Beiträge von dir und allen die dir antworteten gelesen...

    Es war und ist einfach erschuetternd...

    Vielleicht kannst du gerade durch die Schulferien es dir ermöglichen , ich schreibe auch gerne gönnen , in einem Trauerkreis dich neben dem schreiben hier mehr "verstanden" zu fuehlen ?


    Vielleicht auch sogar eine Traumatherpie zu beginnen. Was du erlebt hast ist durchaus ein Trauma. Natuerlich trauern wir alle . Bei manchen entwickelt sich durch bestimmte Erlebnisse dann ein Trauma .


    Es gibt natuerlich kein muss !

    Weder bei deiner Freundin die dich 30 Jahre durch dein/euer Leben begleitet hat.

    Noch bei DIR!

    Meine Erfahrung ist sehr, sehr unterschiedlich ... Ich habe mich von einigen "alten Freund/innen" verabschieden "muessen" weil es einfach kein miteinander teilen mehr gab... Doch manchmal wurde es auch tief intensiv durch die Tode die ich von geliebten Menschen erlebt habe .

    Dann entstanden auch völlig , völlig neue tiefe Freundschaften mit Menschen in meiner realen Umgebung und auch hier in Aspetos.


    Dein Austausch mit Cildie habe ich "gerne" gelesen weil ihr so viele Parallelen habt. Ich glaube fest daran das sie dir auch antwortet . Das wann ist glaube ich im Moment bei vielen etwas "verlangsamt" wegen den Ferien.


    Meine Empfehlung <3:24::30:

    schreibe hier mehr doch besuche auch einen Trauerkreis

    und das DU dich mehr schuetzt.

    Wir Frauen neigen dazu immer fuer ALLE verfuegbar zu sein ...

    Das kann zur Ueberforderung fuehren...

    Du bist nach wie vor in Schocktrauer wenn nicht sogar traumatisiert ...

    Aus diesem Grunde sei lieb und fuersorglich MIT DIR.<3


    mein tiefes Mitfuehlen sende ich dir

    <3Sverja

  • Liebe KarenLe,


    Feingefühl, Mitgefühl geht anders...


    Das ist nach 30 Jahren Freundschaft ein Schlag ins Gesicht. Das tut mir sehr leid für dich. Das war sehr verletzend und enttäuschend.


    Wovor muss sie sich selbst schützen ??? Vor der Auseinandersetzung mit dem Tod... als Ärztin... nun ja...


    Auch wenn man selbst noch nicht in dieser Situation ist, könnte man wenigstens einfach nur mal zuhören, auch wenn man nicht helfen kann und nichts zu sagen weiß... das ist menschlich...


    Alles Liebe Pia

  • Liebe KarenLe


    Deine Enttäuschung über das Erlebnis mit deiner Freundin tut mir sehr leid.
    Kann sie nach deinen Schilderungen auch gut verstehen.


    Die Art und Weise ist nicht dir zugewandt.


    Und alles erst Wochen her.
    Deine Freundin hast du das letzte Mal vor dem Verlust deines geliebten Papas getroffen.

    Ist es nicht ganz verständlich dass du da beim ersten Treffen "danach" mit ihr darüber reden möchtest ?


    Es mag ja sein dass ihr das auch Nahe geht.

    Und vielleicht ist es ihr zu viel; kann damit nicht umgehen etc.
    Sie noch keine "Erfahrung" mit persönlichen Verlusten hat.
    Sie generell (viel) zu viel hat.

    Was auch immer. Als angehende Ärztin.


    Sich vor sich selber schützen...

    Naja.

    Manche bezeichnen das als Abgrenzung.


    Aber es ist wie erwähnt eben nicht dir zugewandt.
    Sondern auf gut deutsch empfinde ich das egozentrisch.


    Ich finde es sehr schade dass du bei ihr kein Netz findest.
    Gerade dann wo du es so dringend bräuchtest !

    Dich fallen zu lassen und einfach offen sein zu können.

    Das ist es doch was Freundschaft u.a. ist.

    Und eben - gerade nur wenige Wochen her.


    Selber habe ich nicht solche Erfahrungen bei meinem Freundeskreis gemacht.

    Habe nicht so einen grossen Freundeskreis. Einige wenige.

    Und war sehr froh eben da ein Netz zu haben was mich trägt.

    Das vergesse ich nicht.


    Also ich verstehe dich sehr gut dass dich das sehr traurig macht.
    Noch zusätzlich zum ganzen Trauerschmerz.


    LG
    King

  • Ich danke euch allen für eure aufbauenden und aufmunternden Worte, die mir sehr über den eigenartigen Abend mit meiner Freundin hinweg geholfen haben.

    Ich zweifle leider sehr stark an mir, hinterfrage mich sehr oft, suche den Fehler oft bei mir und habe dann in den entscheidenden Momenten nicht immer aber immer öfter den Mut auch für meine Bedürfnisse und meine Ansichten einzustehen. Mein erster Impuls war ja, zu gehen. Das habe ich dann nicht getan und bereue es im nachhinein. Ich habe in dem Moment nicht auf mich gehört und wollte es ihr recht machen. Andererseits möchte ich andere Menschen auch ungerne vor den Kopf stoßen.


    Ansonsten merke ich, wie ich wieder zurück ins Leben finde. Es sind nun 6 Wochen seit seinem Tod vergangen. Oft ist es noch immer sehr unreal, aber durch die vielen Etappen der Abschiednahme (Pathologie, Aufbahrung, Einäscherung) konnte ich seinen Tod be"greifen" und realisieren. Ich weiß, dass er nicht mehr wieder kommt. Auch bin ich noch in einem anderen Forum angemeldet, wo sich viele Angehörige über genau diesen heimtückischen Krebs austauschen. Eine Lungenembolie ist leider sehr typisch und passiert sehr häufig. Das hat auch das rechtsmedizinische Gutachten bestätigt, was ich angefordert und vor einer Woche erhalten habe. Beide Lungenarterien waren von Blutgerinnseln blockiert, die die sich im operierten Bein gebildet haben und an jedem Morgen zur Lunge ausgeschwemmt wurden - um sie dann zu blockieren. Kein Ärztefehler, einfach Schicksal.


    Zurück bleibt der Gedanke, dass es sehr schnell ging, er nicht leiden musste, wir ihn nicht leiden sehen mussten und ihm allerhand Therapie und damit verbundenes Leid/Schmerzen erspart wurde. So ist das scheinbar mit dem Tod, schlimm ist es für die, die zurück bleiben.


    Ich setze mich seit einigen Wochen vermehrt mit dem Thema Tod und dem Leben nach dem Tod auseinander. Ich glaube leider nicht an ein Leben nach dem Tod, auch wenn ich es mir noch so sehr wünsche. Aber ich glaube, dass alles irgendeinen Sinn hat und auch wenn es mir schwer fällt, etwas Gutes daran zu sehen, dass ich mit 34 ohne Eltern dastehe, so werde ich gestärkt wieder aus diesem Tal hervorkommen, resilienter werden. Das ist zumindest meine Hoffnung. Dennoch habe ich etwas Angst vor der Zukunft. Ich merke, dass ich ernster bin, sich ein Schleier auf mein Leben gelegt hat. Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder unbekümmerter sein kann, das Leben wieder umarmen und vor allem herzhaft lachen kann.


    Da es einige schon erwähnt haben: Ich habe Ende nächster Woche einen Termin bei der Trauerbegleitung. Meine Bestatterin hat es mir ans Herz gelegt und direkt einen Kontakt hergestellt.

  • Liebe KarenLe,


    das ist gut eine Trauerbegleitung hilft das ist ein guter Weg.


    Ich wünsche Dir viel Kraft und es dauert einfach es ist total unterschiedlich von Mensch zu Mensch der eine braucht Jahre der andere schafft es in einer kürzeren Zeit.


    Ja ich hoffe für uns alle das sich dieser Schleier irgendwann wieder erheben wird und wir in der Lage sind wieder etwas befreiten lachen zu können und Freude zu empfinden, auch wenn ich persönlich denke das immer ein Teil des Schmerzes mit uns geht und immer etwas da sein wird von dieser Traurigkeit zumindest ist es meine Erfahrung aus den vielen Verlusten meines Lebens und vor allem dem letzten Verlust.


    Vlg. Linchen

  • Liebe KarenLe,


    Ich finde mich in deinen Texten so sehr wieder! Du sprichst mir aus der Seele mit Worten, die ich bislang nicht finden konnte.


    Ich bin 35. Meine Mama ist vor zwei Monaten verstorben, mein Vater schon vor vier Jahren. Auch ich habe die Erfahrung machen müssen, dass man doch bitteschön so schnell wie möglich wieder zum Alltag zurück finden soll. Von meinem engsten Umfeld habe ich ganz oft nur hohle Phrasen erfahren, Aufgeben wäre keine Option, meine Eltern würden doch wollen, dass ich stark bin, ich soll nach vorne schauen, ich muss für meine Kinder da sein. Blabla. Ich weiß, es ist gut gemeint, aber es verletzt mich, weil ich das Gefühl bekomme, ich würde andere mit meiner Trauer belästigen und nicht ernst genommen werden.

    Meine allerbeste Freundin, die ich seit 20 Jahren kenne und von der ich dachte, sie würde mich am besten kennen, hat mir seit dem Tod meiner Mutter genau fünf lapidare Nachrichten über whatsapp geschrieben. Das belastet mich mehr als es sollte und ich sehe mich nicht in der Position, ihr erklären zu müssen, was ich mir von ihr wünschen würde.



    Alle meine Freundinnen haben ihre Eltern noch. Teilweise sogar noch einen Teil ihrer Großeltern. Verluste im engsten Umfeld haben die allerwenigsten erfahren.

    Ich glaube, für viele Gleichaltrige sind unsere Schicksale nur schwer zu ertragen, weil schlichtweg die Erfahrung mit dem Tod von engsten Bezugspersonen fehlt und unsere Geschichten erbarmungslos bewusst machen, dass auch ihre Eltern nicht ewig bei ihnen sein werden. Das Selbstverständliche ist plötzlich nicht mehr so selbstverständlich. Diesen Gedanken schiebt man lieber beiseite. Hätte ich vor fünf Jahren auch noch. Aber so funktioniert das Leben halt leider nicht.

    Andere sind einfach fassungslos und finden keine Worte, also sagen sie lieber gar nichts. Auch das verstehe ich, ich bin ja selbst fassungslos. Manchmal würde eine stumme Umarmung schon helfen.

    Ich spüre, wie sich viele krampfhaft darum bemühten, den riesigen Elefanten, der ganz offensichtlich im Raum stand, bloß nicht anzusprechen und bloß ganz schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen.

    Die dumpfe Hilflosigkeit, mit der sich einige Menschen in meinem Umfeld diesem Thema näherten, war wirklich erschreckend.


    Manchmal denke ich, ich hätte eine zu große Erwartungshaltung. Vielleicht ich das tatsächlich so und ich tue meinem Umfeld Unrecht. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass sich jemand die Zeit nimmt und mir zuhört. Und mir zugesteht, dass ich das alles scheiße unfair finde und die ganze Welt verfluche und es eben nicht ausreicht, 'einfach' nach vorne zu gucken. Wohin denn? Ich wollte so ein Leben nie. Für mich und meine Geschwister nicht ihr für meine beiden kleinen Söhne schon gar nicht. Der Plan war ein ganz anderer.


    Und für uns kommen ja noch ganz viele tägliche Einflüsse dazu. Die Großeltern, denen ich in der Krippe meines Sohnes ständig über den Weg laufe, lassen mein Herz in tausend Stücke zerbrechen. Weil es mir immer wieder mit voller Wucht ins Gesicht knallt, dass mein Sohn niemals von seiner Oma oder seinem Opa abgeholt werden wird. Und dass er sich an seine wundervollen Großeltern, von denen er bedingungslos geliebt wurde, nie erinnern wird, weil sie viel zu früh gestorben sind. Ich kann den Gedanken kaum ertragen. Und ich werde richtig neidisch auf alle, die dieses Privileg haben.


    Eine Trauergruppe habe ich mittlerweile 2x besucht. Ich bin dort mit weitem Abstand die Jüngste und fühle absolut fehlplatziert zwischen 'Kindern', sie selbst im Seniorenalter sind und die ihre 90- jährigen Mütter oder Väter an Altersschwäche verloren haben.

    Ich fühle mich schlecht, so zu fühlen, aber es ist so.


    Ich fühle mich verlassen, obwohl doch so viele Menschen um mich herum sind.

    Puh... Ganz schön viel Negativität. Aber manchen Dingen kann man einfach nichts Positives abgewinnen.

    Du siehst, der ablehnende gesellschaftliche Umgang in unserer Generation ist anscheinend leider keine Ausnahme. Du bist nicht alleine und ich schicke dir 1000 gute Gedanken!


    Es bleibt der sehnlichste Wunsch, dass irgendwann alles wieder gut wird. Nicht so gut, wie es einmal war oder wie man es sich erträumt hat, aber anders gut...

  • Liebe Shekinah,


    ich freue mich, dass auf auf meinen Faden aufmerksam geworden bist (wenn man das so sagen darf).

    Ich habe deine Geschichte bereits vor ein paar Tagen gelesen und hätte dir am liebsten sofort geantwortet, hatte aber Besuch und keine Zeit dafür gefunden.

    Schon beim Lesen deines Beitrages sind mir viele Parallelen aufgefallen. Mein Sohn ist im Februar `21 geboren, deiner im März; wir sind gleich alt; wir haben beide keine Eltern mehr; und was mich am meisten "schockierte": deine Mama starb am 25.05. - an dem Tag ist mein Papa noch 66 Jahre alt geworden, er starb dann kurz später am 01.06.2023.


    Ich denke und entnehme deinen Worten, dass wir beide gleich fühlen. Auch ich musste den Kopf schütteln, als du von deiner besten Freundin geschrieben hast, erinnert es mich doch so sehr auch an meine Freunde. Ein guter Freund aus Schulzeiten, mit dem ich die Monate/Jahre vor Papas Tod sehr regelmäßig abends ein Bierchen trinken gegangen bin, hat sich bis jetzt keine Zeit für mich genommen. Ähnlich wie bei dir erhielt ich 3 lapidare Nachrichten "Hey, ich hoffe, dass es dir mittlerweile etwas besser geht.". Als ich antwortete, dass bei mir noch nichts wieder gut ist, antwortete er, dass es ihm leid tut. Mehr nicht. Ähnlich wie du, will ich ihm auch keinen Vorwurf machen - er weiß es nicht besser. Andererseits helfen mir solche Nachrichten nicht. Ist das ein weiterer Nachteil von Social Media? Man erfüllt die Pflicht, sich kurz zu melden (aber ohne, dass es zu anstrengend ist) und kann das Handy danach beruhigt wieder zur Seite legen?!

    Auch fühle ich mich nicht in der Lage, wie du, und sehe es auch nicht als meine Pflicht an, besagte Freunde darauf aufmerksam zu machen. Ich habe keine Kraft dafür. Eine sehr liebe Freundin riet mir, konkret zu sagen, was ich brauche und mir wünsche - aber das fällt mir schwer, wenn mir so oft das Gefühl gegeben wird, eine Last zu sein. Sie dahingegen hielt 2 Stunden einfach nur meine Hand und hat mich erzählen lassen. Sie hatte keinen "schlauen" Rat, auch ihr tat mein Schicksal ungeheuer leid (sie war auch schon beim Tod meiner Mama vor 20 Jahren für mich da), aber sie hat es gemeinsam mit mir ausgehalten. Das hat mir viel Kraft gegeben und mich für einen kurzen Moment nicht einsam fühlen lassen.


    Es hat mich beruhigt, dass auch du zweifelst, ob du eine zu große Erwartungshaltung hast, es geht mir genauso. Aber ich denke, dass das der falsche Ansatz ist. Eigentlich erwarte ich gerade nichts, ich versuche nur Tag für Tag zu überstehen, zu heilen und zu verarbeiten. Eine absolute Ausnahmesituation, die man kaum alleine bewältigen kann. Wer diesen Weg nicht mit mir gemeinsam gehen kann oder will, raubt mir aktuell zu viel Kraft und Energie. Ich weiß nicht, ob es zu egoistisch ist, zu sagen, dass mir diese Menschen gerade nicht gut tun. Andererseits ist mein Kummer gerade so groß, dass ich mich schützen muss und schauen muss, was mir gut tut. Ich versuche Rücksicht zu nehmen, aber es hat aktuell Grenzen und da erwarte ich Verständnis. Es ist ja nicht meine erste Lebenskrise und bei aller Negativität, die ich aktuell genau so empfinde wie du, versuche ich auch etwas Positives mitzunehmen. Ich achte mehr auf mich und meine Bedürfnisse. Und verflucht, das ist mein gutes Recht bei allem, was ich bisher erleben musste.


    Was mich immer wieder ins Straucheln bringt sind die alltäglichen Erlebnisse, die man alleine erleben und bewältigen muss. Wenn Omas die Enkel abholen, auf den Spielplatz gehen, die Kinder am Nachmittag beaufsichtigen etc. Ich habe eine riesen Angst vor meinem Geburtstag (in 3 Wochen; ein paar Tage nach seiner Beerdigung), Weihnachten, Ostern ... Ich liebe meine Heimatstadt - vermutlich die tollste im Osten - ich lebe hier mein Leben lang und fühle mich pudelwohl. Ohne meine Eltern fühle ich mich jedoch "heimat"los. Es fühlt sich nicht richtig an.


    Auch will ich nicht jammern. Ich weiß, dass es noch ganz andere Schicksale gibt. Eine Freundin hat ein Kind mit einem Gendefekt zu Welt gebracht. Der kleine Mann wird nie wirklich sprechen und laufen können. Das Kind einer anderen Freundin ist ohne Poloch, mit Herzfehler und ohne Speiseröhre zur Welt gekommen, hat nun eine schlimme Fütterstörung (wiegt mit 3 Jahren 8 kg) und ist viel zu klein. Ich bewundere sie so für ihren Mut und ihre Stärke - sie hat tolle Denkansätze, die mir oft weiterhelfen. Man kann ein Leid nicht gegen ein anderes aufwiegen - aber es hilft mir zu begreifen, dass das Leben manchmal erbarmungslos ist. Leider habe ich dadurch meine Leichtigkeit und Zuversicht verloren. Die Trigeminusneuralgie meiner Mama ist schon verdammt selten. Der Blutkrebs meines Papas, das Multiple Myelom, zählt zu den extrem seltenen Krebserkrankungen. Eine Lungenembolie passiert, aber so wahrscheinlich trotz Blutverdünner und Thromboseprophylaxe ist sie nun auch wieder nicht. Wie viel Pech kann man haben?!


    Ich kann dir abschließend nur sagen, dass ich dich verstehen und deine Gedankengänge absolut nachvollziehen kann. Auch ich fühle mich einsam und verlassen, obwohl ich so viele liebe Menschen um mich herum habe. Solche Erlebnisse machen einsam. In meinem Kollegium haben wir sehr viele junge Kolleginnen, die ein ganz klassisches Leben führen. Mann, Kinder, Großeltern, Haus, gemeinsame Unternehmungen etc. Ich fühle mich ausgeschlossen, wie eine Fremde, fast wie eine Außerirdische. Ich habe dieses Leben nicht mehr und diese Erkenntnis fühlt sich wie ein Graben zwischen deren und meinem Leben an.


    Ich würde mich freuen, weiter von dir zu hören!

  • Liebe KarenLe,


    Ich muss es nochmal sagen, ich finde mich sooo in deinen Worten wieder! Ich freue mich sehr, dich hier gefunden zu haben, auch wenn der Grund sehr traurig ist.

    Unsere Parallelen sind wirklich sehr groß und ich fühle mich Dir und deiner Geschichte sehr verbunden.


    Zum Thema Freunde:

    Selbst wenn es gutgemeint sein mag, zu sagen: "Du kannst mich immer anrufen, wenn du mich brauchst" - dieses Angebot reicht nicht aus. Es ist irgendwie nicht weit genug gedacht und eher eine stumpfe Erfüllung der vermeintlichen Pflichten. Ich hab gerade gar keine Kraft, andere um konkrete Hilfe zu bitten, weil der Alltag schon alle noch vorhandenen Energiereserven frisst.

    Auch bei mir fragen Freunde, ob es mir denn schon besser gehen würde. Und ich weiß nicht, was sie sich für eine Antwort erhoffen. Nach einem Magen-Darm-Infekt wäre das eine berechtigte Frage, aber doch nicht nach dem Tod eines Elternteils. Und wenn ich dann antworte, dass es mir nicht wirklich besser geht, herrscht Schweigen. Aber ich kann doch den anderen nichts vorlügen, nur damit sie sich beruhigt fühlen.

    Und auch ich erwarte nichts, obwohl ich zugeben muss, dass ich bei manchen Äußerungen oder der Funkstille bei engsten Freunden schon einen Kloß im Hals habe. Vielleicht ist es gerade auch einfach zu schwierig, es mir recht zu machen.


    Ich hab diese Erfahrung auch schon bei meinem Vater gemacht. Da waren einzelne Freunde wirklich da und haben mir aus dem Trauerloch geholt. Mit seinem Tod hatte ich, auch dank meiner Mutter, aber irgendwie einen gesünderen Umgang, obwohl diese Erfahrung nicht minder schlimm war. Mit meiner Mama wirkt es jetzt, als würden die Leute nicht fassen können, dass ich ihnen ständig ein neues Drama präsentiere und uns das wirklich schon wieder passiert. Ach, es ist schwer.

    Und dann kommt meine eigene Ungläubigkeit dazu, dass jetzt tatsächlich auch meine Mama sterben musste. Nie hätte ich gedacht, dass uns das nach den Schicksalsschlägen der letzten Jahre wirklich auch noch passiert. Wie wahrscheinlich ist das auch? Und mir war bewusst, dass meine Mutter mit ihrer Diagnose wohl keine 80 Jahre alt wird. Aber dass uns nicht mal noch zwei, drei Jahre vergönnt waren, macht mich unfassbar traurig. Und so wütend.

    Wir sind so erzogen worden, dass alles Gute, was man in die Welt hinaus trägt, wieder zu einem zurück kommt. Davon sehe ich gerade nichts.

    Die Einsicht, dass das Leben einfach nicht fair ist, dass es einfach kein Karma gibt, keine Selbstverständlichkeiten und keine Garantien für irgendwas, diese Einsicht macht mir eine Himmelangst. Wie Du sagst, wie soll man denn das Leben weiterhin meistern und eine gute Mutter für seine Kinder sein, wenn einem die Leichtigkeit und das gesunde Urvertrauen nicht nur erschüttert, sondern so entrissen wurden? Ich will nicht so negativ durchs Leben wandern, aber gerade fühlt es sich nicht so an, als würde das wirklich nochmal anders werden. Vielleicht ist es das, was die Zeit leichter machen wird.



    Früher hab ich bei kleinen und großen Problemen einfach Mama oder Papa angerufen. Jetzt greife ich noch intuitiv viel zu oft zum Telefon – merken aber kurz vorm Wählen, dass der Anruf ins Nichts führen wird. Es wird niemand mehr abheben... Die Nachrichten keiner lesen, die Fotos niemand sehen. Weil da niemand mehr ist. Diese Erkenntnis ist widerlich und hart, und eigentlich lernt man erst jetzt so richtig, was es heißt, auf eigenen Beinen zu stehen. Und dann wundern wir uns, weil wir immer dachten, das wären wir schon längst.

    Und es klingt bescheuert, aber ich würde so, so gerne an ein Leben nach dem Tod glauben und dass da irgendwas kommt. Aber ich spüre nichts. Weder meine Mama, noch meinen Papa. Ich fühle mich beiden nach wie vor sehr verbunden, aber in der irdischen Welt spüre ich nichts. Vielleicht übersehe ich Zeichen, sollte es denn welche geben. Aber ich gucke wirklich aufmerksam hin. Da ist nichts. Keine Träume, kein Gefühl von Gestreichelt oder Getragen werden, keine Schmetterlinge die sich auf mir nieder setzen (...oder ähnliches). Und gerade, weil ich mit meiner Mutter so sehr verbunden war und sie seit ich denken kann eine spirituelle Ader hatte, bin ich maßlos enttäuscht. Wenn jemand Zeichen aus der anderen Welt schicken können müsste, dann doch wohl meine Mama!


    Direkt nach ihrem Tod hatte ich keine Zeit zum Trauern. Das kommt erst jetzt ganz langsam. Ich wache noch immer morgens auf und muss mir bewusst machen, dass das wirklich alles passiert ist.

    Nachdem sie gestorben ist, habe ich sofort umgeschaltet und wie ein Roboter alles abgearbeitet, was zu tun war. Und das war viel. Meine Mama war privat versichert und beihilfeberechtigt, es flattern immer noch Rechnungen ein. Sie hatte sich eine "Tree of Life"- Bestattung und keine Trauer- sondern eine Lebensfeier für die Öffentlichkeit gewünscht. Dafür musste in unserem kleinen erzkatholischen Dorf ein Bestatter gefunden werden, der ihre Urne nach Holland überführt und sich traut, eine so unkonventionelle Bestattungsart mit uns durchzuführen.

    Tausend Dinge zu erledigen, zig Ämtergänge und Anträge, Fristen, die eingehalten werden mussten. Viele Probleme, Rückfragen, Telefonate, Ärgernisse.

    Und dann gibt es noch unser Elternhaus, einst so voller Leben und sicherer Rückzugort, das niemand von uns übernehmen kann oder will und das jetzt verwaist ist. Und doch so vollgestopft mit Erinnerungen.

    Langsam werden die Rechnungen weniger, um die sich gekümmert werden muss. Und so sehr ich mich über den bürokratischen Wahnsinn geärgert habe, so sehr graut es mir vor dem Tag, wenn wirklich alles erledigt ist. Weil dann auch in diesem Lebensbereich die ekelhaft erdrückende Stille einkehren wird. Es ist paradox.

    Man rennt nicht sein Leben lang mit einer dunklen Wolke über dem Kopf rum, das habe ich aus meinem Schicksal gelernt und eigentlich weiß ich das auch ganz genau. So banal es klingt: Das Leben geht immer weiter. Es wird aber eine ganze Weile dauern, bis ich das wirklich begriffen habe.

    Ja, wir haben unsere Eltern verloren. Ja, das wird für immer weh tun. Aber: Wir werden das schaffen. Irgendwie. Ganz sicher. Und ich glaub, unsere Eltern sind ganz schön stolz auf uns. ♥

    ich umarme dich aus der Ferne und freue mich, von Dir zu lesen!





  • Hallo zusammen,


    Ich lese eure Beiträge und ihr schreibt genau das, was ich fühle, aber meist nicht in Worte fassen kann, und was man Menschen die nichts vergleichbares erlebt haben, wirklich schwer erklären kann. Seit dem Tod meines Vaters ist einfach dieses normale Lebensgefühl weg, was ich 26 Jahre hatte, Urvertrauen, oder wie du es auch beschreibst, der Glaube an eine Art Karma, was bei solchen Schicksalsschlägen einfach nicht mehr existiert. Ich war schon vorher nicht gläubig, jetzt bin ich es noch weniger, auch wenn ich es mir wünschte, aber es ergibt für mich keinen Sinn und ich sehe auch keine Zeichen o.ä.


    Die schlimmste Zeit der Trauer ist bei mir nach 9 Monaten "überstanden", glaube ich, was aber nicht heißt, das meine aktuelle Gefühlswelt wieder ansatzweise wie vorher ist. Ich glaube so wird sie nie wieder sein, ich kann es mir nicht vorstellen...

    Mir fehlt auch einfach dieses normale Lebensgefühl und diese Leichtigkeit von der ihr schreibt

    An sich versuche ich rational zu bleiben und gezwungenermaßen immer positiv zu denken. Wenn man der Verhaltenspsychologie vertraut dann führen positive Gedanken auch irgendwann zu positiven Gefühlen.

    An sich hab ich zwar dieses positive Lebensgefühl fast komplett verloren, aber wenn mir der Tod meines Vaters eine Sache nochmal deutlich gemacht hat, dann dass unsere Zeit doch wirklich begrenzt ist und es schneller vorbei sein kann als man denkt. Dass nichts selbstverständlich ist, dass Zufriedenheit lediglich damit zusammenhängt, wie dankbar man ist.


    Ich war leider zu wenig dankbar darüber, dass ich meine Eltern noch habe. Es ist halt in dem Alter eigentlich normal, aber das ist es dann auch wieder doch nicht. Ich möchte deswegen meine Lebenszeit und die Zeit mit meiner Familie nicht mehr mit meiner Negativität "verschwenden", ich möchte später nicht an diese Jahre zurückdenken und wissen, eigentlich ging es mir fast ununterbrochen schlecht, weil ich in Trauer gelebt habe...

    Gedanklich bleibe ich positiv, dankbar, glücklich, aber auf Gefühlsebene kommt das leider noch nicht an