Hallo,
es fällt mir schwer mit Menschen drüber reden, deshalb möchte ich jetzt alles einmal aufschreiben.
Es wird etwas länger und es muss niemand lesen, ich wollte es nur einmal alles loswerden.
Anfang Juli 2010 starb meine Schwester.
Sie war grade mal 20 Jahre alt, hatte grade vor ein paar Monaten ihre Ausbildung bestanden und wurde übernommen. Endlich lief in ihrem Leben alles gut. Sie ging sehr gerne mit ihren Freundin feiern und flirtete mit jedem der sich drauf einließ.
Meine Schwester war echt toll, über alles konnte ich mit ihr reden. Wenn mich irgendwas belastet oder aufgeregt hat, konnte ich mit ihr reden. Und sie natürlich auch mit mir.
Doch nun werden wir nie wieder miteinander reden können. Nie wieder werd ich mir ihre Geschichten über Jungs, Partys und ihrem Leben anhören können. Nie wieder werde ich sie mit unseren kleinen Cousinen spielen sehen (die mit ihrem Tod anscheint irgendwie leichter als alle anderen umgehen können). Nie wieder werde ich sie anrufen und fragen können ob sie mich "eben" mit ihrem Auto abholen kann. "Nie wieder" diese zwei Worte gehen mir immer wieder durch den Kopf.
Ich flog in den Urlaub, meine Schwester kam noch ein Tag vorher vorbei um mich "mal eben" wohin zufahren. Ihre Freundin war dabei, sie wollten selbst noch was für ihren Urlaub besorgen.
Vier Tage war ich dann schon unterwegs, als meine Mama anrief. Meine Schwester war am zweiten Tag ihres Urlaubs tödlich gestürzt. Niemand hat gesehen wie es passiert ist, man kann nur vermuten. Als ich es erfahren habe, saß ich nur da, ich weiß nicht wie lange, aber ich saß einfach nur da und weinte. Ich hatte das Gefühl nie wieder reden zu können. Aber ich musste ja, ich musste ja wieder nachhause. Bis ich zuhause war weinte ich sehr viel. Und als ich dann da war, bei meiner Familie, wurde es immer weniger. Wenn meine Mama weinte, nahm ich sie in Arm und unterstütze sie bei allem was ich konnte.
Aber ich wollte nicht mehr weinen. Ich wollte nicht schwach sein. Wenn ich weinte, dann nur wenn ich alleine war. Irgendwie will ich es nicht wahr haben, dass ich nie wieder mit ihr reden kann. ich mein, ich hab sie in ihrem Sarg liegen sehen und es war meine Schwester, die da in dem Sarg lag. In diesem Moment und auf der Beerdigung, da habe ich dann noch mal vor allen geweint. Ich rede kaum mit jemandem darüber, ich möchte einfach nicht vor anderen weinen. Ich weiß auch nicht, aber irgendwie ist es in meinem Kopf drin, dass ich nicht schwach sein darf. Und ich mein Leben weiterleben muss, wie vorher auch. Und ich möchte andere auch nicht immer wieder mit dem Thema "belasten", immerhin haben sie ja auch ihre eigenen Probleme. Wir haben im gleichen Betrieb gearbeitet, ich bin natürlich immer noch da. Meine Kollegen sind echt super. Letzte Woche kam nun eine neue Kollegin, die ihre Stelle übernimmt, irgendwie ist das ein komisches Gefühl. Immerhin ist das IHR Schreibtisch bzw. Arbeitsplatz gewesen. Und es stehen immer noch ein paar ihrer Sachen da, weil die Kollegen es auch einfach nicht wegräumen können. Aber wirklich reden kann/will ich auch nicht mit ihnen.
Selbst mit meinem Freund rede ich nicht.
Wenn ich traurig bin, dann schluck ich es runter, ich bin dann lieber zickig und mies drauf als traurig.
Eigentlich weiß ich ja, dass es ok ist zu weinen und traurig zu sein, aber ich möchte mein Leben auch weiter leben und nicht jeden Tag weinen, vor allem nicht vor anderen bzw. Menschen die ich mag.
Was noch hinzukommt, vor etwa zwei Jahren erzählte meine Schwester mir das unsere Bruder sie als sie Kind "angefasst" hat. Er ist einige Nächte in ihr Zimmer gekommen und hat einfach mal sehen wollen wie Frauen so aussehen und sich anfühlen. Sie hat es unseren Eltern nie erzählt, ihre Freundin wusste davon und mir hatte sie es dann erzählt. Ich hab ihr versprochen es nie weiterzuerzählen, was ich auch nie gemacht habe. Als sie dann starb, dachte ich irgendwann, naja jetzt wird meine Mama es nie erfahren. Ein paar Tage später schaute ich noch mal durch ihr Zimmer. Vor Ein paar Tagen, sprach meine Mama mich darauf an, dass sie ihr Tagebuch gefunden habe. Sie wusste es. Ich wollte nicht, dass sie es je erfährt, weil meine Schwester es nicht wollte, weil es die Familie kaputt macht, weil es jetzt eh vorbei ist. Ich ärger mich so, dass ich als ich in ihrem Zimmer war, ihr Tagebuch nicht gefunden habe, ich hätte es mitnehmen könne, ich hätte die Seiten rausreißen können. Aber jetzt weiß sie es, und natürlich hat sie jetzt Gewissensbisse. All das hätte ich ihr ersparen können, wenn ich nur etwas genauer geguckt hätte. Sie meinte es würde mich belasten, es geheim zuhalten, aber es belastet mich viel mehr, dass sie es jetzt weiß.
Es fällt mir schwer über all das mit jemandem zu reden.
Ich weiß auch nicht genau was ich machen soll. Ich weiß selbst, dass ich mehr verdränge als verarbeite. Aber ich kann es nun mal nicht anders.