Liebe Jenny,
Auch von mir mein aufrichtiges Beileid zu deinem plötzlichen Verlust.
Zuallererst möchte ich dir etwas sagen, das viele hier bestätigen können: Es gibt in der Trauer kein "normal" und dementsprechend auch kein "nicht normal".
Ich komme da später noch mal drauf zurück.
Aber zunächst möchte ich gerne die Schuldgefühle ansprechen, diese Fragen, die du dir stellst. Ich denke, dass das tatsächlich etwas ist, das viele kennen und sie nicht so schnell los lässt.
Du schreibst, dass die Kripo da war. Das ist gut. Ja, wirklich. Warum ich das so schreibe? Als mein Mann an einem plötzlichen Herztod starb, war es genauso.
Der Notarzt verständigte die Kripo, erklärte mir wieso und warum und dann kamen zunächst zwei Streifenpolizisten, um sicherzustellen, dass nichts verändert wurde, bis die Kripo kam.
Ich habe in meinem Wohnzimmer etwas ausführlicher dazu geschrieben.
Der Hintergrund: Bei einem plötzlichen Tod in relativ jungen Jahren (und deine Mama zählt mit 71 da absolut noch zu) und mit durch den Notarzt eingetragener "unbekannter Todesursache" müssen drei Dinge so weit wie möglich ausgeschlossen werden:
Fremdverschulden (Mord), Eigenverschulden (Suizid) oder unterlassene Hilfeleistung von Seiten der Hausärztin (Krankheiten übersehen, falsch behandelt), des Notarztes (falsche Maßnahmen) oder sogar mir (erst mal eine Runde um den Block laufen, einen epischen Film im Kino sehen oder sowas ... mit anderen Worten: Bewusst falsch oder viel zu spät (re)agiert)
Dazu wird sich die Auffindesituation genau angeschaut, zudem auch der Rest der Wohnung / des Hauses, es wird von allem Fotos gemacht und eine Menge Fragen gestellt, zu Lebensumständen, Krankheiten, Medikamenten, etc. Anschließend wird der Leichnam beschlagnahmt, um noch mal ein wenig genauer unter die Lupe genommen werden zu können.
Sollten alle drei Punkte anhand dieser Informationen ausgeschlossen werden können, findet keine Obduktion statt und die Leiche wird "freigegeben".
Ich schreibe das sehr nüchtern, aber tatsächlich war ich bei all dem nicht wirklich die ganze Zeit so ernst. Nein, ich war auch nicht hysterisch oder panisch oder in Tränen aufgelöst. Im Gegenteil. Ich musste an ein, zwei Stellen wegen einer gewissen Situationskomik, die auch meinem Mann sehr gefallen hätte, sogar spontan lachen. Nicht hysterisch, sondern wirklich lachen.
Es gibt zwei Gründe, warum ich dir hier davon erzähle:
Zum einen ist es gut, dass die Kripo vor Ort war und dass sie den Körper deiner Mama ohne Obduktion freigegeben haben.
Ich bin mir sicher, dass dir das auch alles genauso erklärt wurde wie mir, denn ich musste sogar unterschreiben, dass ich genau darüber aufgeklärt worden bin - es gehört also zur Routine, darüber aufzuklären.
Aber vielleicht ist dir nicht voll bewusst, was es wirklich bedeutet. Besonders die dritte Sache, die dadurch ausgeschlossen werden soll: Unterlassene Hilfeleistung. Und das ist mit anderen Worten nichts anderes als: Wenn das und das noch getan worden wäre, könnte der oder diejenige noch am Leben sein ...
Offensichtlich traf das nicht zu und ja, das kann man auch ohne Obduktion feststellen. Sie können vielleicht nicht den genauen Todeszeitpunkt feststellen. Aber mit ziemlicher Sicherheit anhand der Körpertemperatur und einiger anderer Dinge einen ungefähren Zeitrahmen.
Oft können sie sogar eine grobe Ursache erkennen und feststellen, dürfen sich aber natürlich nur im Konjunktiv dazu äußern, da es natürlich nicht durch eine Obduktion belegt wird.
Da bei deiner Mama aber anscheinend alle drei Punkte, also auch die unterlassene Hilfeleistung, ausgeschlossen werden konnte, musst du dir keinerlei Gedanken machen, dass du keine Reanimation versucht hast. Vermutlich hat dein Verstand im Unterbewusstsein schon sehr nüchtern wahrgenommen, dass sie bereits gegangen war, ohne dass dir das direkt bewusst war.
Aber eine Frage dazu: Du warst währenddessen doch bestimmt noch mit dem Notruf verbunden, oder? Haben sie dir keine Anleitungen gegeben? Also außer dem Umdrehen?
Der zweite Grund, warum ich das erzähle:
Als mich bereits am nächsten Tag ein sehr kompetenter und empathischer Mann von der Kripo anrief, um mir mitzuteilen, dass die drei Dinge ausgeschlossen wurden und die Leiche meines Mannes zur Bestattung freigegen sei, musste ich in dem Gespräch an einer bestimmten Stelle wieder lachen.
Ich fragte den Herrn dann ganz spontan, ob er mich jetzt für nicht ganz dicht halten würde und erzählte ihm auch von den Situationen, als die Kripo bei uns vor Ort war. Seine Antwort war im Prinzip, dass er schon sehr lange im Dienst sei, einiges erlebt hätte und er daher sagen könnte, dass jeder unterschiedlich reagiert und sich verhält. Sich "normal" verhalten, sich sogar normal fühlen, als wäre nichts geschehen, komplett hysterisch sein, absolut apathisch reagieren, sogar Humor zeigen, wie in meinem Fall - all das sei absolut normal und ja, er würde schon sagen können, ob irgendwas davon nur geschauspielert sei.
An keiner der Reaktionen ist also irgendetwas verwerflich. Jeder Mensch ist anders, jede Situation ist anders.
Denke also bitte nicht, dass du "abgestumpft" bist. Im Gegenteil.
Was ich wichtig finde, ist, dass du die Trauer zulässt. Dass du nicht versuchst, sie zu verdrängen. Denn dann kommt sie mit Sicherheit irgendwann mit Wucht zurück, wenn man es am wenigsten erwartet.
Du schreibst, dass du Angst davor hast, dass "dieses Gefühl noch Wochen oder viel mehr Monate geht" ... Das ist sehr gut möglich. Es ist natürlich auch möglich, dass du das viel schneller "wegsteckst". Wichtig ist eben nur, dass du es dann wirklich verarbeitet hast.
Dass das Verblassen ein Zeichen von "damit klar kommen" und "es akzeptieren" ist und nicht des Verdrängen.
Bitte verwechsele das nicht, nur weil du Angst hast, dass das Gefühl dich sonst sehr lange begleitet.
Ich denke, dass du im Moment fast eher noch in einer Art Schockstarre bist, wo sich die Emotionen in beinahe schwindelnder Geschwindigkeit abwechseln, während du gleichzeitig einen ganz typischen Schutzmechanismus "aktiviert" hast, nämlich den, der dafür sorgt einfach zu funktionieren.
Das ist etwas, das die allermeisten erlebt haben.
Das Schöne ist, dass du ein gut funktionierendes und tolles Umfeld zu haben scheinst. Einen Partner, einen Bruder, die beide für dich da sind, wie es scheint und sogar eine tolle, verständnisvolle Chefin. Das ist ziemlich wichtig, denn so kannst du dir einfach erlauben, in der nächsten Zeit einfach du zu sein und musst dich nicht verbiegen.