Beiträge von Hayat

    Liebe Medina, liebe Astrid,


    herzlichen Dank für Eure Rückmeldungen. Ja, letztlich bin ich froh, hingegangen zu sein. Unser Abschied war offen - ich bekomme es mit, wenn sie die Reise überlebt und es ihr so gut geht, dass sie auch weiterhin arbeiten wird und falls nicht - ich bin einfach nochmal da gewesen, wir haben einander umarmt und irgendwie ist es dann auch rund.


    Astrid, auch von Deiner menschelnden Menschlichkeit zu lesen, tut einfach gut und entlastet. In der Tat - ich gelte teilweise ja schon als "Fachfrau" und privat ist mir das manchmal ehrlich nicht angenehm, zumal ich einfach nur aufrichtig sein und mich nicht hinter der Rolle verstecken mag.


    Liegt es eigentlich am Lebensalter, dass die berüchtigten Einschläge immer näher rücken? 2017/2018 empfand ich als wirklich aufwühlend in Sachen Tod, Krankheit und Sterben - vor allem noch relativ junge Menschen - Menschen meines Alters +/- und 2019 hält uns mit unguten Nachrichten auch bereits wieder in Atem. Immerhin fanden wir heute eine Vorinfo für eine Hochzeit im Juni 2020 in der Post vor. Ein Neffe meines Mannes heiratet - ein sehr, sehr liebenswertes junges Paar - mir standen die Tränen in den Augen angesichts der Tatsache, endlich mal wieder etwas Freudiges zu feiern.


    Schönen Abend Euch,


    Hayat

    Guten Abend,


    lange, lange habe ich hier schon nichts mehr geschrieben. Für etliche Monate brauchte ich Abstand von Tod, Sterben, Siechtum und Hospizarbeit. Für die, die mich nicht kennen: Ich hatte mich kurz nach dem Tod meines Vaters hier angemeldet. Ehrenamtlich bringe ich mich in einem ambulanten Hospiz ein als Sterbebegleiterin - mit viel Hingabe - bis es mir angesichts sehr naher und gehäufter Sterbefälle in meinem direkten Umfeld zuviel wurde. Hinzu kam, dass nahezu alle meine Begleitungen bislang ausgesprochen schwierig und letztlich meine Kraftreserven aufgebraucht waren.


    Aktuell beschäftigt mich die Nachricht, dass eine Kollegin, die ich sehr schätze und mag, fortgeschritten an Leberkrebs erkrankt ist und nur noch eine sehr begrenzte Lebenszeit haben wird. Der Tumor ist sehr aggressiv und wächst schnell (es ist nicht die erste Krebserkrankung gewesen). Eine Chemo, die den Tod nicht mehr stoppen, höchstens eine kleine Weile herauszögern würde, lehnt sie ab, lässt sich nun noch einmal homöopathisch einstellen, damit das, was kommt, evtl. erträglicher wird und der Tumor langsamer wächst und plant noch eine große Flugreise. Hut ab, kann ich nur sagen. Sie hat bislang immer so gelebt, als sei dies der letzte Tag, sich alle Wünsche erfüllt und sagt jetzt, dass sie wenigstens nicht mit dem Gefühl geht, irgendetwas versäumt oder nicht getan zu haben, was sie sich je gewünscht hätte.


    Davon erfahren habe ich erst Ende letzter Woche und ich ditschte eine Weile mit mir herum, ob ich heute nochmal bei ihr vorbeischauen soll - sie ist noch berufstätig und wird Ende der Woche je nach Verfügbarkeit des Bettes entweder zuerst die Homöopathie starten und dann fliegen oder umgekehrt. Ich sollte den Umgang mit Schwerstkranken doch gewohnt sein - aber ich durfte heute die Erfahrung machen, wie sehr mich doch die Funktion des Ehrenamtes schützt. In dieser "Rolle" kann ich gut und einfühlsam mit den Menschen sein - doch als Privatperson, die eine solche Nachricht so unvermittelt erfährt - war ich heute wie vernagelt. Wir plauderten über Urlaube, Wetter, meinen zuckerkranken Gatten, bis ich mich dann doch an den Krebs heranpirschte und ja, was kann man einer Person mit dieser Diagnose noch sagen - es kommt mir so banal vor und ich fühlte mich unendlich hilflos. Gute Ratschläge sind Schläge ins Gesicht - ich bin letztlich einfach nur noch mitgegangen. Auch der Abschied war seltsam. Wenn sie dem Krebs noch ein Schnippchen schlagen kann, wird sie nach dem Urlaub eben weiterarbeiten oder es kann auch sein, dass sie die Reise nicht überlebt. Gute Reise wünschen?? Ich blieb dann bei der "guten Zeit!" Was mich anrührt und immer noch beschäftigt, ist die Disziplin und die Größe, mit der sie das Ganze trägt. Zum Glück bereitet ihr der Tumor keinerlei Schmerzen - wenigstens das bleibt ihr erspart.


    Wie geht Ihr mit sowas um?


    Dies und das? Hat sich etwas im Moderatorenteam verändert? Ich bin Christine und Astrid so dankbar für ihre vielen Rückmeldungen an mich, die mir während meiner Stille hier immer noch dann und wann nachg ingen.


    Danke fürs Zulesen,


    von Herzen:

    Hayat

    Guten Abend in die Runde,


    puh, viel los war hier... Claudia Amitola ist gegangen, Katharina gleich noch dazu...


    Ich bin in den vergangenen Wochen gefühlt in der Unterwelt gewesen und noch nicht wieder ganz im kompletten Leben drin. Bin viertel durch Europa gereist, einmal Dänemark, einmal Berlin, momentan erkrankt, Habe mir in Berlin einen Virus eingefangen und bin einfach nur dankbar, dass er sich gerade auf mir niedergelassen hat. Die Reisen waren gut getarnt mit Landschaft und mit Metropolenleben, doch untendrunter lauerten alte Wunden, die nach Offenlegung schrien und dem Offenlegen gebe ich gerade mit Unterstützung der Krankschreibung nach. Ich befinde mich seit der Rückkehr nun in der zweiten Woche zu Hause und habe nach mindestens 6 Jahren voller Elternbetreuung, Familientheater und beruflicher Überlastung zum ersten Mal 2 x 5 Tage am Stück Zeit für mich ganz allein. Zeit für mich ganz allein... Ich bin so dankbar, dass ich in der ersten Woche ein bisschen Schnupfen, viel Husten und keine Stimme mehr hatte - kein Sprechenmüssen, kein Telefon, kein What'sApp und Geschichten - einfach nur STILLE und physisch völlig unverändert fit und in Form war und nun, in der zweiten Woche, sind die Erkältungssymptome bis auf die Schwachstelle Sprechen weg und dafür fühle ich mich geistig super, jedoch physisch platt und habe so die Zeit und die Ruhe, auf dem Sofa zu hocken, Schreibübungen zu machen, zu lesen und draußen wirklich kleine Wege zurückzulegen. Ich mistete gestern im Schlafzimmer alte Dämonen aus in die diversen Mülltonnen, schaffte wieder etwas Platz und Ordnung um mich und übte echtes Loslassen. Ich räuchere das Haus mit "Palo Santo" aus - ein wunderbares Holz aus Peru und treibe auch damit böse Energien in die Flucht.


    Ich bin momentan voll mit meinem eigenen Kram und komme im Forum kaum nach - v iellelicht öffnet sich hier auch wieder etwas.


    Was die Trauer angeht, die mich hergeführt hat, verändert sich vieles. Seit mein Vater zu seiner Frau mit ins Grab gewandert ist, ist das Grab nicht mehr mein Sprachort, um mit meiner Mutter im Kontakt zu sein. Der neue Sarg obenauf stört für mich die Verbindung, die zu Lebzeiten ja nie wirklich gegeben war. Ich fahre gelegentlich hin, versorge die Pflanzen und halte alles sicherlich hübsch und in Ordnung, wie sich das vor allem meine Mutter vermutlich gewünscht hätte - doch mehr auch nimmer. Früher war Allerheiligen neben St. Martin immer "mein" Dunkeljahreszeitenfest, noch vor Weihnachten - da war ich in diesem Jahr erstmals verreist und habe nicht mal eine Kerze neben die Tür gestellt. Ich hatte einfach keine Lust. Bin sehr in der Aufarbeitung von Altem, so voller endlich empfundenem Zorn, wahrgenommener Kindereinsamkeit und Verständnis für MICH - die beiden haben sich für andere Wege entschieden, die ich nicht teilen oder verstehen muss.


    Bin mal gespannt, wie Weihnachten so werden wird. Beide Eltern tot, Familienkontakte gibt es so keine, der eine Sohn vagabundiert seit Jahren durch die Weltgeschichte und der andere ist während unseres Urlaubs quasi unbekannt verzogen. Ich weiß, wo er ungefähr wohnt, mehr auch nicht und seine Lebensgefährtin kann Weihnachten nichts abgewinnen. Nun denn. Wir laden niemanden ein, es muss niemand kommen, wir verstehen uns auch zu zweit und mein Bäumchen werde ich so oder so ansingen. Vielleicht kommen am zweiten Tag Freundinnen zum Musizieren - alles ist im Fluss, alles ist offen. Blieben wir alleine, wäre es vollkommen okay für mich. Weihnachten ohne Theater, würde gerade gut passen.


    Vorher reisen wir weiter - an die Mosel, nach Lübeck, an die Saar und zwischen den Jahren nach Hamburg. Wir haben Karten fürs Silvesterkonzert gebucht und darauf freue ich mich riesig. Mein Leben ist manchmal schwer, doch zwischendrin irreal schön.


    Und... Ich habe vielleicht einen neuen Gitarrenlehrer gefunden. Vergangenen Montag war ich zum Kennenlernen - mit allen Blockaden und Ängsten dieser Welt, die sich wie Basaltklumpen auf meine Finger setzten, doch irgendwie ging es trotzdem - vielleicht habe ich eine gute Adresse gefunden. Es gibt keinen Vertrag, was ich als sehr befreiend empfinde und ich werde voraussichtlich einmal monatlich für eine volle Stunde hinfahren. Schaumermal - momentan überwiegt die Freude die Angst.

    Herzensgrüße,

    Hayat

    dann geht es auf Reisen und soeben habe ich mich in einem Akt der Selbstfürsorge wegen Rückenschmerzen auf den Heimweg gemacht. Ich habe mich gefragt , welchen Sinn das macht, Schmerzmittel zu nehmen , mich zu quälen und gleichzeitig doch zu wissen , dass es der Schmerz ist, der bei mäßiger und dauernder Bewegung mit vielen Positionswechseln meist verschwindet .Diesmal ist es vielleicht etwas mehr, doch jetzt bin ich zu Hause und werde hier ein bisschen entspannen in der Bewegung...


    Danke fürs Teilen und Rückmelden!


    Hayat

    Ja, liebe Astrid , dem stimme ich voll und ganz zu. Blockierte Wut macht müde und schlägt auf den Rücken. Gerade ist Stehen ähnlich unangenehm wie Sitzen. Der Ärger türmt sich familiär und beruflich und bei beiden sind die Situationen so, dass geäußerte Wut fatal sein könnte. Was mir hilft, ist das, was mich ärgert , zu benennen und aus meinem Hirn zu entlassen und in praktisches Tun zu kanalisieren. Eine Woche noch...


    Hayat

    Guten Abend und ein herzliches Danke für noch nicht kommentierte Rückmeldungen!


    Ich befinde mich gerade auf der Durchreise zum Geldverdienen und Staubwischen - so habe ich gedacht und irgendwie ist alles anders.


    Wir waren zwei Wochen in Dänemark und beendeten quasi den anlässlich des Todes meines Vaters abgebrochenen Urlaub an der Nordsee. Das Wetter war leider nicht mehr ganz so strahlend wie noch im Mai - doch die Tage waren wohl die seit Jahren interessantesten, die ich je in einem Urlaub verbracht habe.Vier Freundinnen, ein Ehemann und zwei Hündinnen waren auf große Abenteuerreise - unfreiwillig nach Innen - gegangen... Ich war zwei Wochen lang fluchtlos von den mir vertrautesten Menschen umgeben. Davon kenne ich zwei Personen eigentlich immer nur stundenweise, meine beste Freundin hatte ich im Haifischbecken einer Psychoklinik kennengelernt - das schweißt zusammen für drei Leben und meinen Mann kannte nur eine Freundin richtig. Was sich zutrug, war zu erwarten, teils heftig, teils anrührend, teils nahe an der Erträglichkeitsgrenze und gleichzeitig HEILSAM. Und: Ich fühle mich allen Beteiligten nun fast noch näher und verbundener als vorher.


    In der Therapie bröseln wir all die Ereignisse nun auf und allem voran bin ich gerade mit nicht gelebter Wut konfrontiert, die sich akut in bleierner Müdigkeit äußert. Darf die Wut an die frische Luft, bin ich auch gleich weniger müde.


    Spannend ist in dem Zusammenhang, dass ich seit dem Urlaub mehr fühle, egal was. Seien es Freude, Dankbarkeit, Zuneigung, Liebe - das kommt gerade ziemlich unkonventionell aus mir herausgeballert - und relativ unkontrolliert noch dazu. Gestern habe ich mich in eine Brillenfassung spontan verliebt - eigentlich brauche ich keine neue Brille, aber diese ist die erste in 51 Jahren, die mir auf Anhieb in sich und dann auch noch mir auf meiner eigenen Nase richtig, richtig gefällt und seit gestern bin ich dauerhipp. Ich bringe sie morgen zurück und dann werde ich mir mal ein Angebot machen lassen. Dieses exklusive Designerding kann ich mir sicherlich nicht mal eben aus der Portokasse leisten, aber mal sehen. Spätestens im Dezember gibt es dann eben das besondere Weihnachtsgeschenk von mir selbst an an meine kleine, süße Innenprofessorin.


    Freude angesichts der Fülle meiner Heimatregion. Seit wir aus dem kargen Dänemark zurück sind, bin ich erschlagen vor lauter Fülle und Erntedank bei diesem großartigen Wetter. Meine Vorräte an Walnüssen und Äpfeln sind reichlich und ich kreiere mit totaler Lust und Freude die abenteuerlichsten Dinge in Herd und Backofen.


    Und die beinahe größte Freude: Vielleicht habe ich einen neuen Gitarrenlehrer gefunden! Nach unseren Musiksessions im Urlaub war ich schon sehr geknickt, meinen seit 40 Jahren spielenden Freundinnen nicht mal ansatzweise nur die Fata Morgana eines Wassers reichen zu können. Neben der jahrelangen Routine kommt bei beiden einfach noch eine musikalische Begabung bis Hochbegabung hinzu. Das macht mich dann einfach furchtbar traurig. Ich spiele seit 4 Jahren und dafür ist es schon ganz okay - aber Zupfen und zwischendrin auch noch Melodie reinspielen - federleicht zu diversen Barreegriffen... Geht halt nicht. ABER es spornt mich auch an. So machte ich mich einen Abend lang intensiv auf die Suche und entdeckte tatsächlich wen, bei dem ich das Gefühl habe, dass es passen könnte. Ein paar Mails gingen hin und her, heute machten wir einen Termin zur Probestunde und allein die Rückmeldung zu dem, was ich wirklich nur sehr knapp vom Zerwürfnis mit meinem früheren Lehrer berichtete, tat unendlich gut. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sich dieser Mensch einfach total kindisch und arschig verhalten haben könnte! Und das nicht nur beim Streit, sondern eigentlich fast vier Jahre lang, wenn ich zurückdenke... Hayat MUSS anscheinend leiden, um zu verstehen...


    Soweit dieses Update. Noch eine Woche und dann gehts ab in die Lüneburger Heide und die große Bärenstadt!


    Herzgrüße von

    Hayat

    Liebe Blaumeise,


    auch ich kann mich den Vorherschreibenden nur anschließen. Die Auflösung eines Grabes kann wirklich heftige Gefühle auslösen! Als das Grab meiner Großeltern mütterlicherseits geräumt wurde, ging es mir furchtbar. Das war immer "mein Ort" und als ich später wieder dichter bei wohnte, besuchte ich es beinahe jedes Wochenende. Meine Eltern sind auf dem gleichen Friedhof begraben und von ihnen aus kann ich immer die noch die bestehende Lücke und den leicht eingesunkenen Boden sehen. Ich weiß, wer dort liegt und heute ist es gut so für mich. Damals fand ich nach der Räumung noch zwei vergessene Buchstaben der Inschrift vor, die ich mir mitgenommen habe. Die werde ich demnächst kreativ am Elterngrab installieren.


    Was mich gerade etwas wütend macht, ist der Satz zum Verzeihen gegenüber Deinem Vater. Solch (unbewusster) Verzeihungsdruck ist für mich wie eine weitere Ohrfeige der Schwarzpädagogik an unsere eh schon traumatisierten inneren Kinder. Ich finde, wir müssen gar nichts vergeben. Nach meiner Erfahrung schrumpfen Schmerz und Wut im gleichen Verhältnis zueinander zusammen, wie wir uns bewusst diesen furchterregenden Erinnerungen stellen und sie als Teil unseres Selbst integrieren. Ich habe meinem Vater nie "vergeben" und mit jedem weiteren Schritt , den ich wage, Licht in die Lüge meiner Familie zu bringen oder im Heute erkenne, was alt ist durch neue, heilsame Erfahrungen ersetze, kehrt auch Ruhe ein.


    Es geht m.E. nicht darum , Versöhnung zu üben, sondern mich meiner Wut und meinem Schmerz zuzuwenden und mir selbst gegenüber zu FÜHLEN, ja, das und das habe ich erlebt und es war schlimm. Wichtig erscheint mir das Fühlen, das Benennung und vor allem das Nichtverurteiltwerden für das, was ICH erfahre.


    Herzgrüße von

    Hayat

    Guten Abend,


    weiter im Danach. Ein eigentlich normaler und irgendwie doch anders-normaler Tag liegt hinter mir. Ich glaube, hoffe, wünsche, dass die seit dem Tod meines Vaters anhaltende Lethargie zumindest mal einen Schubs bekommen hat.


    Zur Vorgeschichte, quasi. Mein Mann hatte "sich" Freunde aus Frankreich eingeladen, die wir im vergangenen Jahr - anlässlich einer Trauerfeier... - kennen- und sehr mögen gelernt haben. Wir folgten im Juni einer Einladung nach Paris und vergangenes Wochenende stieg dann der von mir nicht gewollte Gegenbesuch. Er lag mir eine Mischung aus Basaltfindling und Blei im Magen. Ich selbst lasse nach 10 Betreuungs- und Pflegejahren nebst Fremdbewohnung unseres Hauses durch diverse Lebensgefährtinnen eines unserer Kinder nur noch wirklich ganz vertraute Menschen ein, weil ich zumindest vor mir selbst und meinem Mann offen zugebe, dass ich die Hausarbeit nicht mehr bewältigt bekomme. Es hat sich einfach viel angesammelt, dem ich oberflächlich sicher begegne, doch für gründlich reicht die Kraft nicht mehr - und ehrlich gesagt, seit einigen Monaten auch nicht mehr die Lust. Ich überblicke es nicht mehr. Aber egal. Das ist nicht das Thema.


    Der Besuch rückte an und die ganze Nummer war eine echte Herausforderung an meinen Selbstwert. Ich spreche wenig Französisch, mein Mann dafür fließend und so hatte ich nicht mal die Möglichkeit, im Vorfeld irgendetwas zu schreiben, zu kommunizieren, was mir das Ganze hier gemildert hätte. Also volle Fahrt auf Empfang... Donnerstag und Freitag legte ich einen atemberaubenden Küchenmarathon hin, säuberte und räumte noch die prekären Ecken und ließ es dann rollen. Stolz bin ich, dass mich meine alte Kochkreativität und -freude anscheinend doch nicht vollständig verlassen hat - ich kochte einfach, simpel und jahreszeitlich und am Ende fragt mich ein französischer Koch nach meinen Rezepten! Und das alles vegan-vegetarisch. Ist doch der Knüller, ne?!


    Wir quartierten die beiden ein, ich kochte, servierte, selbst für den Aperitif reichte es noch, trank doch etwas viel Alkohol - egal, ab und an ein Rausch von Sinnen darf sein... Anderntags waren wir von morgens bis nachts unterwegs - das Weinfest im Nachbardorf als krönender Schlusspunkt und ich hatte eine so unglaubliche Freude! Fotos von einer lauthals lachenden Hayat haben seit mehr als 50 Jahren Seltenheitswert. Sonntag wurde eine What'sApp-Gruppe gegründet und seither bin ich auf dem Sprachlerntrip. Ich habe mir eine hervorragende Übersetzungs-App aufs Handy geladen - die ist superb! Ich tippe in Deutsch ein, die App übersetzt und bietet die Möglichkeit, den Text in alle möglichen Nachrichtendienste einzupflegen, mit denen ich via Handy arbeiten kann. So kann ich nun eigentständig mit den Franzosen kommunizieren und das Tolle ist, dass alles in einer Historie aufgezeichnet wird, so dass ich by the way direkt lernen kann, was mir übersetzt wurde. Mein Mann bestätigte mir, dass die Nachrichten korrekt erscheinen, sogar mit meiner blumigen, humorigen und ozeanischen Schreibweise. Das Ende vom Lied? Niemanden hat wirklich interessiert, wie dreckig, sauber oder staubig es bei uns ist. Wir hatten Spaß, wir hatten Freude und FreuNde gewonnen. Weitere Treffen hüben wie drüben sind geplant.


    Heute war ich nachmittags noch hier und dort und überall mit dem Auto unterwegs. Am Ende ein Drogeriemarkt und Blumengießen am Elterngrab. Da der Weg dorther der kürzeste ist, fuhr ich an der Wohnung meiner Eltern vorbei und sah auch prompt einen ihrer Nachbarn draußen - irgendwas in mir ließ mich anhalten, wir klönten ein bisschen und "Hey, wollen Sie mal die Wohnung angucken, da wird kräftig gewühlt..." Ja, wollte ich. Schon beim Parken meines Autos sah ich das, was im Innen passiert war: Der Freisitz voller Bauschutt, ein Container voll alter Heizkörper, Badeinrichtung usw. usf. Als ich in die "Wohnung" oder in das Bauloch, das dort momentan existiert, trat, schlug mir der vertraute Muff- und Modergeruch entgegen, die Wohnung ist vollständig entkernt - einsam bammelt noch die nikotinverspakte Deckenlampe im ebenfalls entkernten Wohnzimmer vor sich hin.


    Was mich zutiefst anrührte, waren die Nachbarn meines Vaters. Das gesamte Anwesen mit seinen Bewohnern ist sehr, sehr verschroben. Die Menschen schräg bis zum Gehtnichtmehr und alle mit ihren speziellen Päckchen belastet und gleichzeitig unendlich liebenswert. Sie bilden eine kleine, tapfere und solidarische Hausgemeinschaft, die sich trotz aller kleinen Zänkereien doch am Ende gegenseitig stützt. Als sie mich auf dem Hof stehen sahen, kam noch das Ehepaar, das über meinem Vater wohnte, angetrippelt - die Begrüßung war so herzlich und freundlich! Als sie dann erzählten, dass sie meinen Vater doch vermissen würden und ein bisschen aus dem Nähkästchen mit ihm plauderten, glaubte ich es ihnen wirklich. Ja, mein schwieriger, kauziger, verbitterter und ebenfalls superschräger Vater passte genau dort hinein in diese bunte Truppe. Ich bekam sehr leckere Muskat-Weintrauben geschenkt, in die ich mich wirklich reinsetzen könnte und fühlte mich integriert in diese Gruppe von Menschen. Es war wie ein Nachhausekommen.


    Sicherlich vermisse ich es NICHT tagtäglich bei einem alten, verbitterten, sich nicht mehr richtig pflegenden Mann in eine verusselte, miefende Bude zu gehen und ich vermisse keinesfalls die sich wieder und wieder kreisenden, wiederholenden, wiedergekäuten Themen, um die sich sein Geist drehte und wickelte. Keine Sekunde vermisse ich da was - doch was mich heute friedlich und versöhnlich stimmt ist, dass er, der so oft und regelmäßig gegen einige seiner Mitbewohner lästerte und wetterte, bei ihnen integriert war, ob es ihm nun passte oder nicht. Sie schauten nach ihm, wenn ich abwesend war und hielten mich auch immer auf dem Laufenden. Die Herzenswärme, die sie für ihn tatsächlich empfanden, wurde mir leider erst heute bewusst.


    Bewegung in die Lethargie. Heute früh forderte ich mir ein Angebot für einen einwöchigen Bildungsurlaub in Paris an - uns stehen 5 Tage Freistellung pro Jahr zu und hurra, Sprachreisen werden ebenfalls gefördert! Die Sachbearbeiterin befindet sich leider im Urlaub, so muss ich noch zwei Wochen etwa abwarten, doch ich freue mich total! Unterkunft und Verpflegung bekomme ich bei unseren Neufreunden, die Fahrt dorthin wird per Bahn etwa 6 Stunden brauchen und ich habe wirklich prima Voraussetzungen, die Sprache via Crashkurs (30 Stunden in der Woche) zu lernen, zumindest mal die Grundlagen - ich fahre alleine und unsere Freunde sprechen außer "Donkeschööön" und "bitte" quasi null Deutsch.

    Nachmittags bin ich so zornig mit mir geworden, dass ich mich endlich dazu aufraffte, meinen Schreibtisch gründlich aufzuräumen, auszusortieren und Unnötiges zu entsorgen - und Ordnung zu schaffen. Mein seit Wochen vor sich hindümpelndes Großprojekt wurde heute sortiert, gesichtet, in einen Ordner geheftet und neu strukturiert. Da geht es morgen weiter und ein bisschen motiviert dazu bin ich auch wieder.


    Es ist alles mühsam, doch ich glaube, allmählich hält das Leben bei mir wieder Einzug.


    Danke fürs Zulesen,


    Hayat

    Guten Morgen ,


    ich lebe in Deutschland , kann von daher nur von den hiesigen Verhältnissen schreiben. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich mich jeweils für etwa 1 -2 Wochen arbeitsunfähig gemeldet mit ärztlicher Bescheinigung . Mir kam das SEHR üppig vor, wie ich später erfuhr: Nicht wenige Menschen nehmen sich bei ähnlicher oder auch milderer Vorgeschichte längere Auszeiten.


    Für mich selbst wäre eine Kur nicht das geeignete Mittel gewesen. Doch meines Erachtens ist der Tod nahestehender Menschen einfach eine Zäsur im Leben, die alles bisher Dagewesene auf den Kopf stellt und vielleicht auch umpflügt. Kann, muss nicht. Und wenn Du das Gefühl hast, eine Auszeit mit vorübergehendem Standortwechsel ist das Gebot der Stunde , dann lass Dich ermutigen und beantrage die Kur! Bei uns braucht es dazu den Hausarzt so oder so. Es gibt meines Wissens unterschiedliche Kostenträger, einmal der Rentenversicherungsträger für den Fall der "beruflichen Rehabilitation" oder die Krankenkasse im Falle einer medizinischen Grundlagensituation. Da schwimme ich allerdings , meine Rehas gingen über die Rentenversicherung...


    Letztlich , wenn Du infolge des Ereignisses Gefahr läufst, dass Deine körperliche Versehrtheit und /oder Arbeitsfähigkeit Schaden nehmen , folge Deiner Intuition !


    Hayat

    Liebe Astrid - und guten Abend in die Runde,


    nö, ich lerne gerade, auf meine Grenzen zu achten. Meine Motteneinflugschneise allein<X|| reicht wirklich!


    Wie still erwartet, ist mein Blutbild absolut okay, freut mich auch diebisch, weil ich vor Jahren meiner Haut und Gedärm zuliebe in einem spannenden Selbstversuch weitgehend Tier, Fisch und Milchprodukten essenstechnisch abgeschworen habe. Ich mache darum kein Getöse und wenn ich im Nachbarland bin, dürfen es durchaus mal wieder Schafs- und Ziegenkäse sein - oder in Dänemark auch mal fetttriefendes Plundergebäck... Ich führe natürlich artig D 3, B 12 und K 2 MK 7 zu und siehe, alles im grünen Bereich.


    Mir war wichtig, die Müdigkeit organisch zu untersuchen. Sehr viel erholter fühle ich mich nicht. In meinem Aufgabengebiet bin ich gerade mit einer juristischen Auseinandersetzung im nicht ganz kleinen Stil befasst und muss Stellung beziehen zu einer umfangreichen Klageschrift. Das hat mich in den vergangenen drei Jahren viel Kraft und Herzblut gekostet und das Ganze kommt mit der Klageschrift wie ein Bumerang zurückgeflogen.


    Gestern habe ich drei Stunden lang das Grab meiner Eltern hergerichtet. Unfassbar, wie viel Erde so ein Grab schluckt... Nun sieht es aber wieder bunt, hübsch, adrett aus und ich bin ganz stolz, doch noch einige Pflanzen vom Ursprungsgrab meiner Mutter gerettet zu haben. Als ich dann wirklich alles fertig und das Auto eingeräumt hatte, stellte ich fest, dass das Geburtsjahr meines Vaters in einer Ziffer nicht stimmt... Nach der Schufterei war ich nicht mehr bereit, auch nur noch einen Mulchkrümel zu bewegen und habe mich nun mit dem Steinmetz darauf geeinigt, die eine Ziffer zu belassen - außer meinem Mann und mir kennt vor Ort niemand das Geburtsjahr meines Vaters - sind ja kaum noch welche da und dafür brauchen wir für die Beschriftung gar nichts zu zahlen.


    Ich glaube, Müdigkeit und Erschöpfung stehen sekundär für primäre Wut und Trauerprozess. Beim Grab gestern schossen die Tränen hoch in mir - in den Momenten, in denen ich denn mal wirkliche Gefühle zulasse, bin ich auch gleich wacher und präsenter. Tagsüber werde ich immer dann kräftig müde, wenn ich mich eigentlich richtig ärgern sollte und momentan ist es so, dass ich abends nicht nur normal müde bin, sondern vermutlich dahinter Wut und Trauer verstecke.


    In diesem Sinne wieder einmal... Gute Nacht, Freunde...


    Hayat

    Guten Abend,


    nun bin ich also in einer einwöchigen Auszeit. Was nicht geht, ist das Befolgen zig guter RatSchläge "Fahr mal was runter, gönn dir die Ruhe, leg dich mal hin, entspann dich, nimm dir Zeit für ein gutes Buch..." Ich verstehe für mich, warum es nicht geht - das ist aber eine andere Geschichte und gehört nicht hierher. Hat jedoch zu tun mit Restenergie aus No Fight - No Flight.


    Was geht, ist ein stilles, geruhsames Tun. Ich schlafe morgens aus - mein Körper nimmt sich sein Recht auf Ruhe nach der Erschöpfung und schenkt mir heilsamen Schlaf - ich stehe drei Stunden später auf als zur normalen Arbeitstätigkeit... Ich frühstücke mit der Ruhe, lese meine Zeitung, gehe ein bisschen ins Freie und widme mich ansonsten meiner Hausarbeit und ob Ihr es glaubt oder nicht: Ich erlebe sie gerade als sehr wohltuend. Es macht mir Freude, in einem kleinen Rahmen nach und nach das in Ordnung zu bringen, was vernachlässigt ist und habe heute Abend echte Freude verspürt darüber, dass alle Küchenschränke sauber und aufgeräumt sind.


    Was nach langen Wochen wieder geht, ist das Schreiben per Schneckenpost. Ich bin im Fluss, die Worte purzeln aus mir heraus und die Seiten füllen sich ohne Anstrengung - darüber freue ich mich richtig, richtig!


    Und mit dem Schreibfluss setzt auch der Erkenntnisprozess ein. Heute früh war ich zur Blutentnahme bei der Ärztin und bin sehr auf das Ergebnis gespannt - ich bin dieser riesigen Erschöpfung auf der Spur, die nicht gerade erst mit dem Tod meines Vaters begonnen, doch seither noch ein Schäufelchen zugelegt hat. Wenn ich von oben auf mein Ganzes herabschaue und die Müdigkeit sprechen könnte, dann würde sie vermutlich sagen "Lasst mich doch bitte alle in Ruhe! Ich will nichts mehr hören, nichts mehr sehen und vor allem nichts mehr fühlen - es ist mir alles viel zuviel!" Ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, dass mein Blutbild nicht okay ist - doch dass die Müdigkeit für Trauer und Wut stehen könnte, leuchtet mir ein.


    In diesem Sinne, mir sinken die Augenlider auf Halbmast...


    Hayat

    Liebe StillCrazy,


    passt hier nicht richtig rein - doch ich möchte es einfach loswerden: Ich finde Dich in der Selbstfürsorge beispielhaft und vorbildlich... Nach vier vollen Therapiestunden rund ums Thema und dem herzlichen Empfehlen meiner Kaffeekränzchenschwestern vom gestrigen Tage habe ich mich heute dazu durchringen können, eine relativ milde verlaufende Gürtelrose zum Anlass für eine einwöchige Auszeit zu nehmen...


    Ich habe so oft an Dich gedacht und heute früh bei der Hausärztin sehr radikal mit alten, familiären Glaubenssätzen gebrochen und mich jenseits von Jucken und Brennen einfach geöffnet. Schluss, aus, Sabbat, Ende im Gelände. Nur eine Woche, doch die habe ich jetzt. Irgendwo einen Punkt setzen, von wo aus ich mal wieder Luft holen kann nach 10jährigem Eltern- und Sonstfamilienberufsgalama. Ich nehme mir nicht mal die großartigen Dinge vor - ich bin einfach nur froh und dankbar, meine Zeit in meinem vernachlässigten Haus zu verbringen, das seit 5 Jahren nur noch notdürftig gesäubert wurde, weil es Betreuung, Pflege und Überstunden nicht zuließen und mir eine Ecke vorzunehmen, mit der ich anfange aufzuarbeiten. Dazu Lieblingsmusik und Lieblingsheißgetränk aus Lieblingsbecher und serviert in Lieblingskanne. Zwischendrin mal hinsetzen, Päusken machen und zum Ende eines arbeitsreichen Werkeltages einen ausgedehnten Spaziergang. Am Wochenende belohnen wir uns allerdings mit einer Tour ins Elsass, die sogar ärztlich erlaubt ist. Darauf freue ich mich schon sehr. Wohnmobil flügs bepacken, Fahrräder dropp on ab durch de Midde. Wir werden nett und lauschig Essen gehen, durch die Weinberge flanieren - mit und ohne Fahrrad, büschen Baguette und Käse shoppen - ICH LIEBE DAS ELSASS!


    Genau, die alten Glaubenssätze gehören in die Tonne getreten: Wir brauchen keine Hilfe, wir machen alles allein, Krankheit kennen wir nicht, die Menschen sind schlecht, es wird nichts nach außen getragen, Urlaub gibt et nit und gearbeitet wird bis zum Umfallen.


    Also Dank an Dich für Dein Vorbildsein ;-) !


    Hayat

    Ach Sch...,


    ich hatte vorgestern(?) beim Lesen noch an Dich gedacht - boa, welche Power, welche engagierte Selbstfürsorge! Sind ja sehr wahrscheinlich immer noch da - und dann ein solcher Schlag, auch wenn Ihr es im Gefühl hattet. Mir tut das so leid und mein großes Mitgefühl zu Euch hin!


    Hayat

    Hm,


    ich bin immer noch geplättet von so viel Durchdachthaben, von Klugheit, von Weisheit. Wirklich und ohne jegliche Idee von Spott, Ironie oder was auch immer. Das Thema Schuld-Täter-Opfer-Ent-Schuldigung, Vergebung, Wut... birgt so viele Facetten und in allem, was hier geschrieben wurde, finde ich mich wieder. Sehr, sehr spannend.


    Ich sehe es ähnlich, liebe Katharina, dass wir in Sachen Schuld wahrscheinlich bis zum Einzeller zurückgehen könnten. Ich werde nicht selten komisch angeschaut, wenn ich bei der Frage "Wer oder was ist schuld?" ratlos mit den Schultern zucke. Im Beruf quäle ich mich gerade mit einer Rechtsstreitigkeit ab, in der es im Kern des ganzen Ärgers um einen völlig verkorksten Vertrag geht, in dem unheimlich viel drin steht, dessen Konsequenzen für Vertragsstörungen jedoch schwammig und ungenau formuliert ist. Unser Vertragspartner nutzte diese Ungenauigkeiten hemmungslos aus, wir ahndeten stets halbgar, das führte zur Kündigung und der Jurist der Gegenseite semmelte uns den Vertrag von Anfang an um die Ohren und wir wähnten uns im Recht. Das Ganze liegt jetzt vor Gericht und endet hoffentlich in einem Vergleich (was ich von Anfang an angestrebt hatte, nicht aber mein Chef, der die Kündigung wollte und durchzog bar jeder Vernunft und nun geht es los, "wer ist schuld...?" Das Unternehmen, das für uns den Vertrag erstellte? Wir, die wir vorgaben, was in den Vertrag rein soll? Unser Vertragspartner, der sich die vertraglichen Defizite geschickt zunutze machte? Ich sage mittlerweile - wir alle in gleichen Anteilen. Und wie so oft: Es wurde nicht wirklich miteinander kommuniziert, das heißt offen und ohne jede Beschämung miteinander gesprochen. Gelegenheiten gab es - wir hatten x runde Tische einberufen und ich habe hier mindestens so gefehlt wie mein Chef. Bei all diesen Runden wurde über Autos gesprochen, wurden ein bisschen die Messer gewetzt und am Ende hatten sich alle irgendwie lieb, an den Ursachen der Vertragsstörungen wurde nichts getan - auch ich habe nicht offen am Tisch gegen den Chef opponiert. Sicherlich versucht, einen Impuls zu setzen, damit das Gespräch in unsere Richtung ging - und wurde zurückgepfiffen und dazu angeholten, geschmeidiger und weniger schroff und hart zu sein... Bin ich deswegen raus aus der Nummer? Nö.


    Für mich wird immer deutlicher, dass die größte Schwierigkeit untereinander die Kommunikation ist. Noch ein Beispiel. Mein jetziger Chef war vor Jahren Dozent während eines großen Ausbildungsganges. Sein Fach lag und liegt mir überhaupt nicht. Ich habe es nicht mit den Finanzen - unser kleines normales Bankkonto, die Finanzierung unseres Hauses und die täglichen Ausgaben und Einnahmen sind das, was ich gerade noch überschaue. Er prüfte und korrigierte unsere Abschlussklausur in diesem Fach und gab uns während einer zweiwöchigen Klausur auch noch die entsprechende Vorbereitung. Während dieser Vorbereitung geriet ich massiv mit ihm aneinander. Das endete damit, dass ich mir sein Verhalten und seine Bemerkungen verbat, aufstand, meine Sachen packte und in meinem Zimmer alleine lernte. Die Klausur schrieb ich angesichts meines chronischen Nichtwissens in diesem Fach sogar mit einem Befriedigend und bin heute noch stolz wie ein Primelpott - doch über diesen Vorfall haben wir nie wieder gesprochen und wir beide sind bekannt für unsere Elefantengedächtnisse. Er ist nun mein neuer Vorgesetzter und wir haben noch kein einziges Wort mal wirklich direkt miteinander gewechselt. Unsere Nicht-Beziehung ist auffällig - und keiner macht einen Schritt. Daraus erwachsen Blockaden und komische Gefühle...


    Auch hier: Wer ist der/die Böse? Ich, die ich panisch bin angesichts von Prüfungen und Klausuren, voll der chronischen Minderwertigkeitsgefühle oder er, der vielleicht nur was aus mir herauskitzeln wollte, selbst völlig vermackt und voller Minderwertigkeitsgefühle ist und jemanden brauchte, um sich zu profilieren? Auch er hatte es vielleicht nie leicht in seinem Leben? Es geht mir jetzt und hier gar nicht darum, ein Problem gelöst haben zu wollen - will einfach nur sagen, dass jedes einzelne Leben so unglaublich komplex und individuell ist und vielleicht die wirkliche Crux unter uns Menschen die ist, dass nicht gesprochen wird. Eine Mutter hat einen schlechten Tag, laboriert mit sich und und der Welt herum, hat ihre eigenen Kindheitsdefizite, auch übernommen von ihren Eltern, ihr Kind macht etwas, das ihr völlig gegen den Strich geht - sie rastet ein und tut Dinge, die sie am Ende bereut. Das Kind erlebt einen tiefen Vertrauensbruch und schlimmstenfalls wird nicht gesprochen, die Mutter wähnt sich im Recht und schon ist vielleicht eine Störung geboren, die Grundlage für ein Beziehungsmuster gelegt, das sich in die nächsten Generationen weiter überträgt... Sehr grob und sehr vereinfacht dargestellt.


    Die großartige Schweizer Philosophin und Psychologin Carola Meier-Seethaler hat hierzu ein fabelhaftes Buch geschrieben "Ursprünge und Befreiungen", worin sie den Wurzeln des Sexismus nachspürt und für eine gleichberechtigte Partnerschaft beider Geschlechter plädiert - weder für ein Matriarchat noch für ein Patriarchat, sondern ein gleichberechtigtes Seite an Seite. Das hat mich sehr beeindruckt - ich müsste das Buch eigentlich nochmal durchlesen - ist ein sehr umfangreiches Werk. Ich glaube nämlich, wenn die Menschheit endlich dieses gleichberechtigte Schulter an Schulter lebte in aller Klarheit und Konsequenz (erscheint mir aktuell wie eine Utopie), dürfte sich das Elend um Schuld, Sühne, Täter, Opfer weitgehend minimieren und in sich selbst auflösen. Ich merke, das Thema ist seiten- und abendfüllend...


    Wie immer, danke fürs Zulesen...


    Hayat

    Hej,


    das emotionale Galama kenne ich. Arbeit als Krücke ist nicht immer optimal , aber sie hilft definitiv. So jedenfalls meine Erfahrung. Ähnliche Gedanken wie die zitierten habe ich lange Zeit ebenfalls mit mir herumgetragen und zum Glück hinter mir gelassen.


    Musikalisch bin ich totale Weltenbummlerin und Grenzgängerin und vereine Sachen in mir, die nicht zu vereinen gehen. Mein Ex-Gitarrenlehrer hatte nie Langeweile mit mir. Von Frau Rosenzwerg über Teutsches Liedgut bis hin zum kreischenden Free-Jazz ist alles drin. Bei mir muss im Innen was angesprochen werden , um mich in ein Stück oder einen Song fallen zu lassen .


    Gruß und so!

    sorry, ich als wieder...


    Ich freue mich gerade regelrecht am Diskurs in diesem Forum rund um die Schuld. Es ist Mittagspause , ich sitze am Rande des Suppenlochs und bevor ich gleich ganz reinrutsche, habe ich jeden einzelnen Beitrag gelesen und applaudiere für die Achtsamkeit, den Respekt und die Offenheit voreinander. Chapeau, die Damen!


    Und ich freue mich , mich nicht allein zu fühlen und die Zitate des Herrn Lichtenberg. Vor Jahren bin ich mal über ihn gestolpert , habe mir auch was zum Einlesen besorgt und leider kümmert das Buch seither im Regal vor sich hin... Ich werde es doch mal wieder hervorholen... (hüstel).


    Und nun gleite ich mit SCHWEREN Lidern in die Suppenschüssel ???...


    Hayat

    Ja... Akzeptanz, die isses wohl. Vergangenen Freitag ächzte ich volle zwei Zeitstunden rund um Schuldgefühle und Beschämung, doch das Allerschwierigste ist in der Tat die Akzeptanz. Nicht beugen, verbiegen, leugnen, sondern zu fühlen, jo, so isses. Fühlen, atmen, benennen, fühlen und weiteratmen. Ja, ich habe gefehlt, ja, es tut mir leid , was kann ich tun , um Leid zu mindern, tun und weiteratmen...

    Ich bin gerade etwas geplättet. Du schreibst mir aus der Tiefenseele! Ich plage mich gerade in intensiven Traumasitzungen mit dem Elend von Schuld und Beschämung herum. Beides durchsetzt meine Psyche wie ein Krebsgeschwür und jeder noch so kleine Schritt raus aus der Nummer ist ein Kraftakt.


    Der Begriff der Schuld sollte aus unseren Hirnen restlos getilgt werden !


    Gerade jetzt schlage ich mich beruflich mit solchen Fragen herum. WER IST SCHULD??? Viel eher ist zu hinterfragen , wie und was wir miteinander kommunizieren? Den Weg des Hinterfragens gehe ich seit einer Weile und gerade weil wir, wie Du so treffend schreibst, eine Schuldgesellschaft sind, habe ich oft das Gefühl , gegen Windmühlen anzukämpfen und spüre für mich ganz persönlich jedoch so etwas wie wachsenden Respekt. Auch wenn mir der Wind entgegenpfeift, ich gehe diesen Weg und übe mich darin, selbst niemanden zu beschuldigen und mich selbst weder als Opfer- noch als Unschulfslamm zu definieren. Verantwortung ist das Zauberwort.


    Für diese Zeilen habe ich in aller Unschuld und einem Akt der Selbstverantwortung eine kurze Berufsauszeit genommen und stelle mich noch nun wieder den Reklamationen des Tages ?...


    Herzgrüß, Hayat

    Hat was... Während ich dies lese , habe ich meine Lieblingsschwester auf dem Knie und klampfe an ein paar neu aufgefangenen Stücken herum. Ich bin Anfängerin und bringe die denkbar schlechtesten Voraussetzungen mit, gerade Gitarre zu lernen, doch ich liebe sie und bringe mir mit zäher Geduld Notenlesen, Rhythmik und inneres Arschloch bei, drauflos zu spielen und zu singen. Es ist eine der größten Herausforderungen meines aktuellen Lebens, doch ich stelle mich dem und habe Freude damit. Musik war und ist mir neben den Büchern meine nächste Lebensbegleitung. Ohne sie wäre ich nicht bis hierher gekommen .


    Hayat