Ich habe viele schöne Erinnerungen und ich glaube ich habe schon mal geschrieben, dass ich bei allem was traurig war, wenn ich niedergeschlagen war, wenn ein unangenehmer Termin zu absolvieren war, wenn ein Unglück passiert ist, immer wusste, dass es etwas gab auf das ich mich freuen konnte und das habe ich dann als Ankerpunkt fürs Durchhalten benutzt.
Das fehlt jetzt.
Es gibt nichts mehr worauf ich mich freue, wirklich freue.
Liebe Gabi,
es ist verrückt, wie sehr deine Worte meinem Innenleben Ausdruck geben.
Die Ankerpunkte, ja. Ich würde an der Stelle sogar in zwei Punkten noch weiter gehen - vielleicht ist es für dich anders oder auch ähnlich. SOrry, wenn es nicht zu deinem Empfinden und auch nicht zum Thema passt.
Der erste Punkt der mir in den Sinn kommt und worüber ich schon oft für+ mich nachdachte: durch die Liebe und Beziehung und Lebenspartnerschaft konnte ich eine stabile und vertrauensvolle Resilienz entwickeln. Dabei geht es für mich nicht nur darum einen unangenehme Termin zu überstehen oder eine anstrengende, schwierige Lebensphase, weil man sich mit dem Lebensmenschen sicher ist, dass auch wieder bessere, schönere Zeiten oder Zeitpunkte komme (- aber ja, das kenne ich auch!), sondern ein Grundvertrauen ins Leben und eine Grundsicherheit im Leben. Und mit dieser Basis war es auch einfach dem Leben freudig und offen für die kleinen und großen schönen Dinge zu begegnen, sie wahrzunehmen und schätzen zu können. Vielleicht ist es in Augen mancher Menschen ein Armutszeugnis, dass man diese Fähigkeit nicht aus eigener Kraft, alleine und für sich selbst entwickeln kann. Das mag vielleicht so sein. Mir ist das egal, weil ich geliebt wurde und lieben durfte und alles was sich daraus entwickelte, ist ein großes Glück für mich. Für mich weiß ich: alleine hätte ich das so niemals erfahren und erleben können.
Ja, und zweitens: die Ankerpunkte sind nicht nur wichtig, um blöde Tage und schlechte Zeiten zu überstehen. Sie sind grundsätzlich wichtig, weil sie das gemeinsame Leben zu dem gemeinsamen, einzigartigem Leben machen. Deine und Hannes Ankerpunkte sind ausschließlich eure Ankerpunkte, H.s und meine sind ganz andere und so hat jeder Mensch, hat jedes Paar die eigenen, individuellen. Sie geben dem sonst fahlen, dahinplätschernden Alltag Kontur. Salz in der Suppe sagt man doch, oder? Wenn es das nicht mehr gibt, ist das Leben nur noch ein tristes, ödes, konturloses Dahinplätschern. (Und dann ist da ja noch der Schmerz und die Trauer, die Sehnsucht und Einsamkeit. Dazu vielleicht noch Probleme, mit denen man nun alleine fertigwerden muss). Dieses Dasein ohne Ankerpunkte, ohne Freude, aber mit Trauer und Einsamkeit machen es sehr schwer, Lebenssinn und Lebenswillen zu finden.
Zitat
Ich weiß, manche von euch werden sage, freue dich doch an den kleinen Dingen, die Vögel, die bereits den Frühling besingen, das gute Essen, das du dir zubereitest, die Gespräche mit Freunden.
Aber das ist es nicht, was ich meine.
Es stimmt, dass ich mich in den ersten beiden Trauerjahren selbst daran nicht mehr erfreuen konnte und dass es schön langsam wieder wird und dass das auch gut so ist, aber das ist es nicht.
Ja.
Manchmal freue ich mich. Oder eher anders: ich bemerke etwas, worüber ich mich im Normalfall freue. Deine Beispiele passen gut, ein Vogel vor dem Fenster, die Katze macht etwas Lustiges,... Ja, ich sehe es und "freue" mich, aber - und das soll in keiner Weise undankbar klingen - es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, der sofort verdampft und kein nachhaltiger Trost ist oder die Leere nicht für eine längere Zeit als diese Sekunde des Erlebnis ein bisschen füllt.
Meistens spüre ich auch sehr deutlich (- und das ist dann oft ein bitterer Moment), dass die Freude einfach nicht ganz in mich eindringen kann. Ich muss vielleicht auch mal über etwas lachen oder schmunzeln, aber was ich viel stärker wahrnehme ist diese unsichtbare Grenze, Mauer? Schlucht? Die unüberwindbar sind. Es fehlt die Brücke.
Und vielleicht sind unsere die Brücke, die uns fehlt, um von Gefühlen wie Freude, Hoffnung, Sicherheit, Vertrauen erreicht werden zu können?
(Ich meine das nicht im plastisch ausgedrückten, esoterischen Sinn, sondern sehe für mich (!) meine Beziehung zu H. wirklich als Fundament an für alles andere.)
Ohne stabiles Fundament, ohne feststehendes Gerüst kann man so viele freudige Erlebnisse auftürmen und aufstapeln wie man will, sie werden wackeln und einstürzen.
Es ist vielleicht zu simpel gedacht, aber über diese "Unfähigkeit" optimistisch zu sein, sich zurück ins Leben zu "kämpfen", sich Freude und Glück wieder anzueignen und das UNverständnis von Menschen, die genau das erfolgreich hinkriegen, habe ich schon oft in dem Kontext nachgedacht:
Die Bedürfnispsyramide von Pawlow (ich weiß auch um die Kritik an diesem Zugang und bin auch zu ungebildet in dieser Thematik um das Konzept vollständig zu begreifen), aber Pawlow hat die menschlichen Grundbedürfnisse einer Art pyramidenförmigen Hierarchie untergeordnet und sagt z.B:
1. Stufe (unterste Ebene) = Grundbedürfnisse, die für die menschliche Existenz und ein Überleben nötig sind, z.B. Schlaf, Trinken, Essen
2. Stufe = Sicherheitsbedürfnisse wie Schutz vor akuten Gefahren, aber auch sowas wie Kälte, Wetter, also: Wohnraum/Schutzraum, Kleidung, Sicherheit für wirtschaftlichen Risiken usw.
3. Stufe = Soziale Bedürfnisse, Beziehungen, Liebe, Freundschaften, Geborgenheit, Körperlichkeit
4. Stufe = Selbstverwirklichung
Die Theorie dahinter ist, dass erstmal Stufe 1 erfüllt werden muss, damit sich der Mensch Stufe 2 widmen kann. Ganz einfach und überspitzt-amateurhaft ausgedrückt: jemand der akut am Verdursten ist oder an akutem Schlafmangel leidet, wird vermutlich in dem Moment keine Nerven dafür haben, eine Freundschaft durch irgendeine nette Geste zu pflegen.
Vielleicht habe ich das ganze Konzept zu wirr oder sogar ganz falsch erklärt, vermutlich ist es auch schon seit hundert Jahren überholt. Für mich persönlich passt es an ganz vielen Stellen nicht, aber was ich damit ausdrücken möchte: für manche Menschen ist die Beziehung und Liebe zu ihrem Lebensmenschen vielleicht existenziell, d. h.: Stufe 1.
Und wenn so ein elementarer Bestandteil von Stufe 1 wegbricht, ist es nunmal schwer bis unmöglich sich über vorbeifliegende Schmetterlinge zu freuen. Zumindest: aufrichtig und von Herzen zu freuen.
Das hat dann auch nichts damit zu tun:
Zitat
Auch dabei gibt es wieder die Kehrseite, weil man es auch ganz anders interpretieren kann: Als Rumjammern, sich gegenseitig runterziehen, nicht die Liebe für den verstorbenen Menschen feiern, sondern sich im Leid suhlen.
Denn ich glaube, wie man Liebe und Liebes- bzw. Lebensbeziehungen oder Lebensmenschen in sein Leben integriert, um bei dem hoffentlich nicht vollkommen missglücktem Beispiel mit dieser Bedürfnispyramidengeschichte zu bleiben, ob in Stufe 1, 2, 3, 4... ist - meiner Meinung nach !!! - KEINE bewusste Entscheidung.
Es hat, glaube ich, mit der Persönlichkeitsstruktur zu tun, mit der eigenen Prägung, Lebensgeschichte und sicher noch viel mehr. Es ist auch sicher kein Indikator für das Ausmaß von Liebe oder Beziehungsqualität. Das würde ich niemals behaupten wollen.
Aber ich glaube, manchen Menschen haben nach dem Verlust ihrer Liebe einfach nur begrenzte Möglichkeiten und Perspektive. Und ich glaube: das ist nicht ihre Schuld und selten eine bewusste Entscheidung.
Ganz ehrlich: wer leidet denn schon gerne? Wenn ich ein Mittel finden würde oder einen Weg, der zu einem 10% erträglicherem Leben führen würde, der mir ein klitzekleines bisschen Lebensqualität geben würde und so vielleicht auch Hoffnung und Zukunftsperspektive: ich würde diese Gelegenheit sofort schnappen.
Sorry für die wirren, vielleicht zusammennhangslosen Gedanken, ich hoffe es crasht nicht dein Thema, liebe Gabi.
An der Stelle deswegen auch besser mal Schluss, obwohl du noch viel viel viel mehr schriebst, womit ich mich identifizeiren kann.
Danke!
Liebe Grüße, Sturm