Liebe verschwurbelte () Nebelfrau,
es war so viel los, viel Arbeit, emotionale Mühen mit Rudi (viel geweint, heute - nach einem Besuch bei meiner Therapeutin - ist es etwas besser).
So kommt es, dass ich Dein wunderbar-liebes und so interessantes mail (und auch in meine Richtung inspirierendes) erst jetzt beantworte. Ich hoffe, Du bist mir nicht böse...
Meine Mutter war eine Bauerntochter, die irgendwann in die nächstgelegene größere Stadt gezogen ist - zunächst als Hausädchen. Dann hat sie Kurse gemacht, es sich beruflich "verbessert". Dann hat sie meinen Vater kennen gelernt. meinen Brude rund mich bekommen. Die Ehe war (soweit ich das heute sagen kann) nicht glücklich. Unsere gesamte Familie war nicht glücklich.
Für mich war es so, dass ich dann mit 10 Jahren ins Gymnasium gekommen bin (musste mit dem Zug hinfahren) - und da hat sich eine völlig neue Welt aufgetan: Bildung, Bücher, Sprachen, Theaterspielen... es war einfach großartig.
Ich war eine gute Schülerin, und meine Mutter war bestimmt solz auf mich. Gleichzeitig hat mich das lernen aber auch von ihr entfernt. Sie war eine intelligente Frau, handwerklich sehr begabt (auch mit Holz, mit Textilien sowieso), aber sie war nicht gebildet. Hatte nie die Chance (und wohl auch nicht das große Bedürfnis) eine besondere formale Bildung zu erwerben.
Wenn ich so über sie schreibe, dann muss ich immer an eine Stelle aus Billy Elliot (oder wie man das genau schreibt) denken. Kennst Du den Film? Ein Bub verliert darin seine Mutter, und irgendwer fragt ihn dann, was seine Mutter für eine Frau war, ob sie vielleicht eine ganz besondere Frau war oder so, und er antwortet in einem so schwer verständlichen englisch: 't was mee Mum. Sie war meine Mutter.
Ich spüre schon wieder die Tränen...
Was gibt es besondereres als die eigene Mutter? Die Frau, die man von innen kennt? Die Frau, die (fast) immer da war, ohne die man das Leben nicht hätte...?
Ich habe schon sehr viel von ihr vergessen, sie ist 1984 gestorben. Und (auch wenn das vielleicht blöd klingt) ich bin froh, dass ich viel vergessen habe. Man sammelt im Laufe eines Lebens so viele Erinnerungen an. Ichglaube, wenn man die alle behalten möchte, dann wäre das mehr Ballast als man tragen kann.
Manchmal denke ich, sie hat Dinge für mich (ode rmeine Tochter) "eingefädelt". Es gibt einiges in meinem (und Lisas) Leben, das gut geglückt ist, leicht gegangen.
Eine Frage stellt sich da natürlich nach meinem Bruder, der es so schwer im Leben hat.... Hat sie ihm nicht geholfen (wenn sie denn die Möglichkeit dazu hätte)? Das kann ich mir auf keinen Fall vorstellen... Irgendwie sind solche Gedanken also sehr dünnes Eis.
Trotzdem, der große Engel - ich bin sicher, dass er nicht nur Erfindung ist.
Wie geht es Dir momentan?
Ich bin überzeugt, dass Deine Mama möchte, dass Du glücklich bist. Das kann gar nicht anders sein! Und vielleicht kannst Du ja auch ein bisschen für sie mit glücklich sein. Eine schöne Landschaft für sie mitgeniessen, ein Stück Musik, die Klänge des Frühlings...
Vielleicht ist es möglich, nicht nur in der Trauer sondern auch im Glück, im Genuss, in der Freude mit einem verstorbenen Menschen verbunden zu sein.
Warum nicht? Es käme auf den Versuch an...
Ich wünsche Dir alles, alles Gute - liebe, verschwurbelte Nebelfrau