Krankheit der tausend Abschiede - ein Leben ohne meine Mutter

  • Nun überwinde ich mich doch und eröffne einen eigenen Thread. Heute geht es mir gerade wieder besonders schlecht.


    Ich habe mich hier angemeldet, obwohl meine Mutter noch lebt, aber sie leidet an einer tödlichen Nervenkrankheit (ALS) und ich kann schon seit mittlerweile 4 Jahren nicht mehr mir ihr sprechen, sie kann mich nicht umarmen oder auch nur meine Hand halten, weil ihre gesamten Muskeln gelähmt sind. Ich nehme seit fast 5 Jahren Abschied und trauere um meine Mutter, die es so, wie sie war, nicht mehr gibt. Das ist ein Schwebezustand, der nicht vorgesehen ist. Entweder man hofft und kämpft noch, oder man trauert um jemanden, der gestorben ist. Jemanden 5 Jahre im langsamen, grausamen Sterbeprozess zu begleiten und zu trauern, sich aber nicht verabschieden zu können, das gibt es nicht.


    Meine Mutter war immer meine beste Freundin und es tut mir so weh, dies in der Vergangenheit zu schreiben, denn es gibt sie ja noch. Und natürlich bin ich für jeden Moment mit ihr dankbar. Ich trauere trotzdem, denn so viel von ihr ist schon nicht mehr da. Ich hänge mit meiner Trauer zwischen den Welten, Ich darf offiziell nicht trauern, sie ist ja noch nicht tot und doch ist das, was so wundervoll war an unserer Beziehung, nicht mehr da. Ich kann sie nicht mehr anrufen, ich kann ihr nicht mehr von meinen Sorgen erzählen, ich kann nicht mir ihr über meine Kinder reden wie früher, sie kann ja nichts mehr dazu sagen, die Kinder können ihre Oma nicht mehr kennen lernen, so wie sie war. Mein Kinder sind noch so klein, dass sie sich an meine Mutter im gesunden Zustand nicht erinnern, ich kann nicht mit ihnen gemeinsam trauern, wir können uns nicht gemeinsam an sie erinnern.

    Meine Mutter wusste genau wie ich denke, wenn es mir schlecht ging, genau was ich brauche, um mich besser zu fühlen. SIe hatte immer den passenden Rat, war all die Zeit, die sie gesund war, ein positiver Mensch, der mir immer Mut gemacht hat. Ich habe sie immer sehr bewundert in ihrer ganzen Art. All das war auf einen Schlag weg, nachdem sie die Diagnose, ihr Todesurteil, erhalten hatte. Ich wünschte so sehr, sie hätte noch ein paar gesunde Jahre mit meinen Kindern gehabt, dass ich sie in meiner Rolle als Mutter noch mehr als Unterstützung als Mutter hätte haben können. seit der Diagnose ist sie in eine tiefe Depression verfallen. Lange hatte ich die Hoffnung, dass sie sich nach dem ersten Schock noch einmal wieder fängt, irgendwann ihr Schicksal annehmen kann und mir helfen kann, es auch anzunehmen und mir Worte mit auf den Weg geben wird, die mir Kraft geben, für das Leben ohne sie. Aber dem war nicht so. Sie blieb und bleibt in dem tiefen Loch. Wir haben unsere Rollen getauscht. Ich bin jetzt ihr Fels, ihr Trost, dabei hätte und brauche ich sie eigentlich noch so sehr. Aber all das ist nicht mehr und meine Sehnsucht unendlich.


    Meine Gefühle fahren seit 5 Jahren Achterbahn, die Trauer, die Verweiflung, die Angst, die Ohnmacht, die Wut mein ständiger Begleiter. An einem Tag hoffe ich, dass es alles nur vorbei sein möge - für sie und für mich und an einem anderen Tag, so wie heute, als mir die Pflegerin erzählte, dass sie fast nur noch schläft und es wohl mit der Atmung bergab geht, da möchte ich schreien: "Nein, noch nicht! Ich bin noch nicht bereit! Ich möchte ihr noch so viel sagen, so viel mit ihr bereden!" Aber praktisch geht das gar nicht mehr. Sie weint nur verzweifelt, wenn ich ihr auch nur ansatzweise erzähle, wie es mir geht. Ich möchte ihr so gerne so viel sagen und kann nicht, weil ich sie schützen muss. Ich möchte sie unbedingt halten und gleichzeitig endlich loslassen dürfen und trauern. Ich fühle mich so zerrissen. Ich kann mein Leben nicht richtig leben, immerzu ist da dieser Schmerz, in jedem Moment und sei er noch so gut, der Moment, die Trauer klopft jedesmal an. Auch meinen Vater habe ich durch die Krankheit verloren. Er ist hart und verbittert geworden. Er ist selbst krank, überlastet, überfordert, gefrustet, traurig - er redet aber nicht darüber, sondern lässt in regelmäßigen Abständen seine Wut verbal an mir aus. Nichts mache ich richtig, jemals. Er sagt mir, was für eine unfähige Mutter ich bin, dass meine Kinder sich nicht richtig benehmen, und und und. Wenn ich anrufe schreit er mich meist an, weil ich störe, wenn ich frage, was ich tun kann, sagt er entweder: "Nichts!" oder wenn er etwas abgibt, dann sagt er mir hinterher, er hätte es lieber gleich selbst machen sollen, denn ich hätte es falsch gemacht und er nun noch mehr Arbeit.


    Meine Schwiegerelten leben im Ausland und wir scheinen ihnen ziemlich egal zu sein. SIe rufen nicht mal zum Geburtstag unserer drei Kinder an. Das letzte Mal haben sie uns vo 4 Jahren besucht.Sie sind 10 Jahre älter als meine Eltern, aber topfit und reisen um die Welt und verbringen jede mögliche MInute mit den Kindern der Schwester meines Mannes. Ich kann mit dieser Ungerechtigkeit kaum klarkommen. Meine Mutter hat sich nichts mehr gewünscht, als Oma zu sein und diese Zeit zu genießen. Ihr wurde das genommen, und diese Menschen, meine Schwiegereltern, verzichten freiwillig darauf, unsere Kinder großwerden zu sehen, ein Teil ihres Lebens zu sein. Ich bin unglaublich allein. Meine Mama war immer mein Fels in der Brandung, meine Stütze. Jetzt bin ich ihre. Und heute habe ich wieder solche Angst. Meine Tochter wird im Sommer eingeschult. Als meine Mama damals diagnostiziert wurde mit einer durchschnittlichen Überlebenszeit von 2-5 Jahren, habe ich gesagt: Du musst 5 Jahre schaffen, ich will, dass du bei der Einschulung noch dabei bist. Jetzt sind es fast 5 Jahre, die Einschulung steht vor der Tür. Vielleicht schafft sie das aber nicht mehr. Wenn die Atmung nicht mehr funktioniert, dann geht es oft ganz schnell. Ich wünsche ihr, dass sie sanft einschlafen darf. Ich muss stark sein, für sie. ABer ich bin soooo traurig, so verzweifelt. Ich kann nicht loslassen und gleichzeitig fehlt sie mich doch so sehr, schon so lange.

  • Liebe Nordlys2107,

    Herzlich Willkommen in unserem Forum. Gut, dass du zu uns gefunden hast. Auch wenn der Anlass kein leichter ist, so kannst du sicher sein, dass du bei uns und in uns Menschen findest, die dich und deine Situation Verstehen. In diesem Sinne wollen wir von nun an mit dir gehen, um zu versuchen dir Kraft und Hoffnung zu geben.

    Unser Mitgefühl ist mit dir.

    Heinz Maximilian

  • Liebe Nordlys2107,


    ich habe Deine berührenden Zeilen gelesen und will Dir viel Kraft wünschen.


    Hier im Forum wirst Du immer liebe Menschen finden, die Dir gerne zuhören und Dich auch verstehen,.


    Liebe Grüße

    Josef

  • Liebe Nordlys2107,

    ich möchte Dich hier begrüßen, in Deinem Thread.

    Mir fehlen ein wenig die Worte. Ich bin auch Mama und ich weiß, wie sehr meine Tochter mich braucht obwohl sie erwachsen ist. Deshalb machen mich solche Schicksale sehr betroffen.

    Bei meinem Papa habe ich mir zuletzt auch ein schnelles und schmerzfreies Ende für ihn gewünscht. Es hat mir so weh getan, ihn leiden zu sehen. Auf der anderen Seite wollte ich ihn nicht gehen lassen. Es zerreißt einen wirklich.

    Du erlebst das seit einigen Jahren. Es gehört wohl eine riesige Kraft dazu, und das diese irgendwann mal ausgeht, ist verständlich. Ich bewundere, das Du so für Deine Mama da bist. Obwohl Du selbst Unterstützung gebrauchen könntest.

    Lass Dich von mir in den Arm nehmen und lehne Deinen Kopf an meine Schulter, um ein Mal durchzuatmen und etwas Kraft zu schöpfen :24:

    Ich grüße Dich herzlich, Ros

  • Gestern war wieder ein schwerer Tag. Eigentlich sollte es ein Tag sein, der ein bisschen Licht bringt. Wir wollten den 70. Geburtstag meines Vaters nachfeiern. Aber schon als ich kam weinte meine Mutter. Mein Vater erzählte mir, dass er starke Magenschmerzen hatte und ein wenig später zog mich die Pflegekraft an die Seite und berichtete mir, wie schrecklich der Morgen gewesen war und dass sie so fertig sei und meine Mutter so schlimm geweint hat und sie dann auch weinen musste und mein Vater sie dann trösten musste und dass mein Vater am Ende seiner Kräfte ist und das alles viel zu viel für ihn ist. Und dann stehe ich wieder da. Ohnmächtig und weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe drei kleine Kinder, ich arbeite. Ich weiß nicht , wie ich helfen soll, was ich tun soll. Mein Vater sagt nicht Bescheid, wenn er Hilfe braucht. Ich habe ihn schon so oft darum gebeten, mir Bescheid zu geben. Er tut es nicht. STatt dessen klettert er, 70jährig auf die Leiter und reinigt die Dachrinnen. Heute ist wieder ein Tag, da frage ich mich, wie lange das noch so weiter gehen soll? Meine Mutter wird seit 4 Jahren künstlich ernährt, nachts wird sie beatmet. Mein Vater kann nicht mehr. An Tagen wie heute frage ich mich, wieso hat sie kein Mitleid mit ihm? Wieso akzeptiert sie ihr schiksal nicht, beendet die Lebenserhaltenden Maßnahmen, verabschiedet sich von uns, jetzt, wo sie mit den Augenbewegungen wenigstens noch ja und nein anzeigen kann und lässt ihm noch ein paar Jahre Leben übrig. Was passiert, wenn er zuerst stirbt, sich das Leben nimmt, wenn er nicht mehr kann? Ich kann nicht bei ihr einziehen? Ein Heim ist keine option, denn sie braucht eine Intensivpflege 1zu1, das gibt es nicht im Pflegeheim. Sie lebt eine STunde von mir entfernt, ich kann nicht täglich 2 STunden hin und her fahren und 3 stunden da sein oder mehr. Ich schulde meinen Kindern auch Zeit und ein Leben. Aber wenn ich hier bin, dann fühle ich mich schuldig und wenn ich dort bin auch. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Immerzu werde ich von den Pflegern angesprochen nach dem Motto "tun Sie doch etwas", aber ich weiß nicht was. Ich kann doch meiner Mutter nicht sagen, "willst du nicht doch lieber mal etwas schneller sterben?" Ich kann auch meinem Vater nicht sagen "Zieh einfach aus und lass sie allein". Näher an mich ran ziehen werden sie nicht. Dazu kommen die dauernden Beschimpfungen von meinem Vater, wenn ich anrufe und mich erkundige, wie es geht. Ich traue mich schon gar nicht mehr anzurufen, weil ich immer nur beschimpft werde, so als ob ich schuld sei, dass alles Scheiße ist. Bitte entschuldigt die vielen Rechtschreibfehler, dass war jetzt wild von der Seele getippt. Liebe Ros, vielen Dank für deine lieben Worte. Es tut gut, das zu hören. So, jetzt braucht die Familie Abendbrot...

  • Meine Liebe,

    da bist du wirklich nicht zu bedauern, bei all den Schwierigkeiten, die sich dir in den Weg stellen. So wie du es schilderst ist alles was du tust irgendwie in Kollision mit was anderem. Das heisst, alles was du tust, ist sogesehen falsch. Also gilt es Prioritäten zu setzen. Und das könnte bedeuten, dass du an dich und deine Kinder denken musst, denn wenn du den Kopf und damit auch die Nerven verlierst, sind deine Kinder diejenigen, die darunter zu leiden haben. Und dann wäre im Ernstfall das Dilemma komplett.

    Also nimm dir die Zeit, um in Ruhe mal abzuwägen: Deine Mutter ist in Pflege und damit versorgt. Ausserdem kann sie dich und deine Anwesenheit gar nicht mehr wahrnehmen. Dein Vater braucht dich nicht und will auch nicht, dass du dich um ihn kümmerst. Doch deine Kinder brauchen deine Liebe und deine Zeit und Fürsorge. Damit sie in Liebe aufwachsen können.

    Auf diese Weise machst du weder dich noch die Kinder verrückt. So kannst du, ohne dass du Schuldgefühle entwickelst, über die Pflegerin mit deinen Eltern in Kontakt bleiben, und sie, wenn es angebracht ist auch besuchen und in Liebe ihnen zugetan sein.

    Ich wünsche dir die Kraft dich richtig zu entscheiden.

    Liebe Grüsse

    Heinz Maximilian

  • Lieber Heinz Maximiian,

    danke für deine Antwort. Aber meine Mutter ist geistig voll da und bei klarem Bewusstsein. Das ist der grausamste Teil der Krankheit. Sie weiß sehr wohl, ob ich da bin oder nicht. Sie versteht jedes Wort, sie ist in ihrem eigenem Körper bei vollem Bewusststein gefangen. Sie ist beatmet und künstlich ernährt, ihr Körper ist ihr eigener gläserner Sarg aus dem Sie alles genau mitbekommt. Über die Abfrage des Alphabets kann sie und, zwar mit sehr viel Zeit, aber immerhin - Sätze diktieren. Wenn sie geistig nicht mehr da oder ansprechbar wäre, ja dann wäre das noch wieder etwas anderes. Aber sie ist geistig - von den durch die Krankheit bedingten schweren Depressionen mal abgesehen - gesund und ich bin mittlerweile die Einzige, neben meinem Vater, die noch mal dafür sorgt, dass sie auch mal etwas Schönes erlebt. Mein Vater ist total überfordert mit der Pflege und dem bürokratischen Aufwand, gesundheitlich steht es auch nicht gut um ihn... er braucht mich eigentlich schon, ist aber frustriert, dass ich ihm nicht die Last abnehme, die er loswerden möchte. Ich bin in einer Situation, in der es nicht möglich ist, sich für die Kinder und damit gegen die Hilfe brauchenden Eltern oder für die Eltern und damit gegen die eigenen Familie zu entscheiden. Dieser Spagat geht immer weiter. Oft denke ich, dass dies der schönste Teil meines Lebens sein sollte, statt dessen ist es bisher der schwerste.

  • Liebe Nordlys2107


    unter deinen traurigen , sehr sehr anstrengenden Lebensumständen begrüße ich dich hier im Forum herzlichst.

    Gut, dass du hier ein Forum gefunden hast, wo du dich anvertrauen kannst.


    Meine Situation ist eine ganz andere, jedoch kenne ich den riiiiesen Spagat zwischen all dem was anfällt , zw. Job, Kindern (meine sind nun zwar schon 18 & 22).

    Ausgrenzung

    Tun, tun, tun ... und trotzdem das Gefühl haben und es fast Niemanden recht zu machen, genügend Zeit zu schenken ...

    Wo man selbst bleibt, interressiert Keinen .


    In Kurzform unsere Geschichte :

    Mein Mann fing vor Jahren extrem zu trinken an.

    (Kurzarbeit, Entlassungen standen in der Fa. an, trafen uns zum Glück nicht, seine Angst stieg trotzdem )

    Es kamen heftigste Depressionen dazu, er wollte und konnte

    (aufgrund seiner Erziehung...)

    leider keinerlei Hilfe annehmen ->

    Trennung

    Jedoch immer Kontakt, so gut es ging und von uns 3 aushaltbar war.


    17.06.2018 : er starb plötzlich

    Einfach so !

    Totale Fassungslosigkeit !!

    Trauer ...

    Die Meisten verstanden es nicht, "ihr ward doch getrennt" ...

    Einsamkeit in der Gefühlswelt von mir und uns 3.

    Kaum Hilfe, auch nicht von meiner family, sie wollten immer reden, reden, reden, wir konnten nicht reden. Dann liesen sie uns allein damit.


    Ausschluss seiner !! Eltern, vor allem seiner Mutter aus Allem was mit Abschiednehmen, wo wird er beigesetzt ... zu tun hatte.

    Durch meine/unsere 2 Kinder und unsere gr. Trauer waren wir unfähig in dieser Zeit dagegen anzugehen.


    Mai 2019 :

    wie aus dem Nichts :

    Diagnose diffuser B-zelliger Lymphdrüsenkrebs bei meiner Mutter (es ist nicht das engste , nahe Verhältnis zu ihr, trotzdem Schock ...)

    -> Sie kam gleich ins Krankenhaus, Chemo nach ix Untetsuchungen.

    Mein ♡-kranker Vater völlig hilflos und am Zusammenbrechen.

    Mein Bruder hält sich toll in Allem zurück, er hat ja als Frührentner mit 48 ,seine Freundin, 2 Hasen und 2 Katzen auch extrem viel zu tun ...


    Ich raste tägl. zw. Job, KH, Vater, und wenig Zeit für die Kinder hin und her mit dem Ergebnis, dass ich vor knapp 2 Wochen mit akuter Darmentzübdung selbst 8 Tage ziemlich heftig in der Klinik lag.

    Nun zwar wieder vom KH daheim bin, ruhen muss...

    & nun gerade nur für mich da sein kann.


    So, von wegen nun Spagat.

    Mein Vater, spielt auch den "ich schaff das schon, duuu könntest duch ja schon mal bei Mutter melden, "ein Mann" (76 Jahre) braucht keine Hilfe ...

    und ich sah doch, dass es nicht läuft ....


    Von daher verstehe ich dich, denke ich doch, sooo gut .

    Halt etwas anders gelagert.


    Ich umarme dich liebevoll

    (wenn du es zulassen kannst und magst).


    Eine Lösung ? Habe ich auch keine, weder für dich, noch für mich.


    Stille Perle

  • ich habe vor einigen Jahren ein Buch bei einer Freundin ausgeliehen :

    Dienstags bei Morrie

    von Mitch Albom

    Goldmann Verlag.


    Eine wahre Geschichte zu ALS

  • Liebe Nordlys 2107,

    das Wichtigste in deiner Situation ist wohl, dass du, als der Dreh-und Angelpunkt der Familie, nicht durchdrehst. Ansonsten würde wohl alles zusammenbrechen. Dazu gehört wohl, dass du dich nicht gegen irgendjemand entscheiden musst, du musst nur alles unter einen Hut bringen, rein emotional als auch zeitlich. Das ist eben der Spagat, von dem du sprichst. Das ist die Herausforderung deines Lebens. Dazu wünsche ich dir viel Kraft und Besonnenheit, damit du immer die richtige Entscheidung triffst, damit niemand zu kurz kommt, wenn du deine Liebe und Zuwendung aufzuteilen hast.

    Ich hege Respekt und Bewunderung für dich, wie du diese deine Situation schaffst.

    Heinz Maximilian

  • Liebe Nordlys2107.


    Ich würde gerne so viel schreiben, aber heute fehlt mir die Kraft. Wir kennen uns ja schon ein wenig aus meinem Thread und schon da hatte ich dir mal geschrieben, dass Trauer für mich nicht zwingend mit dem Tod beginnt!

    Auch ich trauert als meine Mom ihre Diagnose erhielt, dann trauerte ich, als klar war, sie wird an diesen Metastasen im Gehirn sterben und natürlich trauere ich seid sie gestorben ist.


    Ich kann dich wahrscheinlich nicht voll verstehen, aber vllt ein wenig. Denn auch meine Mutter war im Kopf bis zum Schluss vollkommen klar. Sie konnte zum Glück ihre Sprache größtenteils auch behalten, aber körperlich wurden ihr immer mehr "Funktionen" genommen.

    Ich kann mir nicht ausmalen welch Qual das sein muss...für deine Mutter selbst wie eben auch für dich als Tochter!


    Ich möchte dich einfach mal in den Arm nehmen, deine Hand halten und dir damit zeigen, dass ich versuche etwas für dich da zu sein.


    Liebe Grüße

  • Wieder ein Stück Mama weniger - jetzt kann sie nicht mehr lesen und nur noch selten sinnvolle Worte über die Abfrage der Buchstabentafel zusammenbringen. Ich weiß nicht mehr, wann sie das letzte Mal etwas zu mir gesagt hat. Ich vermisse sie so sehr. Mein beklopptes Gehirn hat immer noch das Gefühl, dass wir "später" dann endlich über diese schreckliche Zeit reden, dann uns wieder nah sind... aber es wird kein später geben. Nichts das wieder kommt. Ich habe solche Angst. Ich wünschte, ich könnte noch einmal einfach mit ihr sprechen, genau wissen, was sie jetzt denkt, wie es ihr geht. Aber das werde ich nie erfahren. Ich fühle mich furchtbar deswegen, so als ob ich sie im Stich lasse. Eingesperrt in ihren Körper.

  • Liebe Nordlys2107


    Mit fehlen die richtigen Worte, aber ich verstehe vllt ein wenig. Auch ich habe im Kopf immer wieder kurz den Gedanken aufkommen, dass ich mit meiner Mama über dieses oder jenes bestimmt mal lachen kann, bis ich dann realisiere, dass dieser Gedanke bescheuert ist.

    Dennoch würde ich nicht von einem "bekloppten Gehirn" sprechen. Sei nicht so hart zu dir. Es ist eine so schwierige Situation...für deine Mutter ja, aber auch für dich und alle anderen.

    Ich hatte bzw habe auch noch immer das Gefühl, dass ich meine Mutter im Stich gelassen habe...aber dann frage ich mich wieder, was ich in ihrer Situation vllt von mir (also meiner Tochter) verlangen würde bzw verlangt hätte und versuche mir dann selbst zu sagen, dass es nie "optimal" sein wird und dass "okay" schon viel wert ist.

    Ich glaube, deine Mama spürt, dass du da bist so gut du kannst.


    Ich hoffe meine Worte kommen nun nicht falsch rüber oder verletzen dich noch mehr.

    Ich drücke vorsichtig deine Hand zum Zeichen, dass ich an dich denke.

  • Wenn man sieht und miterleben muss, wie einem gelibten Menschen eine Fähigkeit nach der anderen genommen wird, dann macht das einen natürlich sehr traurig, andererseits reduziert dies einen Menschen auf sein Gefühl. Dies aber fordert uns heraus, dass auch wir uns auf unsere Gefühlsebene begeben, damit wir all die Regungen und Schwingungen spüren und regiestrieren können, die von dem geliebten Menschen ausgehen. So uns das gelingt, haben wir eine Ebene des Gefühlsaustausches gefunden, der von Herz zu Herz geht und bei dem man sich wirklich verstanden und glücklich fühlt. Denn unsere ursprüngliche Sprache ist die des Herzens, ist die lautlose Sprache der Gefühlsschwingungen.

  • liebe Nordlys2107,


    ich kann gerade nicht viel schreiben..meine Mutter hat die gleiche Krankheit. Ich kann alles was du sagst nachempfinden, vollkommen verstehen , ich weiß gabz genau wie dieses immer weniger werden anfüllt. Gestern konnte sie noch tippseln mit der Gehhilfe , heute gehorchen die Beine nicht mehr. Sie schaut mich immer an, die Augen so lebendig und ich werde nie erfahren was sie sagen wollte....Ich zerbreche an manchen Tagen dran.....

    Bei ihr fing es im Februar dieses jahres an und heute ist sie gelähmt , stumm und seit gestern Abend im Krankenhaus in einem sehr tiefen Schlaf gefallen. Ich weiß was es sein kann.... und ich habe so Angst, was wenn sie jetzt von uns geht? Was wenn ich gerade nicht bei ihr bin?

  • liebe Nordlys2107,


    ich kann gerade nicht viel schreiben..meine Mutter hat die gleiche Krankheit. Ich kann alles was du sagst nachempfinden, vollkommen verstehen , ich weiß gabz genau wie dieses immer weniger werden anfüllt. Gestern konnte sie noch tippseln mit der Gehhilfe , heute gehorchen die Beine nicht mehr. Sie schaut mich immer an, die Augen so lebendig und ich werde nie erfahren was sie sagen wollte....Ich zerbreche an manchen Tagen dran.....

    Bei ihr fing es im Februar dieses jahres an und heute ist sie gelähmt , stumm und seit gestern Abend im Krankenhaus in einem sehr tiefen Schlaf gefallen. Ich weiß was es sein kann.... und ich habe so Angst, was wenn sie jetzt von uns geht? Was wenn ich gerade nicht bei ihr bin?

    Liebe Schandrea,

    Willkommen im Forum. Ich kann die Hilflosigkeit verstehen. Einen lieben Menschen zu verabschieden ist immer sehr schwer, ob dieser nun plötzlich geht, oder auch ein langsamer Abschied.


    Sie kann nicht mehr zu dir sprechen, aber du kannst ihr noch alles sagen, alles aussprechen was dir am Herzen liegt.


    Du kannst hier im Forum einen eigenen Beitrag starten mit deinem Thema. Und jederzeit alles rein schreiben was dich beschäftigt. Hier findest du immer ein offenes Ohr.


    Ich wünsche dir ganz viel Kraft für diese Zeit <3

    Isabel

  • Liebe Schandrea,

    auch ich möchte dich hier im Forum begrüssen. Auch wenn der Anlass ein trauriger ist. Ich werde deine Zeilen immer aufmerksam lesen. Und wenn es mir möglich ist, auch gerne dir weiterhelfen. Deine Angst kannst du nur etwas mindern, wenn du dich immer, ebn auch nonverbal, mit deiner Mutter verbunden fühlst. Denn das hält dann auch über den möglichen Tod hinaus.

    Glg Heinz Maximilian

  • Nach langer Zeit muss ich mir mal wieder etwas von der Seele schreiben - es ist sehr lang und einiges wiederholt sich sicher. Ich hatte gestern einen sehr schweren Tag. Corona verändert hier auch alles. Mein Vater hat mich gestern wieder beschimpft und fertig gemacht. Mehr will ich jetzt gerade dazu nicht schreiben, aber ich habe mich mal hingesetzt und angefangen aufzuschreiben, was mich bewegt. Vielleicht liest es ja jemand. Ich bin noch nicht fertig mit Aufschreiben, aber ich kann gerade nicht mehr. Alles bricht über mir zusammen. Mehr also später...

    Ich befinde mich seit sechs Jahren in einer Zeit der Krise. Die Zeit, die eigentlich wohl für die meisten Menschen die schönste ihres Lebens ist, die Zeit in der man jung ist und die Kinder klein, in der man gemeinsam Familie ist. Ich sage nicht, dass diese Zeit nur schrecklich für mich ist, aber sie ist nicht das, was ich erwartet habe. Tatsächlich habe ich mich mein ganzes Leben lang schon auf diese Zeit gefreut. Ich kann mich erinnern, wie ich selbst in der Grundschule in langweiligen Stunden aus dem Fenster schaute und davon träumte, wie mein Leben wohl als Erwachsene sein würde. Ich träumte von meinen Kindern, meinem Beruf und wie das alles sein würde. Schon mit zwölf sammelte ich Namen für meine potentiellen Kinder und mit neun schrieb ich in mein Tagebuch, wie ich meine Kinder erziehen wollte. Was nirgendwo steht ist, dass im Hintergrund all dessen immer auch meine Mutter stand, die mir schon als Kind erzählt hat von dem, was wir mal machen, wenn sie Oma ist und ich Mutter bin. „Wenn du mal Mama bist…“ oder „Wenn ich dann mal Oma bin…“, „Wenn du irgendwann Kinder hast…“ sind Sätze die oft fielen.

    Ich hätte nicht glücklicher sein können, als Chris, mein Mann, endlich zu mir zog, als unser erstes Kind geboren wurde. Aber dann bekam mein Mann Depressionen. Die Freude an unserem Kind wurde getrübt durch die Sorge um ihn, durch die Trauer darüber, dass er sich nicht freuen konnte, durch die Einsamkeit, alles allein zu machen und zu erleben, denn er war ganz woanders. Irgendwann suchte er sich Hilfe, es wurde besser. Die Freude kehrte zurück. Etwa ein Jahr später entschieden wir uns gemeinsam für ein zweites Kind. Als unser Mädchen zur Welt kam, war alles wunderbar. Meine Mutter freute sich so sehr mit uns und mir. Ich hatte einen Mann an meiner Seite, der ein toller Vater und nun ganz bei uns war. Wir zogen in ein Haus in einer kleineren Stadt, die Kinder verbrachten viel wunderschöne Zeit auch mit den Großeltern, wenn wir Hilfe und Unterstützung brauchten, dann waren sie immer da.

    Und dann kam der 18. Juli 2014 und alles wurde anders. Meiner Mutter wurde die Diagnose ALS gestellt und von einem auf den anderen Tag war meine Mutter verschwunden. Die zuversichtliche, fröhliche, sanfte, liebevolle Frau, die immer ein Wort des Mutes und der Unterstützung, des Trostes hatte, gab es von jetzt auf gleich nicht mehr. Alle ihre Träume waren zerstört und damit auch meine. Das ist schwer zu erklären. Aber von nun an wurde jede Unterhaltung mit meiner Mutter davon begleitet, was sie nicht mehr konnte, nicht mehr können wird und worüber sie traurig ist. Worüber ich traurig war, was ich verloren hatte, darüber wurde nicht gesprochen. Es ging nur um sie. Sie hatte kein Wort des Trostes für mich. Als ich einmal sagte, ich wisse nicht, wie ich ohne sie leben solle, da war die Antwort: „Du hast doch deine Tochter!“. Als ob ein Mensch einen anderen ersetzen könnte! Es wurde meine Aufgabe sie aufzuheitern, ihr Kraft zu spenden, ihr Mut zuzusprechen. Unsere Rollen wurden getauscht. Ich war fünfunddreißig Jahre alt, meine Kinder waren gerade fünf und gerade zwei. Wie oft hätte ich selbst noch gern mal Hilfe und Unterstützung gehabt, mal ein liebes, aufbauendes Wort. „Ich wünsche dir ein leichtes Leben!“, schrieb meine Mutter mir einmal. Fast hätte ich laut aufgelacht. Ein leichtes Leben also? In dem ich dabei zusehe wie meine Mutter nach und nach verfällt, in dem ich arbeite, mich um kleine Kinder und meine Eltern kümmere und nie jemandem gerecht werde? Sie hätte mich lieber schreiben sollen: „Ich wünsche mir, dass du jemanden findest, der dir hilft, der dich unterstützt, dir Mut zuspricht, wenn dich der Mut verlässt!“ Ein leichtes Leben kann sie mir wünschen, aber das habe ich nicht. Ich konnte mich über die kleinen Dinge nicht mehr gut freuen, so sehr ich es auch versuchte, dann wenn mein Kind schwimmen lernte und ich der Oma davon erzählte, dann kam zurück: „Ja, leider werde ich ja bald nicht mehr schwimmen können.“ Ich konnte mich nicht mehr erholen, denn wenn es freie Tage gab, dann holten wir meine Mutter ab oder besuchten sie bei sich zu Hause. Nicht selten wurde ich bei diesen Besuchen oder auch am Telefon von meinem Vater beschimpft oder musste dabei zusehen, wie er meine Mutter beschimpfte aus Überforderung mit seiner eigenen Situation. Wenn ich da war, bekam ich zu hören, dass ich nicht genug da war, nicht genug half, nicht wirklich etwas bewirkte mit meinen Versuchen zu unterstützen. Gleichzeitig fehlte diese Zeit meiner eigenen Familie. Wir konnten und können uns nur selten bis gar nicht auf uns konzentrierten uns mal erholen, gemeinsam unbeschwert Dinge machen. Über allem hängt immer die Schwere der Krankheit meiner Mutter. Wenn ich etwas genoss, fühlte und fühle ich mich sofort schuldig, denn meine Eltern können ja ihr Leben nicht mehr genießen. Ich sollte es nicht gut haben, wenn es ihnen so schlecht ging. Wenn ich Zeit habe, dann sollte ich ihnen helfen und mich nicht selbst vergnügen. Dieses Gefühl bestimmt mein Leben. Ich konnte und kann keinem von ihnen wirklich helfen, sehr ich es auch versuche und das begleitet mich jede einzelne Minute meines Lebens.

    Es kann sich kaum jemand vorstellen, wie beherrschend das ist, wenn jemand, den man liebt so leidet und man sich die ganze Zeit immerzu schuldig fühlt, weil man nichts tun kann und die ganze Zeit immerzu daran denkt und deswegen das eigene Leben nicht mehr genießen kann und sich dann deswegen auch noch schuldig fühlt, weil man doch zumindest dankbar sein sollte, für das, was man hat. Als ich mit unserem dritten Kind in den Wehen lag und es in die Übergangsphase ging, da dachte ich an meine Mutter. Wer schon mal ein Kind bekommen hat, weiß, dass man in dieser Phase eigentlich gar nichts mehr denkt, aber ich dachte an meine Mutter und daran, dass ich Angst habe vor dem Leben ohne sie, daran, dass dieses Kind, das gleich geboren werden würde, seine Oma nicht kennenlernen würde, jedenfalls nicht so, wie sie eigentlich war. Ich dachte daran, dass ich ein Leben in die Welt bringen würde, während ein anderes jeden Tag noch mehr schwindet. Ich hatte Angst und fühlte mich allein. Die Hebamme fragte, was los sei, warum ich nicht mitpressen würde. Ob ich Angst hätte. „Ja!“, konnte ich nur sagen, aber vor was ich Angst hatte habe ich nicht erklärt (das geht auch schlecht unter Wehen) und sie hat es sicher falsch gedeutet. Die Geburt machte mir keine Angst. Mein Leben machte mir Angst. Meine Einsamkeit. Meine Fähigkeit alles gleichzeitig sein zu müssen Mutter, gute und helfende Tochter, eine engagierte und gute Lehrerin, eine gute Ehefrau.

    Als die Kleine sich das erste Mal drehte, da schrieb meine Mutter: „Jetzt kann sich das Kind schon mehr bewegen als ich!“ Immer mehr Dinge konnte bzw. entschied ich, meiner Mutter nicht mehr zu erzählen, denn das machte alles nur noch schlimmer. Und diese Entscheidung tut bis heute weh, denn bis zu ihrer Diagnose war meine Mutter meine beste Freundin. Sie war die Person, der ich alles erzählte, meine engste Vertraute. Wenn gar nichts mehr ging, dann war da immer Mama. Nun war ich allein. Mein Mann kann diese Trauer nicht verstehen und sich darin nicht einfühlen. Es gibt keinen Menschen, zu dem er ein vergleichbares Verhältnis hat. Das ist auch in Ordnung, aber es macht mich noch einsamer.

  • Liebe Nordlys,


    ich habe dich gelesen und bin sehr betroffen von deiner "Geschichte".


    Ich würde dir gerne helfen, weiß aber nicht wie.


    Ich kann dir nur mein Ohr leihen und meine Schulter zum Anlehnen und Ausweinen und das mache ich gerne. Begleite dich gerne auf deinem dornigen Weg - wenn auch nur virtuell.


    Gut, dass du dir hier alles von der Seele schreibst.

    Es ändert zwar nichts an der Situation aber es erleichtert und lässt einen wieder kurzfristig durchatmen.


    Ich wünsche dir viel Stärke und Kraft.


    Pass aber auch auf dich selbst auf und schaffe dir ein paar Ruheinseln.


    Was könnte dir Kraft schenken?

    Eine heiße Dusche? Ein Schaumbad? Ein Telefongespräch? Deine Lieblings CD anhören,? Tief in den Bauch atmen? Deine Hand auf deine Herzgegend legen und dich dadurch selbst etwas trösten (hilft mir,!!!) Ein....?


    Ich schenke dir eine sanfte Umarmung (so ich das darf) :24:und hoffe, dass sie dir gut tut.


    Alles, alles Liebe <3


    blaumeise