Hallo zusammen!
Ich habe hier schon seit ein paar Tagen reingelesen, mich sogar angemeldet, bislang aber den Mut nicht gefunden, aktiv zu werden. Ich habe beschlossen, mich mitzuteilen in der Hoffnung, wertvolle Tipps zu erhalten.
Um der ganzen Tragödie gerecht zu werden, muss ich ein wenig ausholen:
Meine beste Freundin kenne ich, seit ich 15 bin. Also ein halbes Leben lang. Sie ist ein Jahr älter als ich, hat für mich aber immer zusätzlich die Funktion einer "großen Schwester" erfüllt. Auch jetzt, da wir beide die 30 überschritten haben, hat sich an unserem innigen Verhältnis nie etwas geändert.
A. meine Freundin ist seit ihrem 16. Lebensjahr mit D. zusammen. Die beiden waren nie getrennt, hatten nie Streit. Die große Liebe eben. Für mich immer ein Mysterium der Perfektion. Auch nach so vielen Jahren spüre ich die tiefe Liebe beider zueinander, so als wäre aus 2 Menschen einer geworden. Bei A. und D. ging immer alles glatt. Von der Wohnungssuche in der Großstadt, die dafür bekannt ist, dass Wohnraum Mangelware ist bis zur Jobsuche.
Mein Freund und ich sind seit 12 Jahren zusammen. D.h. A. hat unsere Beziehung schon in den Anfängen mitverfolgt. Demzufolge bestand diese 4-er-Freundschaft seit ca. 12 Jahren. Unsere Männer verstanden sich vom ersten Augenblick an sehr gut; fast als wären sie seelenverwandt. Wenn wir zu viert loszogen, waren A. und ich wie nette Beiwerke, die aber bitte den Herrenplausch nicht stören sollten. Wir fanden das Männergefüge immer putzig und nahmen es ihnen nicht übel.
Dies alles nur, um deutlich zu machen, in welcher Position ich und mein Freund stehen.
Am Donnerstag, 22.05.2008 blieb die Welt stehen. Ein Anruf, der alles verändert:
Es ist Abend, das Telefon läutet. Mein Freund geht ran und ich denke, dass es meine Mutter ist, die mir was sagen möchte. An der Art, wie mein Freund spricht merke ich, dass nicht meine Mutter am Telefon ist. Er reicht mir den Hörer mit den Worten "I. ist dran". I. ist die Schwester von A.
Ich sehe auf die Uhr: 20.37 Uhr. Als müsse ich mir merken, wann die Welt zum Stillstand kommt. Mein Magen krampft sich schon zusammen, bevor ich überhaupt erfahre, warum sie mich anruft. Bevor nur ein Wort gefallen ist, ist mir klar, dass dieser Anruf nichts Gutes bringt. Ich habe furchtbare Angst, dass A. etwas passiert ist. Dies alles fliegt mir in Sekundenbruchteilen durchs Gehirn. Ich nehme den Telefonhörer und melde mich. I. sagt, dass A. ihr gesagt hat, sie solle mich anrufen. In meinem Kopf dreht sich alles. Warum habe ich so ein schlechtes Gefühl? A. hat gesagt, man soll mich anrufen; also gehts ihr doch gut. Warum fühle ich mich dann nicht erleichtert? Warum flattern meine Eingeweide?
Und dann kommen die Worte, die ich nicht verstehen kann: "D. lebt nicht mehr. Er ist tot."
In meinem Kopf kommt alles zum Stillstand. Ich verstehe die Worte nicht. Habe jedes davon schon unzählige Male gehört; aber nie in der Kombination. Und genau das ist das Problem. Zusammen ergeben sie für mich keinen Sinn. I. redet weiter - ich kann ihr nicht folgen. Noch immer versuche ich, die Worte zu verstehen. Mein Freund sitzt neben mir und starrt mich an, als könne er dadurch in meinen Kopf sehen und erfahren, warum ich so still bin. Ich starre vor mich hin; I. redet. Ich merke, dass ich Gänsehaut am ganzen Körper habe, meine Knie im sitzen zittern und mir Tränen übers Gesicht laufen. Also hat mein Körper vor meinem Gehirn begriffen, was die Worte bedeuten.
Ein neuer Gedanke stürmt in meinen Kopf: Verweigerung. Ich unterbreche I. und sage ihr, dass sie sich täuschen muss; irgend etwas falsch verstanden hat. Sie täuscht sich nicht. Ich bin fassungslos, wie paralysiert. Kann mich nicht bewegen, nichts sagen, nur weinen. Auch dem Gespräch folgen kann ich nicht wirklich. Ich nehme nur Brocken zur Kenntnis. D. - tot - A. - gefunden - plötzlich - Gerichtsmedizin. Wir beenden das Gespräch.
Ich sitze da und starre vor mich hin. Ich kann es nicht begreifen und ich will es auch nicht begreifen. Das kann nicht sein! Wir saßen noch an meinem 30. Geburtstag alle beisammen und hatten einen so lustigen Abend, den wir doch wiederholen wollten! Ich zittere immer noch. Aus dem leisen Weinen ist von mir unbemerkt schon ein Heulkrampf geworden. Mein Freund nimmt mir den Hörer aus der zitternden Hand und sieht mich fragend an. Ich ignoriere diesen Blick. Will ihm nicht sagen, was ich selbst nicht verstehe. Er wartet ein paar Sekunden und fragt mich dann direkt, was passiert ist. Ich stottere ihm etwas vor. Er begreift schneller als ich. Seine Augen füllen sich mit Tränen und ich kann buchstäblich zusehen, wie er in sich zusammenfällt. Wir sitzen da und jeder ist für sich völlig fassungslos. Unsere Gedanken sind bei D. und bei A.
Die ganze Nacht liegen wir wach. Er, weil ihm die Fassungslosigkeit den Schlaf raubt und ich, weil ich auf einmal die völlig irrationale Angst habe, wenn ich einschlafe, sterbe ich oder merke nicht, wie mein Partner neben mir stirbt. Eine lange quälende Nacht, der noch viele weitere folgen.
Am Mittwoch, 28.05.2008, haben wir D. zu Grabe getragen. A. war so tapfer. Sie hat alles organisiert und sogar eine Rede gehalten, die ausnahmslos jedem Trauergast die Tränen in die Augen trieb. Wir haben uns nach der Beerdigung das erste Mal nach D.'s Tod unterhalten. Sie war so anders. Sie war so bemüht um Stärke, dass es mir Angst machte. Wir verblieben so, dass sie sich bei uns melden würde.
Am letzten Sonntag kam sie zu mir. Mein Freund war unterwegs, was auch gut so war. Sie kam in die Wohnung mit einer dicken Sonnenbrille auf. Als sie sich auf die Couch setzte und die Brille abnahm, brach sie völlig in sich zusammen. Ich habe mich mein ganzes Leben lang noch nie so nutzlos gefühlt, wie in diesem Moment. Ich wusste nich, was ich sagen sollte, habe sie in den Arm genommen und mit ihr geweint.
Ich bin völlig hilflos. Sie macht sich Vorwürfe, die an den Haaren herbeigezogen sind, zweifelt an ihrer Beziehung, redet sich ein, eine schlechte Partnerin gewesen zu sein etc.
Sie hat nichts, überhaupt nichts falsch gemacht. Ich fühle mich miserabel und schlecht, wenn sie Fragen stellt, warum man ihn ihr genommen hat, womit sie das verdient hat, was sie so falsch gemacht hat, so bestraft zu werden etc.
Was kann ich tun, um ihr beizustehen? Ich habe total Angst, etwas zu sagen, was evtl. bei ihr total falsch ankommt, und alles noch verschlimmert.