Hallo in die Runde,
als ich in einer der letzten Nächte so verzweifelt war, dass ich einfach nicht mehr weiter wusste, habe ich nach einem Trauerforum gegoogelt und bin hier gelandet. Viele eurer Geschichten haben mich sehr berührt und besonders die Art und Weise, wie liebevoll und wertschätzend ihr hier miteinander umgeht. Drum dachte ich, ich kann es wagen, euch von meiner Geschichte zu erzählen und hoffe, dass mir das hilft.
Weil ich so ein großes Bedürfnis habe, über alles zu sprechen, verliere ich mich oft in Details, ich werde mir aber Mühe geben, mich kurz zu fassen, obwohl meine Geschichte eine sehr lange ist. Die vielen Krankenhausdetails bitte ich zu entschuldigen.
Mein Papa bekam vor etwas mehr als vier Jahren im Alter von 61 Jahren die Diagnose Darmkrebs mit Lebermetastasen. Die Diagnose wurde "zufällig" gestellt, als er einen kompletten Darmverschluss hatte mit allem drum und dran und deshalb am Abend notoperiert werden musste. Ich war bei ihm, als der Arzt kam und ihm das alles gesagt hat. Mama und ich haben die ganze Nacht gezittert. ob er es überlebt. Es wurde gesagt, dass wir danach einen Anruf bekommen, es kam aber keiner. So haben Mama und ich die ganze Nacht "Wache gehalten" bis wir es morgens nicht mehr ausgehalten haben und uns gesagt wurde, alles sei gut verlaufen.
Das war der Beginn einer langen Leidenszeit. Papa musste in diesen vier Jahren immer und immer wieder operiert werden, es gab viele Komplikationen und lange Krankenhausaufenthalte. Manchmal war er so schwach, ich habe ihn dann gewaschen, umgezogen oder beim rasieren geholfen. Es tat mir so weh, ihn so schwach zu sehen, er war doch immer das starke Famliienoberhaupt. Aber er hat sich immer wieder aufgerappelt. Er machte eine Chemo, die die Lebermetastasen plattmachte und Papa offiziell für tumorfrei erklärt wurde, ein Wunder, wir waren so erleichtert! Ein ganzes Jahr war Ruhe, keine weiteren Hiobsbotschaften. Dennoch hatte er so abgebaut, die vielen Tage im Krankenhaus und die Krankheit hatten ihn sehr gezeichnet, es gab für ihn fast nur noch die Krankheit, von der er einfach geheilt sein wollte. Ich arbeite selbst im medizinischen Bereich und habe die ganze Zeit geahnt, dass das noch viel dickere Ende irgendwann nachkommt. Letztes Jahr dann war der Krebs zurück, nach einer erneuten Bauch-OP teilte man ihm mit, dass man das auffällige Gewebe nicht entfernen konnte, er solle eventuell nochmals eine Chemo machen. Die Probe des Gewebes, das entnommen worden war, erwies sich allerdings als unauffällig, so dass keine weitere Therapie empfohlen wurde. Es war ein ewiges Hin und Her und schließlich sagte der Onkologe, wenn da nix nachweisbar ist, dann machen wir auch nix. Im Nachhinein denke ich, das war die richtige Entscheidung, denn so hatten Papa und Mama noch zwei schöne Urlaube miteinander und ich hatte auch die Gelegenheit, nochmal viel Zeit außerhalb des Krankenhauses mit ihm zu verbringen.
Letzten Dezember ging es Papa dann plötzlich viel schlechter. Er nahm stark ab, hatte tierische Schmerzen. Er wollte nicht ins Krankenhaus, um jeden Preis hat er versucht, mit starken Schmerzmitteln hinzukommen. der Onkologe sagte, die Laborwerte sprechen für ein starkes Tumorwachstum, auch die Niere war auf einmal schwer angeschlagen. Weihnachten war ich bei meinen Eltern über Nacht zuhause und habe mitgekommen, wie er nachts jämmerlich gewimmert hat vor Schmerzen (nachts war es immer am schlimmsten). Er wollte aber unbedingt daheim bleiben. Am 30.12. ist er dann ins Krankenhaus, weil es einfach nicht mehr ging. Dort wurde uns gesagt, dass der Tumor in die Wirbelsäule gewachsen war und das ihm vermutlich die starken Schmerzen bereitet hat. Nach langem Kampf gelang es uns, Papa auf die dortige Palliativstation verlegen zu lassen, wo er endlich ausreichend Schmerzmittel bekam, dass er wieder entspannen konnte. Die Menschen dort haben sich wirklich rührend um ihn gekümmert, wir haben dort als Familie noch einmal schöne gemeinsame Momente verbringen können, auch wenn es eine so traurige Zeit war. Der Plan war eigentlich, dass er dort Schmerzmittel technisch eingestellt wird, damit wir ihn wieder nach Hause holen können. Ich hatte ab Mitte Januar Prüfungen in der Uni und Papa wollte nicht, dass ich wegen ihm irgendwas absage, also bin ich zu meinen Prüfungen und danach ins Krankenhaus. Er hat sich immer so gefreut, wenn ich wieder eine weitere Klausur bestanden hatte. Ich habe mich dabei aber schlecht gefühlt, als würde ich ihn alleine lassen oder meine Belange über seine stellen.
In der letzten Januarwoche hatte ich vier Klausuren, eine sehr schwere war am Mittwoch, dann wieder eine am Freitag. Deshalb habe ich gesagt, ich lerne und komme dann Montag und Mittwoch zum Besuchen, dann am Freitag wieder, um dazwischen noch lernen zu können. Mittwoch war eine sehr schwere Prüfung, vor der ich die größte Angst hatte. Als ich danach auf dem Weg zum KH war, habe ich am Telefon schon gemerkt, dass Mama komisch drauf war. Ich hatte irgendwie ein mulmiges Gefühl. Dann sagte Mama, als ich da war vor dem Zimmer zu mir: "Es geht nicht mehr lang, gestern hat eine Ärztin mit mir gesprochen. Die Nieren haben aufgehört zu arbeiten. Ich wollte es dir nicht sagen, weil ich nicht wollte, dass du deshalb daheim bleibst von der Prüfung. Das würde er auch nicht wollen." Das war das letzte Mal dass ich Papa gesehen habe. Er war schon so schwach, hat mehr geschlafen als dass er wach war. Aber er hat noch mitbekommen, wie ich die Nachricht bekommen habe, dass ich bestanden hatte. Er hat sich mit mir gefreut, das habe ich ihm angesehen. Auch wenn ich nicht ganz verstanden habe, was er gesagt hat, ich hab es aber einfach gespürt. Ich hab dann ein bisschen erzählt, was mir draußen so lustiges passiert ist und er hat vom Urlaub erzählt, teilweise konnte man es verstehen, teilweise nicht. Er war ein begeisterter Urlauber, er hat die Urlaube mit Mama geliebt und eigentlich immer grad einen geplant, wenn ich ihn gefragt habe. Er hat vom guten Rotwein in Spanien geschwärmt und von einem Boot erzählt und einem Lokal in dem Urlaubsort, in dem meine Eltern immer waren. Da hat er auch gegrinst. Unsere Fragen nach Schmerzen hat er immer verneint, da bin ich sehr froh. Als Mama und ich am Abend gegangen sind, hat er ganz deutlich gesagt: Danke für alles. Das war so seine Art, er wollte nie jemand zur Last fallen. Ich habe ihn noch einmal auf die Wange geküsst, wie ich es immer gemacht habe. In der Früh ist er dann ganz friedlich eingeschlafen, ein Pfleger dort war dabei. Was mich sehr beschäftigt ist, dass ich am Tag drauf nicht nochmal hin gefahren bin. Ich konnte und wollte ihn einfach nicht so leblos sehen. Ich wollte ihn lebend in Erinnerung behalten. Ich hatte mir das vorher gut überlegt. Aber doch habe ich ein schlechtes Gewissen deshalb. Mit Mama gemeinsam habe ich die Beerdigung organisiert, so wie er es sich gewünscht hätte.
Morgen ist sein Todestag drei Monate her. Es ist so wahnsinnig schwer. Ich vermisse ihn so sehr. So viele Bilder gehen mir durch den Kopf, zuerst die schrecklichen, als er sich so verändert hatte und so gelitten hat, jetzt auch immer mehr die schönen Momente, das ist aber fast noch schwerer zu ertragen, weil es mir zeigt, wie glücklich es mich macht, an meine Erinnerungen mit ihm zu denken und dann vermisse ich ihn noch mehr.
Allein mit der Trauer steht im Betreff, weil ich jetzt in die Phase komme, wo ich darüber sprechen kann und will, meine Freunde (und teilweise meine Mutter) aber nicht darüber sprechen wollen. Ich spüre wie sich Menschen von mir abwenden, sobald ich das Thema nur kurz anschneide. Es ist schwer, so zu trauern und sich gleichzeitig weggestoßen zu fühlen. Vielleicht geht es manchen von euch ja ähnlich. Ich will ja wieder weiterleben und Spaß haben und unbeschwert sein in dem einen oder anderen Moment. Aber ich kann und will jetzt nicht alles verdrängen, was mich manchmal traurig oder nachdenklich macht.
Es tut mir Leid, das war so viel und es gäbe noch so viel mehr zu schreiben. Aber ich denke, das Wichtigste, was ich sagen wollte, ist gesagt.
Ich danke euch sehr fürs Zuhören!