• Liebe Still Crazy,


    unsere Situationen sind ja, insbesondere was deine akute Situation mit Rudi anbelangt verschieden, aber ich erinnere mich gut als meine Mutter schwer depressiv und tief traurig war, die Anti Depressive wollte sie nicht nehmen, ich musste es akzeptieren. Glücklicherweise war ihr die Therapeutin der Krebshilfe, eine wunderbare Frau die auch mich sehr liebevoll begleitet hat nach dem Tod meiner Mutter, ein Mensch, den sie an sich heranlassen konnte.


    Ich erinnere mich sehr, dass ich betrauert habe dass mir die Krankheit meine Mutter Stück für Stück gestohlen hat, sie war weniger stark, hat mir nicht mehr so zugehört, mir nicht mehr so Rat und Halt gegeben, hat glaube ich manchmal meine "Problemchen" auch nervig gefunden.

    Andererseits wenn ich mich in sie hineinversetze...schwer krank zu sein und ihren Enkel zu sehen, und mich, und Angst zu haben vll. bald zu sterben...sie war auch sehr wütend auf meinen Mann - unbewusst -ich glaube weil er bei uns blieb und sie gehen musste.

    Nicht zu vergessen die Schmerzen, ja, sie mochte auch keine Schmerzmittel (leider), und auch das, was die Chemotherapie mit dem Gehirn macht (weiß nicht wie das bei Prostata Ca ist, hier gibt es den fiesen Begriff "Chemo-Brain" der sagt, dass sich einfach die Gehirnleistung und der Affekt ändert). Manchmal kam mir meine Mutter vor wie ein Schmetterling, der sich verpuppt. Manchmal war sie schwer erreichbar, schöne Momente waren unendlich schön.


    Ich möchte mich bei dir hier auch für deine Klarheit bedanken, denn du schreibst sehr gut wie wichtig es ist, auf sich selbst zu schauen, und du hast auch recht, und es ist wichtig dass du dich entlastest. Es hilft mir mir selbst rückwirkend zu verzeihen, betreffend die Momente, wo ich nicht so konnte wie ich heute gerne könnte, oder wieder könnte.


    Ich denke auch meine Mutter verzeiht mir.


    Ich glaube Rudi hat großes Glück dass du da bist und ich wünsche euch wirklich

    und dir, dass ihr eine gute Zeit habt mit vielen guten Momenten

    dass du aber auch Menschen findest denen du dich anvertrauen kannst

    und die es dir leichter machen, denn es ist natürlich nicht leicht auszuhalten

    dass er mit der Krankheit so hadert, und auch das mitzutragen.


    Dafür weiterhin viel Kraft dir! <3

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Es ist wie erwartet schlimm heute. Gestern ein schönes Fest, 50er einer Chorfreundin. Ich hatte das Gefühl, Rudi hat zeitweise versucht, mich zu meiden. Ist einfach wortlos aufgestanden, raus gegangen, rauchen...

    Heute wieder sehr schweigsam. Er hat sich nächste Woche nicht frei genommen (habe ich soeben auf Nachfrage erfahren. 1 Wort: nein).

    Bin jetzt auf dem Weg in die Stadt, in eine Ausstellung.

    Er sagt, er hat schlecht geschlafen, sieht müde aus, wirkt kraftlos. Sitzt schweigend in der Küche. Lässt sich nur widerwillig berühren. Mir scheint, er hustet viel. Ich frage mich, ob das von den Lungenmetastasen ist

    Es ist kaum auszuhalten. Eigentlich gar nicht...

  • Was mir immer wieder auffällt: wenn er mit anderen Leuten beisammen ist (gestern seine Geschwister, die Leute bvom Chor, Nachbarn) da ist er wie immer. Er wirkt fröhlich, macht Witze, ist auch lieb zu mir. Und sobald wir zu zweit sind, wird er wortkarg, grantig, latent-aggressiv, starrt ins Leere, nimmt mich gar nicht wahr.

    Liebe Still Crazy,

    wie du danach geschrieben hast, er ist vielleicht abgelenkt, wenn ihr unter Menschen sind, die er mag. Das bedeutet nicht, dass du ihm nicht genügst. Bei dir kann er sein wie er gerade eben ist. Leider ist das für dich schwer auszuhalten. Ich frage mich, wie du dich gerade in solchen Momenten schützen kannst, ohne einen Panzer um dich zu bauen.

    Ich wünsche dir, dass der Urlaub überraschend angenehm wird und ihr viele schöne Dinge miteinander machen könnt.


    Sei lieb gegrüßt

    Astrid.

  • Bin gerade heftig am Nachdenken, ob die Depressionen nicht von Rudis Hormontherapie kommen. Seit er Spritzen UND Tabletten bekommt, wird es immer ärger. Wenn ja, dann sollte es ihm und seinem Arzt ja leichter zu vermitteln sein, dass man da gegensteuern muss. Dass das nichts mit geisteskrank oder gestört zu tun hat - sondern mit einem massiven Wingriff in seinen biochemischen Haushalt. Was meint Ihr?

  • Liebe Astrid,


    tja - gute Frage...


    Gestern war es wieder ziemlich schlimm. Hatte ich eigentlich erwartet - ich kenne ja mittlerweile die "neuen" Regularitäten unseres Lebens. Die Aufs und Abs den Katzenjammer nach dem Fest.

    Ich bin dann eben weggefahren, in eine Ausstellung. War zwar nicht bester Laune, habe aber trotzdem Interessantes entdeckt und mich im Museum dann auf das Gezeigte (das wirklich gut aufbereitet war) konzentreiren können.

    Das witzige ist, dass er mich regelrecht weggeschickt hat: ich bin zu müde, aber geh du ruhig.


    Ichhab dan dran denekn müssen, wie Du einmal geschrieben hast, es werde zu eng für uns 4: ihn, mich, die Depression und den Krebs.

    Vielleicht empfindet er das auch so und ist ganz froh, wenn ich weg bin (und dadurch mehr Platz entsteht) bzw. wenn in ablenkenden Situationen der Krebs und die Depression weg sind (dann ist er ja meistens ganz anders, recht lieb auch mit mir).

    Als ich dann gestern Abend heimgekommen bin, war er jedenfalls verhältnismässig gut drauf, kein Vergleich zu vorher. Drum hab ich mir gedacht, vielleicht hat ihm das Alleinsein auch ganz gut getan. Niemand, der ihn aus dem Augenwinkel beobachtet, wie er drein schaut, drauf ist etc.


    Trotzdem: wie das weitergehen soll - schwierig...

    Es kostet moich sehr viel Energie. Immer dieses emotionale Umschalten, mich auf die Situation einstellen. Ich kann nie so daruf sein (wenn er da ist) wie ich es eigentlich wäre - sondern eher so, wie es die Situation erfordert.


    Aber vielleicht bringt es ja tasächlich was, die Depression als Folge der Medikation zu sehen. Vielleicht ist es dann einfacher, ihr entgegen zu wirken. Vielleicht lässt er sich dann leichter motivieren. Ich meine: er nimmt Calcium, damit seine Knochen nicht geschädtigt werden. Vielleicht ist er auch bereit, Stimmungsaufheller zu nehmen, damit seine (und meine) Lebensqualität nicht allzu sehr geschädigt wird. Ich werde auf jeden Fall den Urologen kontaktieren (nach dessen Rückkehr). Ich meine, wenn die depressiven Zustände eine Nebenwirkung der Medikamente sind, die er verordnet - dann ist er ja für das Problem ohne jedem Zweifel zuständig.

    Was wenn nicht - darüber mag ich jetzt gar nicht nachdenken. Das mache ich für den Fall, dass er mich abwimmeln sollte... Ich will jetzt keine Energie verschwenden, um einen Plan B zu emtwickeln - den ich dann vielleicht gar nicht brauche.


    So viel hab ich nämlich nicht. Energie....


    Die freien Tage hab ich jetzt allein, Rudi hat sich keinen Urlaub genommen. Habe ich gestern auf Nachfragen erfahren. Heute gegoogelt: Sich-in-Arbeit-stürzen gilt als ein Symptom von Männerdepressionen.

    Ist aber im grund kein Problem: ich hab genug vor in diesen Tagen. Auch ein wenig entrümpeln.

    Und vor allem; sehr lang schlafen!

  • Wann kommt denn der Urologe zurück?

    Gibt es einen anderen Arzt deines Vertrauens, den du vorab schon fragen könntest? Dann müsstest du nicht so lange warten?


    Ich wünsche dir für die freien Tage, dass du richtig gut ausschlafen kannst.


    Lg. Astrid.

  • Liebe Astrid,

    er kommt am 4. Juli zurück. Das ist nicht mehr so lang, vor allem, da ich am Wochenende mit einer Freundin nach Prag fahre. Da habe ich also eine Auszeit. Noch lieber würde ich mit der Ärztin in der Onko Ambulanz reden, die hat viel übrig für Psychologie. Aber die ist quasi nicht zu erreichen, da muss man immer erst zum Cerberus am Schalter, der nimmt alle Telefonate entgegen. Deshalb steht der Urologe oben auf der Liste.

    Sonst fällt mir da niemand ein.

    Gestern war ein ganz unkomplizierter Tag. Hat sehr gut getan....

  • Liebe StillCrazy,

    das freut mich - ein unkomplizierter Tag.

    Hoffe es ging in der Nacht und es geht heute so weiter.

    Und ich wünsche dir, dass du dich an solchen Tagen erholen kannst.


    Lg. Astrid

    Ps. und falls ich's am Freitag vergesse: Ein schönes Wochenende in Prag.

  • Weiterhin viel Kraft dir <3

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Es ist gerade gar nicht leicht. Rudi sieht immer schlechter aus, fühlt sich in den letzten Tagen ziemlich unwohl (sagt aber kaum was dazu), zieht sich in sich selbst zurück.

    Es ist so schwer, das mit anzusehen. Und niemand, wo ich mich einmal anlehnen kann, niemand, der mich in den Arm nimmt, mich einfach hält. Niemand, der diese Last mit mir teilt.

    Es ist nicht so, dass es kein Mitgefühl gäbe, aber niemand, der wirklich nahe da ist, tatsächlich etwas von dem mitträgt, was so schwer auf uns\mir lastet.

  • Guten Morgen liebe still crazy,

    Deine Zeilen berühren mich sehr!

    Es tut mir unendlich leid dass du dich so alleine gelassen fühlst!

    Zu dieser ganzen Zukunftsangst und sonstigen Nöten auch noch dieses Gefühl man muss alles alleine stemmen.

    Ich fühle mit dir, umarme dich und wünsche dir trotz allem ein gutes Wochenende. Fährst du nicht weg? .wenn dann eine gute Zeit!

    Wie steht es mit deiner Freundin?

    Auch wenn die anderen nicht das Gleiche mitmachen ist es doch gut sich seinen Frust von der Seele zu reden.

    AL Lilo :30:

  • Liebe StillCrazy,

    vielleicht kannst du in Prag Kraft tanken und dich hin und wieder bei deiner Freundin anlehnen.


    Eine bereichernde Reise wünscht dir

    Astrid.