Nie, nie wieder / Schuld

  • All Ihr Lieben, die Ihr in diesem Forum schreibt,


    nachdem ich mich gestern hier angemeldet habe, habe ich erst einmal viel gelesen und viele Beiträge gefunden, die mich sehr berührt haben: z.B. die wunderbaren Liebesbekundungen von Yanouk an seine Frau Rosi, die Beschreibungen von StillCrazy, wie sie sich um ihren Freund kümmert, die Verzweiflung von Tigerlily und viele andere persönliche Geschichten. Und all die liebevollen Reaktionen der Forumsmitglieder.


    Kurz meine Geschichte: Meine Frau ist vor neun Monaten mit 66 Jahren an ALS gestorben, nach einer Leidenszeit von fast acht Jahren - sechs im Rollstuhl, die letzten zwei Jahre im Pflegebett. Sie war bis zum Ende völlig klar im Kopf, hatte am Schluss aber nicht einmal mehr die Kraft, den Alarmknopf zu drücken. "Ich bin gefangen in meinem Körper", sagte sie, hat es aber mit einer übermenschlichen Geduld, Gelassenheit und selbst Humor getragen. Ich habe sie in der Zeit zu Hause gepflegt - die letzten zwei Jahre allerdings mit Hilfe einer polnischen Pflegerin, die bei uns gewohnt hat.


    Als 2012 nach vielen Untersuchungen die Diagnose - und damit das Todesurteil - feststand, hat sie mir gesagt, sie wünsche sich, dass ich noch einmal glücklich werde, wenn sie gegangen ist. Danach haben wir nie mehr über den Tod und das Sterben gesprochen, was ich mir heute bitter vorwerfe. Und am allerschlimmsten: In der Todesnacht - die letzten vier Wochen war sie dann doch in einem Pflegeheim - bin ich nicht bei ihr geblieben, obwohl ich es hätte spüren müssen, dass sie in der Nacht sterben wird. Ich kann es nicht nachvollziehen, was ich damals getan bzw. unterlassen habe, ich begreife es einfach nicht. Wir haben also, obwohl wir lange genug Zeit hatten, nicht Abschied voneinander genommen. Was ich mir ebenfalls vorwerfe, ist die Ungeduld, die ich ihr gegenüber in der Zeit der Pflege oft gezeigt habe. Diese Schuld zerfrisst mich.


    Nach nunmehr neun Monaten wird mir erst so ganz langsam klar, dass sie nie, nie wieder zurückkommen wird. Und dass ich ihr all das, was ich ihr hätte sagen wollen und sollen, nicht mehr sagen kann. Dass sie das größte Geschenk war, dass der liebe Gott mir in meinem Leben gemacht hat.


    Ich bin jetzt 68 Jahre alt, halte die Einsamkeit nicht aus und weiß nicht mehr, was ich hier eigentlich noch soll.


    Danke für Eure Geduld


    Frank

  • lieber Frank

    ALS ist so eine sch.....Krankheit.Für alle,die damit zu tun haben.

    Du hast so viel geschafft in der Zeit.Ich denke,das sollte im Vordergrund sein .

    Die letzte Nacht ist da nicht wichtig.Ich glaube auch,dass Sterbende ein Stück weit den Zeitpunkt bestimmen können.Hast du dir schon mal überlegt,dass sie extra in der Nacht gegangen ist?

    Ich glaube,die vielen Jahre zehren auch an jedem,der einen ALS kranken begleitet.

    Und sie wusste als das,was du ihr noch sagen wolltest .Da bin ich sicher

  • Lieber Frank,


    ich begrüße Dich recht herzlich hier im Forum.

    Es tut mir sehr leid zu hören, dass auch Du deine geliebte Frau verloren hast.

    Wir haben beide unsere Frauen lange Jahre gepflegt. Das ist keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit.

    So wie Du, war auch ich manchmal meiner lieben Frau gegenüber ungeduldig. Aber vergiss bitte nicht unter was für einer Spannung man stand. Man wollte ALLES richtig machen. Viele Stunden war man manchmal auf. Und es gab bestimmt auch bei deiner Pflege Tage, wo man manchmal nur 3 oder 5 Stunden schlafen konnte. Meine Frau hat mir diese Ungeduld verziehen. Man musste sich nicht entschuldigen. Deine liebe Frau wusste auch bei DIR, woher diese Ungeduld herkam.


    Ich wünsche Dir einen ruhigen Abend und schicke etwas Kraft aus dem Solling,

    liebe Grüße,

    Uwe

  • Lieber Indian Summer, lieber Uwe,


    danke für Eure trostreichen Zeilen. Ja, Uwe, meine Frau hat mir die Ungeduld auch verziehen. Mehr noch: Sie hat mir oft genug gesagt, ich solle mich doch mal mit Freunden treffen ein Bier trinken gehen. Sie hat immer mehr an mich als an sich gedacht.


    Liebe Grüße


    Frank

  • Lieber Frank


    Auch ich heisse Dich in diesem Forum wilkommen.

    Mein Beileid, dass du deine Frau verloren hast.

    Hier triffst du viele, die auch einen geliebten Menschen verloren haben und Dich verstehen.

    Liebe Grüsse

    Thomas

  • Lieber Frank


    Wir haben uns ja schon in meinem Thread kennen gelernt und ich kann dich so gut verstehen, diese Leere, diese Einsamkeit und die Sehnsucht verbinden uns alle die wir einen geliebten Partner verloren haben.

    Bei dir war es ein langer Abschied bevor sie sich entschlossen hat alleine zu gehen, bei mir war es nur ein Kuss zum Abschied für ein paar Stunden, bevor er mich verließ für immer.

    Ich glaube ganz sicher, dass unsere Lieben nicht einfach weg sind, nur die sterbliche Hülle löst sich auf, die Seele lebt weiter und ist ganz nahe bei uns, auch wenn wir sie nicht mehr greifen und sehen können.

    Deshalb rede ich auch jeden Tag mit meinem Mann, oder besser gesagt mit seinem Bild an der Wand.

    Ich denke, wenn du mit deiner Frau redest dann hört sie dich und sie weiß auch von eurer Liebe zueinander, in der die Schuld keinen Platz hat.

    Ich habe mir schon sehr bald Hilfe gesucht soviel ich kriegen konnte und ich weiß ich muss meine Aufgaben in diesem Leben so gut wie möglich erfüllen, bevor ich diese Welt verlassen kann. Es ist trotzdem sehr, sehr schwierig und ich werde immer wieder und immer öfter von meinem Schmerz zugedeckt, bis ich nicht mehr atmen kann. Aber ich mache weiter und dasselbe wünsche ich mir auch für dich - dass du trotz allem weitermachst, dass du dir Hilfe suchst, dass du wieder leben darfst, für dich selber und für deine geliebte Frau, die dir vorausgegangen ist und dich in Liebe empfangen wird, wenn du eines Tages alle deine Aufgaben erledigt hast und ihr nachfolgen darfst.

  • Liebe Tigerlily,


    danke für Deine lieben Zeilen.

    Ja, die Hoffnung auf ein Wiedersehen habe ich auch. Aber meine Zweifel sind doch recht groß und die kann ich auch mit Glauben nicht loswerden.

    Was mich zusätzlich zur Trauer so quält, ist, dass wir uns trotz der langen Zeit, in der wir wussten, dass meine Frau bald sterben wird, uns nicht verabschiedet haben. Denn ich habe es - wohl aus Angst - vermieden, mit ihr über das Sterben und den Tod zu sprechen. Und in der Nacht, als sie dann gestorben ist, habe ich ihr nicht einmal einen Kuss gegeben, bevor ich ins Bett gegangen bin, Es ist einfach nur grausam, wie ich mich verhalten habe.

    Ich suche auch Hilfe, wo immer ich sie bekommen kann. Gehe auch zu einer Therapeutin, die mir alles mit meiner Überforderung zu erklären versucht. Stimmt, ich war überfordert, aber ich war wohl auch taub und blind. Auch ich schaue mir jeden Tag Fotos von ihr an und rede mit ihr, bitte sie immer wieder um Vergebung. Aber ich fürchte, sie kann es nicht mehr hören.

  • Lieber Frank!


    Ich habe mich bei dir noch nicht zu Wort gemeldet, daher begrüße ich dich erst einmal.

    Es tut mir leid, dass du deine Frau verloren hast.


    Ich lese und schreibe nicht mehr so oft hier, aber bei dir ist mir jetzt beim Lesen Folgendes in den Sinn gekommen:


    Dir macht es große Sorge, weil du dich nicht mehr verabschiedet hast.

    Du hältst beides für möglich: deine Frau ist noch da und um dich, eventuell gibt es ein Wiedersehen. (Im Übrigen - ich glaube an das!)

    Ist diese Annahme richtig, dann weiß sie, dass es dir leid tut. Sie weiß, was du ihr sagen willst und wolltest!

    Du kannst das mit ihr "besprechen".

    Stimmt jedoch deine Befürchtung, dass sie dich nicht mehr hört (woran ich nicht glaube), was wäre dann die logische Folgerung daraus?

    Es macht ihr nichts mehr aus, denn dann wäre wohl alles Irdische abgestreift und du musst dich auch nicht quälen mit deinen Gedanken, denn sie quält es auch nicht mehr.


    Ich hoffe das klingt jetzt nicht "böse", das waren nur so meine Gedanken dazu.


    Aber wirklich: Ich denke du solltest ein bisschen gütiger zu dir sein. Du hast viel für deine Frau getan, Ungeduld ist menschlich, Überforderung auch. Ihr Wunsch, dass du nach ihrem Tod noch einmal glücklich werden solltest zeigt, wie sehr sie dich geliebt hat!


    Liebe Grüße

    Hedi

  • Liebe Hedi,


    vielen Dank für Deine Reaktion, die überhaupt nicht "böse" ist, sondern eine logische Argumentation. Ich will ja auch an ein Wiedersehen glauben. Dann kann ich nur hoffen, dass sie mir vergibt. Aber wenn sie mich nicht mehr hört, dann muss ich damit klar kommen, dass ich sie am Ende ihres Lebens allein gelassen habe. Das ist ein schweres Paket, das kaum zu (er)tragen ist.


    Liebe Grüße


    Frank

  • Lieber Frank,

    Willkommen hier im Forum und herzliche Anteilnahme zum Tode deiner lieben Frau!

    Ich kann das mit dem "Nicht Abschied nehmen können" nachvollziehen. Bei mir ist es schon 22 Jahre her, dass mein Vater an Leukämie verstorben ist. Wir konnten auch nicht bei ihm sein... Damals habe ich eher dem Arzt in der Uniklinik "Vorwürfe gemacht". Wir hatten eine Anfahrt von einer Stunde - der Arzt hat uns zu spät angerufen, als es zu Ende ging, wir haben meinen Vater nicht mehr lebend gesehen...

    Im Nachhinein denke ich manchmal, vielleicht "wollte mein Vater nicht, dass wir sein Sterben begleiten..."

    Nun bin ich selber schon lange Zeit krank: Hirntumor (entfernt 2004), Aneurysma im Kopf (OP 2004), noch andere "Einschränkungen"...

    Im Februar 2018 wurde mir die Diagnose ALS um die Ohren gehauen... Im April hieß es dann: spinale Muskelatrophie...

    Ich war 2 Monate in einem Pflegeheim, hätte es alleine zu Hause nicht geschafft...

    Im Heim haben die mich eher in die Bettlägerigkeit befördert, als wieder raus...

    Ein Physiotherapeut hat mich wieder "an den Rollator gebracht" (im Erdgeschoss des Heimes).

    Ich habe den Heimplatz gekündigt - weil mein Gefühl mir sagte: Mit Hilfe schaffe ich es Zuhause zu sein. Pflegedienst, Haushaltshilfe...

    In der 3 wöchigen Reha wurde ich ein wenig auf die Beine gestellt, schaffe kurze Wege außerhalb des Hauses mit dem Rollator.

    Ich hoffe, das "hält etwas an"...

    Mit deiner Frau kannst du dich "unterhalten" in dem du Dinge für sie aufschreibst - das habe ich schon von vielen gehört...


    Herzliche Grüße sendet dir

    Sunset


    P.S.: Ich schreibe mit großer Schrift, weil meine Augen nicht fit sind, das rechte Auge ist blind...



  • Lieber Frank,

    deine Frau hat dir sicherlich vergeben - vielleicht wusste sie die Situation auch genau einzuschätzen.

    Mit ihrem Bild sprechen, das finde ich gut! Mache ich auch so, mit meinen Verstorbenen...


    Herzliche Grüße

    Sunset

  • Hallo lieber Frank,


    Ich kann deine Gedanken nachvollziehen.Ich selber war im Krankenhaus zu der Zeit, als mein Mann verstorben ist. Er wollte mich dort zweimal besuchen, ich war zu erschöpft, und habe diese Besuche verweigert. Dann ist er gestorben. Dies verfolgt mich nun die ganze Zeit. Manchmal weine ich deswegen, manchmal vergebe ich mir aber, denn es ging mir sehr schlecht. Mein Mann war pflegebedürftig, und am Ende haben mir die Kräfte gefehlt, so dass ich ins Krankenhaus musste..ich versuche, diesem Ende ein ganz klein wenig gutes abzugewinnen, vielleicht sollte es mich etwas schützen. Auch ich war oft ungeduldig und teilweise sehr ungerecht zu meinem Mann, er konnte einen aber auch auf die Palme bringen mit seiner eigenen Ungedult und Unzufriedenheit.


    Letztendlich haben wir auch nicht über den Tod gesprochen, weil wir jedesmal einfach nur weinen mussten. Ist das nicht aber auch ok so? Muss man wirklich darüber sprechen?

    Der Tod kommt, und ist furchtbar, finde ich, und kein Gespräch der Welt hätte etwas verändert.


    Ich denke an die vielen Tage, wo ich ihm beständig gesagt habe, wie sehr ich ihn liebe. Auch du warst bei deiner Frau, ich denke, dass hat doch mehr gesagt, als jedes Wort. Vielleicht haben sich unsere Lieben die Stille ganz bewusst ausgesucht, um zu gehen, um uns immer noch ein klein wenig zu schützen. Und wer weiß, vielleicht sind sie um uns herum..nicht immer kann ich es glauben, aber ich versuche es..



    Fühl dich gedrückt


    Julia

  • Liebe Julia,


    danke für Deine tröstenden Worte. Ja, ich weiß: meine Frau wollte mich schützen, immer wollte sie mich schützen. Selbst meine Ungeduld hat sie mit Geduld ertragen. Ihre Liebe war so groß und uneigennützig, dass sie kurz vor ihrem Tod zu der Leiterin des Pflegeheims, in dem sie die letzten vier Wochen ihres Lebens war, gesagt hat: "Was wird nur aus meinem armen Mann?" Sie hat immer mehr an andere gedacht als an sich selbst.


    Alles Gute für Dich

    Frank

  • LIEBER FRANK, ich heiße UWE


    Ja, es ist für Dich wieder ein schrecklicher Tag. Diese Tage habe ich auch.

    Ja, der Garten zeigt Dir ihre Spuren, die Sie hinterlassen hat. Diese Spuren finde ich in Rosis Garten auch.

    Ja, Sie hat Dich geleitet und aufgefordert. Das war bei mir auch so.

    Ja, Sie hat immer an Dich gedacht. Rosi hat auch an mich gedacht.

    Ja, Sie hat dich geleitet. Rosi hat es auch so getan.


    Aber ist es nicht trotzdem schön. Zu wissen, wie unsere Frauen uns geliebt haben. Das diese Spuren an Sie erinnern. Das Sie uns an langen Zügeln geführt haben, ohne uns zu knebeln. Das diese Liebe bis zu ihren letzten Atemzügen uns galten. Wären wir auch so stark gewesen ?

    Bitte, bitte, zermürbe Dich nicht so. Ich kann gut reden, es ist bei mir nicht anders. Aber denke immer wieder daran: Unsere lieben Frauen haben uns geliebt. Wir haben unsere Fehler, auch diese Fehler haben Sie akzeptiert. Wären Sie sonst bei uns geblieben ? Haben nicht die guten Seiten überwogen ? Würde deine Frau so zur Krankenschwester sprechen, wenn nicht ein inniges Band der Liebe dagewesen wäre ?

    Du hast keine Fehler gemacht. Du warst für Sie da. Ich sage mal so, wie Du fühlst: "Du warst immer noch ein kleiner Fels in der Brandung."

    Suche das POSITIVE. Die guten Dinge für deine Frau. Ich hoffe,dass Du dann:"Der große mächtige Fels in der Brandung wirst." Es dauert. Es dauert. Es dauert.

    Bei mir ist es auch so.


    Liebe Grüße,

    Uwe