„Zurück zum Alltag“-Woher weiß ich, wann ich soweit bin?

  • Hallo zusammen,


    am 11. Dezember habe ich meine kleine Schwester verloren. Sie ist nur 28 Jahre geworden.
    Seid dem werde ich oft gefragt „Wie geht es dir?“


    Doch ich kann diese Frage oft garnicht beantworten, da ich es selber nicht weiß....Manchmal fühle ich mich einfach leer und fühle weder Schmerz noch etwas anders.

    Manchmal kommen einfach die Tränen ohne einen Anlass oder einen Grund. Manchmal vergisst man es und alles fühlt sich „normal“ an...


    Eigentlich bin ich eine selbstständige und selbstbewusste Frau. Stehe mit beiden Beinen und Leben und im Job habe ich eine Führungsposition. Mein Job macht mir wirklich Spaß. Aber morgen soll ich wieder ins Büro fahren und die letzten zwei Nächte habe ich fast garnicht geschlafen 🙈
    Ich weiß nicht ob ich Angst vor dem „ungeschützten“ Raum habe oder das mich jemand drauf anspricht und ich nicht weiß wie ich reagiere?!

    Mein Arbeitgeber ist super und stellt mich frei bis ich mich wieder soweit fühle ins Büro zukommen. Aber wann bin ich soweit??und wie weiß ich das ich soweit bin?


    Kennt ihr das?


    Um das etwas zu verstehen ein paar kurze Hintergrundinformationen:


    Ihr Leben war besonders in Ihren ersten Lebensjahren sehr schwierig, schmerzhaft und vor allem von Ungewissheiten geprägt. Sie kam mit einer körperlichen und geistigen Behinderung zur Welt. Sie hat quasi die ersten 8 Jahre ihres Lebens bei Ärzten oder im Krankenhaus verbracht.

    Ich bewundere meine Mutter immer noch das sie das alles geschafft hat. Mein 1,5 Jahre älteren Bruder und ich mussten natürlich viel verzichten und eigene Bedürfnisse zurück stecken, aber das hat uns zu den Menschen gemacht die wir sind.

    Und wir haben unsere kleine Schwester immer sehr geliebt.
    Mit 10 Jahren hatte das Leben meiner Schwester langsam Lebensqualität. Sie konnte sich dank Rollstuhl selber bewegen. Sie konnte selber essen und die Kommunikation mit ihren Mitmenschen hat sie erlernt. So dass sie seit dem 13 Lebensjahr in einer Wohngruppe mit anderen Behinderten ihr eigenes Leben aufbauen konnte. Seit dem 18 Lebensjahr war sie in einer Einrichtung für Erwachsene und hat dort ihr Leben geliebt. War im Fußballstadion, auf Konzerten und in Urlauben.

    Aber sie war immer am Wochenende Zuhause und hat ihre Familie stets auf Trapp gehalten 😊


    Vor sechs Monaten wurde ein Nierenleiden diagnostiziert. Nach drei aufreibende Monaten bei vielen Ärzten und Spezialisten mussten wir alle Familien verstehen das sie keine Transplantation überleben würde.( auf Grund ihrer körperlichen Einschränkung der Behinderung) aus gleichem Grund wurde auch eine Dialyse ausgeschlossen.


    Die Ärzte haben uns langfristig also schon auf eine deutliche Verschlechterung ihres Zustands hingewiesen. Doch das es so schnell und plötzlich wie jetzt ging hat keiner erwartet.

    Einer ihrer Betreuer hat im Nachgang etwas sehr treffendes gesagt: Sie war eine kleine Frau mit einem sehr großen eigenen Willen. Sie hat am Anfang ihres Lebens so sehr gekämpft, dass sie jetzt auf Ihre Weise gehen wollte.


    viele Grüße

    Sparkel

  • liebe Sparkel,


    fühle auch du dich in diesem Forum, was schon viele "Generationen" an Trauernden begleitet hat willkommen geheissen.

    Das wünsche ich dirvon ganzem Herzenr.


    Eine sehr gute Frage :" Zurück zum Alltag"- woher weiss ich , wann ich soweit bin?"


    Ich glaube , dass du es eigentlich schon selber vermutest...

    Ja , es gibt einen Alltag und der muss bewältigt werden mit der Erkenntniss , dass dieser Alltag mit seinen Gedanken und Gefühlen völlig anders ist wie vor dem Tode deiner kleinen Schwester.


    und dass "Woher weiss ich, wann ich soweit bin?" dass ist meinem Empfinden und unser aller Erkenntniss ein WELLENMEER an Emotionen... Mal wirst du dich in einem Wellental befinden, die tiefe und den Schmerz empfinden... manchmal und hoffentlichi mit der Zeit immer öfter, wirst du auf dem Kamm dieser Welle eine Zuversicht durch den "inneren Weitblick" so könnte man es beschreiben, empfinden.

    Aber das alles bedarf der Zeit...


    Dies wirst du auch immer aus allen Beiträgen, alles sind ja Herzens- Liebesbeiträge<3 herauslesen.


    Ja, 28 Jahre jung... Das ist immens schmerzhaft<3


    Keineswegs beschönigend . Iich finde das körperlich und geistig behindernde Kinder sehr BESONDERS sind... Sie gehören nicht in diesen "Normbereich" und zeigen ihre Emotionen in der Regel ohne Hemmungen. sie sind für mich sehr authentisch. Ja , auch dadurch , wie du und dein Bruder es erlebt haben, dass die"gesunden" Kinder häufiger einmal nicht so sehr im Vordergund stehen.


    Es spricht sehr für dich, dass du deiner Schwester hier einen Thread widmest. Ich höre auch eine Freude heraus, dass du das Leben , dass deine Schwester seit ihrem 18.ten Lebensjahr führte , als positiv betrachten kannst und das du die verbrachten Wochenende mit ihr so :) ansiehst wird dir auch helfen, den kommenden morgigen Alltag im Beruf besser zu überstehen.

    Leider kommt es häufiger vor, das die körperliche Konstitution wie bei deiner Schwester zu einem früheren Tod führt.Das ist leider immer noch so in unserem heutigen Leben.



    Ich wünsche dir jetzt eine baldige , vielleicht sogar eine ruhige Nacht und für morgen einen Tag den du "schaffst"

    <3lichst Sverja

  • Liebe Sparkel,

    Danke das du uns über deine Schwester erzählst <3


    Eine allgemein gültige Antwort gibt es auf deine Frage nicht. Für jeden dauert es unterschiedlich lang. Du musst auch nicht sofort funktionieren. Wenn du es versuchst, und es nicht klappt, ist das auch ok. Dann gib dir selber die Zeit die du brauchst.


    Du kannst hier jederzeit schreiben was dich bewegt...

    Isabel

  • Liebe Sparkel!

    Es tut mir sehr leid mit deiner Schwester!Ich kann es sehr gut verstehen,das es dir sehr schwer fällt wieder

    in den normalen Alltag zu finden.Es hat mich sehr an meine Cousine erinnert,auch sie war für mich wie

    eine kleine Schwester und auch behindert und ist als sie 50 Jahre alt war verstorben und war die letzten

    Jahre nur im Krankenhaus,konnte dan nicht mehr laufen,mußte künstlich ernährt werden und konnte

    nur noch im Bett liegen,auch sie hat es geliebt mit den anderen Theater zu spielen und war stolz,wenn

    wir alle zugeschaut haben,weil sie es so toll gemacht hat und sie war so lieb und es hat mir auch so weh

    getan ,als sie gestorben ist.Ich wünsche dir ganz viel Kraft und schreib die alles von der Seele.Liebe Grüße Helga

  • Liebe Sparkel,


    wie du ja weisst, du musst nicht antworten wenn du nicht magst, keine Worte gerade hast... Aber ich hoffe das du diesen , deinen ersten Arbeitstag gut geschafft hast und möchte dir einfach einen lieben Gruss an dich senden<3

    mitfühlende Grüsse<3

    von Sverja

  • Hallo Sparkel!

    Mein aufrichtiges Beileid zum Verlust deiner Schwester.

    Ich finde es sehr schön, wie du von ihr schreibst.

    Dein Verlust ist ja noch sehr frisch.
    Dass keine Antwort wissen kenne ich auch. In den ersten Wochen habe ich meistens geantwortet, es muss so gehen. Weil ich den Eindruck hatte hauptsächlich zu funktionieren.

    Irgendwann wusste ich dann, ob ich gerade eine heftigere Trauerphase durchmache oder nicht.

    Aber ganz ehrlich, so kurz nach dem Verlust habe ich gar nichts gewusst.

    Was deine Frage mit dem Alltag betrifft:

    Das ist ganz individuell und du wirst merken, was dir gut tut.

    Ich war nach einer Woche wieder arbeiten aber Alltag war dadurch trotzdem noch nicht eingekehrt.

    Der kommt erst sehr langsam und wirklich schrittweise. Oft gibt es Rückschläge und bei mir hat es sich Monate noch unwirklich angefühlt.

    Meine Trauerbegleiterin hat mal einen Punkt aufgemalt, das war der Zeitpunkt des Todes.
    Drumherum gingen mehrere Kreise, wie eine Schnecke.

    Manchmal ist man auf dem Lebensweg dem Punkt so oft sehr nahe und manchmal entfernter.


    Ich wünsche Dir alles Gute.

  • Hallo Sparkel,


    ich kann deinen Verlust und deine Gefühle sehr gut nachvollziehen! Auch meine Schwester wurde nur 28 Jahre alt...

    Und bei mir ist es auch noch sehr frisch.


    Es gibt vom Leben nicht unfaireres und grausameres als uns einen geliebten Menschen zu entreißen...


    Auch deine Situation bezüglich der Arbeit kann ich sehr gut verstehen!

    Ich bin nach 5 Wochen wieder arbeiten gegangen. Ich hatte wahnsinnige Angst davor.

    Zum einen hat es sich so falsch angefühlt seinem "Alltag" wieder nach zu gehen. Und dann die Panik vor den Kollegen und ihren Fragen.


    Ich wurde jedoch positiv überrascht. Meine Kollegen waren sehr liebevoll zu mir. Sie haben mir raum gegeben und mich dabei trotzdem nicht ausgegrenzt. Ich bin weinend meiner Tätigkeit nachgegangen aber ich habe es überstanden. Jeder weitere Tag wurde immer besser. Und mittlerweile ist es eine willkommene Ablenkung.


    Auf die Frage "Wie geht's?" habe ich anfangs nur mit "tut mir leid, kann ich Dir leider nicht beantworten" geantwortet. Mittlerweile versuch ich diese Frage immer schnell abzutun. Darauf gibt es einfach keine gute Antwort.


    Was ich Dir aber eigentlich sagen möchte ist: DANKE!<3

    Danke das Du dein Schicksal mit uns geteilt hast. Das hilft nicht nur Dir sondern auch allen anderen, die das gleiche durchleben müssen. Man fühlt sich Verstanden und ein kleines bisschen weniger alleine!


    Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und viel Kraft!

  • Hallo Sparkel


    danke das du deine Geschichte teilst.


    Eine Pauschale Antwort auf deine Frage gibt es nicht. Jeder trauert auf seine weise und auch unterschiedlich lange.


    Der Weg zurück zum Alltag.. Was war der Alltag vorher für dich? Durch den Verlust gibt es viele Lücken in deinem Alltag die man nicht einfach auffüllen kann. Zumindest nicht sofort. Der Kontakt an den Wochenenden wird fehlen. Die gemeinsamen Aktivitäten, das Schreiben von SMS und WhatsApp.

    Für diese Zeit die du nichtmehr mit ihr verbringen bzw ihr widmen kannst wird es früher oder später ersatz geben aber eben nicht sofort. Das ist auch völlig in Ordnung und gut so.

    Ich habe meinen Bruder vor ~4 Monaten verloren und kenne deine Situation nur zu gut.

    Es sind die vielen kleinen Momente in denen man etwas zeigen oder erzählen möchte, eine frage hat, etwas erlebt was einen verbindet die so sehr schmerzen.


    Du weist ob du soweit bist wenn du es versuchst und es sich nicht falsch anfühlt, du kein schlechtes Gefühl dabei hast. Wenn du dich mit etwas nicht wohl fühlst dann bist du nicht bereit. Meist findet man es nur durch versuchen heraus.


    Liebe Grüße

  • Hallo Sparkel,


    ich fühle mit dir. Ich habe meinen jüngeren Bruder verloren. Allein das zu Schreiben lässt mich schwer atmen und treibt mir schon wieder Tränen in die Augen.


    Ich schreibe dir weil ich möchte, dass du weißt dass ich deine Gefühle irgendwie kenne. Vielleicht fühlen wir nicht exakt das Gleiche, aber ich hatte das Gefühl dass ich ähnliche Gedanken hatte und habe.


    Ich habe die Frage "Wie geht es dir?" in den letzten Wochen und auch heute noch oft gehört. Ich konnte mit der Frage auch nichts anfangen, ich war nicht in der Lage und wollte auch nicht darüber nachdenken. Ich bin diese Fragen meist umgangen und merke wie ich es immernoch teilweise mache. Ich erzähle dann meist was was ich gemacht habe oder was in meiner Umgebung passiert ist. Das sind einfach Fakten über die ich nicht nachdenken muss. Ich weiß dass die Leute um uns herum nicht wissen wie sie uns begegnen sollen, woher auch, dass ist nichts alltägliches und auch ich konnte ihnen nicht sagen was der "richtige" Weg wäre. Aber allein zu wissen dass man nicht allein ist hat mir sehr geholfen, egal was sie geschrieben haben, einfach nur ein Zeichen von aussen ist so viel Wert.


    Einen Alltag wie vorher gibt es bei mir nicht mehr. Dinge ändern sich, ich habe mich seitdem nie mehr gefühlt wie vorher, ich weiß nicht einmal wie es vorher war, wie es sich angefühlt hat. Es ist ein anderer Alltag. Es gibt bessere und schlechtere Tage. Es gibt keinen Tag an dem ich das Geschehene vergessen kann. Aber es gibt Tage da reicht eine Kleinigkeit aus und ich sitze wie ein Häufchen Elend da und heule. Wenn ich eine schlechte Nacht hatte ist das vorprogrammiert. Ich kenne das nicht von mir. So bin ich eigentlich nicht. Aber ich war so vieles nicht bis jetzt. Zum Beispiel habe ich auf Arbeit früher viele verschiedene Dinge gut unter einen Hut bekommen. Ich schaffe das nicht mehr. Ich kann mich nur noch auf wenige Dinge konzentrieren, das mache ich dann aber denke ich ganz gut. Ich habe dadurch aber oft das Gefühl ich wäre verdummt. Meine Kollegen und Chef sind sehr verständnisvoll. Niemand stellt "dumme" Fragen, ich kann zu allen kommen und reden wenn ich mag. Ich wollte es zu Beginn niemanden erzählen, habe aber nach drei Tagen beschlossen dass es so nicht geht, was sollen sie auch denken wenn man nach Wochen wieder auftaucht, man heulend da sitzt, ich war die ganze Zeit angespannt und ja es kostete Überwindung aber es war für mich der richtige Weg.


    So wie du über deine Schwester schreibst, habe ich das Bild einer starken Frau vor mir die ihr Leben liebte und lebte. Das ist sehr schön.


    Liebe Grüße