von "ganz neu hier" zu "fast heimisch"

  • Hallo,

    ich bin noch nicht soweit, mich hier im Forum in irgend einen Bereich einzuordnen. Ich möchte Hallo sagen und erstmal atmen. Ich bin 44, seit 4 Monaten verheiratet und würde sagen, ich hab mich gut "an der Hand". Der Tod war seit der frühesten Kindheit ein ständiger Begleiter und die gemachten Erfahrungen damit zermürben mich immer wieder - so wie gerade jetzt. Ich habe aktuell keinen geliebten Menschen verloren. Die Verluste der Vergangenheit sind allerdings bis heute kaum zu verdauen. OK - es hat uns jemand verlassen vor kurzem - vor einer Woche. Das war aber kein geliebter Wegbegleiter - sondern ein Mensch, mit dem ich zwar weitestgehend verwandt bin - der aber wirkliches Unheil über viele Menschen gebracht hat - und schon schäme ich mich wieder SO ETWAS zu sagen. DARF man das? Mit seinem Tod ging der Sturm in mir wieder los - ja - wieder, wie seit über 30 Jahren. Manchmal glätten sich die Wogen, manchmal liegt dieses Meer vor mir, wie ein Spiegel - verheißungsvoll. Aktuell tost die See und ich habe Angst, zu ertrinken, Hab ich? Ich bin so durcheinander, dass ich vermutlich Blödsinn rede, . Es geht um SCHULD, um Vergebung, um Frieden schließen - was loslassen voraussetzt - und wozu ich mich gerade niccht in der Lage sehe. OMG. wo darf ich denn schreiben hier - ohne mit meiner Thematik vielleicht jemanden zu verletzten, der gerade trauert und sich vielleicht fragt, ob ich spinne :-( Ich habe solche Angst.

  • Liebe Sumpfdotterblume,

    Willkommen im Forum.


    Ungelebte Trauer, und Unversöhnlichkeiten haben natürlich ihre Folgen. Sie begleiten uns bis wir uns dem stellen. Du scheinst grad dort angekommen zu sein.

    Hattest du schon mal eine professionelle Begleitung?


    Du bist jetzt hier unter der Rubrik "Dies und das". Ich verschieb dich mal in "Umgang mit Trauer".

    Liebe Grüße,

    Isabel

  • Liebe Sumpfdotterblume,

    herzlich Willkommen im Forum.

    Es würde mich sehr interessieren was Du schreibst, denn über dieses Thema habe ich auch schon oft nachgedacht.

    Denn auch ich habe dies in der Vergangenheit öfter erlebt, manche Tode eines Menschen stiften Frieden andere Unfrieden

    bzw. manchmal bei einem Menschen beides.

    Es ist ein schwieriges, aber sehr wichtiges Thema.

    Meiner Einschätzung nach wirkt der Tod eines Menschen wie eine Art Brennglas auf die sozialen Verknüpfungen um ihn herum,

    jedoch bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die verstorbene Person selbst dies verursacht hat....

    Ich finde dieses Thema sehr wichtig im Zusammenhang mit dem Tod, bei dem es - wie Du schreibst - letztlich um das ganz große Thema "Verzeihen" geht und wäre Dir sehr dankbar, wenn Du Deine Gedanken dazu mit uns teilst.


    Ganz herzlich,

    Tereschkowa

  • Liebe Sumpfdotterblume


    manche Menschen betrachten meine Sichtweise in Bezug auf Nicknamengebung als " esoterisches Geschwafel" oder lehnen sie ab...


    Die Sumpfdotterblume braucht Schlamm und Feuchtigkeit zum überleben.

    Nur so kann sie wachsen und gedeihen...

    und das ist ja dennoch auch irgendwie so bei uns allen , bei DIR...

    Ungelebte Trauer, und Unversöhnlichkeiten haben natürlich ihre Folgen. Sie begleiten uns bis wir uns dem stellen. Du scheinst grad dort angekommen zu sein.

    ja, du bist jetzt hier in diesem Forum ANGEKOMMEN.

    Für mich ist das Forum so vielfältig in seiner empfunden Trauer , das eigentlich jeder hier über SEINE Trauer schreiben kann.


    Ich kann dich sehr " verstehen" ...

    viel eher mit dir fühlen , weil ich auch schon einige Erlebnisse in sehr ähnlicher Art und Weise hatte...


    Es gibt sogar eine Bewältigungsmethode des " grossen Verzeihens".

    Ich werde versuchen , diesesn link wieder zu finden...später alllerdings...


    Meinem Gefühl und meiner Lebenserfahrung nach gibt es immer wieder Menschen die anderen Menschen schaden , und oder damit andere Menschen zutiefst verletzt haben... und dadurch die Trauer sehr verstörend ist... Man vielleicht sogar denkt ... Jetzt kann dieser Mensch kein Unheil mehr anrichten...

    Aber ja , da gibt es Menschen , die diese Lebenserfahrung nicht gemacht haben und diese Menschen trauern natürlich ANDERS.


    Bevor ich auch weiter" spekuliere" , grausiges Wort eigentlich für so viele für mich begreifliche Gefühle die du hast !!!

    würde es vielleicht dir und uns guttun , wenn du ein wenig von deinen widersprüchlichen Gefühlen schreiben würdest.


    Ich würde dich meinem Gefühl nach , weil ich auch solche ähnlichen Erfahrungen zum Glück gehabt habe

    ( obwohl man durch bestimmte Tode immer wieder auf^s neue damit konfrontiert werden kann)

    gerne , ja gerne <3 einen Teil deines Weges begleiten

    herzliche, durchaus anders mitfühlende Grüsse sende ich dir

    <3Sverja

  • liebe Sumpfdotterblume <3:24::30:<3

    wirklich GERNE würde ich etwas von dir und deinen Gefühlen lesen. Du bist hier wie ALLE willkommen<3:24::30:<3

    komme gut bis bestmöglichst durch diesen Tag

    herzlichst <3 Sverja

  • Ihr Lieben,

    also zunächst Sverja - danke und an Euch alle, die Ihr mich bisher gelesen habt

    Zu der Frage, ob ich eine Trauerbegleitung habe - nein - direkt nicht Allerdings habe ich einen bereits langen therapeutischen weg hinter mir, da ich seit der frühesten Kindheit mehrfach traumatisiert bin/ wurde und bis vor einigen Jahren immer wieder suizidal war. Ich habe mich frei gekämpft, bin inzwischen frei von derartigen Gedanken, frei von medikamentöser Unterstützung und wirklich "gut bei mir". Die Übernahme der persönlichen Verantwortung ist natürlich ein nie endender Prozess - aber es wird immer leichter, zu erkennen, was ich wann und wie brauche - um mich eben NICHT aufzugeben.

    Mir ist es ein bisschen peinlich gerade - zu berichten, ich brauche noch einen Moment. Lieber erzähle ich erstmal vom Hier und Jetzt. Ich arbeite mit jungen Erwachsenen, liebe die Musik und Tiere, spiele Klavier, bilde Hunde aus und lege keinerlei Wert auf eine hübsche Fassade. Ich bin dankbar, wenn Menschen es zulassen können, dass sie "erkannt" werden - denn das erleichtert so vieles - lässt auf mancherlei Makulaturgehabe verzichten und eröffnet die Möglichkeit - zu SPÜREN. Ich bin in der ehem DDR aufgewachsen - und war mit meiner Familie nie auf der Sonnenseite des Systems. Mit knapp 18 meine "Flucht" nach Hessen. Nach Sichtung der Stasi-Akten meiner Eltern und meiner EIGENEN ! (ich war ein KIND!!! ) - ist mir schmerzhaft klar geworden, dass viele meiner Erlebnisse - gerade der emotionalen in Schule etc. - staatlich gelenkt und gewollt waren - niederschmetternd, zu erfahren, dass man eben doch nicht das "unangepasste Kind", die "störrische Halbwüchsige" war - sondern dass die Drangsal meines Werdens genauso gewollt und gelenkt wurde. Mir fehlt der Boden, HEIMAT - im weitesten Sinne. Und dann wieder schaue ich auf mich und bin sooooo dankbar und auch stolz, dass ich DA BIN - und zwar in Gänze. Dass ich lachen und lieben kann - und bisher nie das Vertrauen komplett verloren habe - in das Leben eben. Verrückte Zeit gerade. Durcheinander. Verzeiht das Durcheinander in meinem text - wie gesagt, ich bin noch nicht soweit ..... LG

  • Liebe Sumpfdotterblume,

    ich empfinde Deinen Text nicht als Durcheinander.

    Im Gegenteil. Es freut mich, wenn ich lese, dass Du nach den angedeuteten Erfahrungen schreibst,

    dass Du gerne DA BIST.

    Deine Abneigungen gegen die Erfahrungen mit diesem Regime und die daraus folgende Heimatlosigkeit kann ich

    schon jetzt nachvollziehen. Ich musste diese Erfahrungen nicht direkt ertragen, aber kenne aber sehr viele Leben für die dieses prägend war.

    Stört Dich mein Nickname? Das könnte ich verstehen.

    Ganz herzlich,

    Tereschkowa (?)

  • Ich könnte schreien vor Schmerzen - also inneren. Und ich bin wütend. Und traurig. Das Bedürfnis, gehlaten zu werden, tut sich auf. Ich gebe dem nach - lasse mich halten - wiederspenstig ein bisschen, denn die Kämpferin in mir unkt: "Du musst das allein machen". Der inzwischen milde gewordene Teil in mir flüstert: " es ist ok, schwach zu sein". Ich beobachte beide Anteile und denke mir: was habt IHR denn da nun wieder auszufechten... Ich lasse geschehen. Die Wut ist berechtigt, genau wie die Angst. Es ist RECHT, so zu fühlen. Wichtig ist lediglich - weder mir noch anderen zu schaden dabei - ok anderen schade ich nicht, das ist schnell klar. aber mir? wann schade ich mir? Wenn ich verharre und wegdrücke, was da seit Jahrzehnten kommen will. Der Tod, auch der grausam erlebte, ist besprochen, beweint, verflucht, - und doch schwappt diese Welle wieder über. Ich sehe ihn noch, meinen Großvater. Ich war 15. Alles kam von ihm: die Tiere, das Klavier, die Feinsinnigkeit, das Gespür für Pferde, für RECHT und UNRECHT - auch der imense Anspruch, stets und ständig das RICHTIGE zu tun. Alles von ihm. Ich habe diesen Mann, den Fels aufgesogen seit meiner Geburt. Und dann - viel zu früh - Leukämie. In seiner hässlichsten Fratze klopfte er an, der Tod. Schon 10 Jahre vor dem Sterben. Ich war dabei, 10 Jahre lang. Das Klopfen zeigte sich durch heftigste Schübe mit Erbrechen, Fieber, Schüttelfrost. Jeweils Stunden. Dann war es vorbei. Für Wochen, Monate, am Ende nur Stunden. Es klopft noch heute und ich sehe ihn kämpfen. Medizinische Versorgung zur damaligen Zeit - NO WAY. Kein warmes Wasser aus der Leitung - ein Haus Bj1860 - keine Heizung. Die Kleine hackte also Holz, versorgte die Tiere des Hofes, suchte ein Telefon in der Nachbarschaft - die wenigsten hatten ein eigenes - Ich sehe mich rennen durch das nicht - beleuchtete Städtchen an der Saale. Die Gemeindeschwester sieht die Not des Kindes - kann aber nur die Symptomatik des Sterbenden lindern. Und das Kind versorgt die Großmutter - und den Hof. AM nächsten Tag- FRIEDEN, er erholt sich. isst wieder, reitet mit der Enkeltochter aus, erklärt die Weidmannssprache (er war Jäger) und sie saugt auf, was irgendwie geht. Die Sonne scheint, ein milder Duft weht ein Gefühl von Sicherheit durch das Erleben der Kleinen - bis, ja - bis zum nächsten Klopfen ......

  • Und diese 2 Menschen in meinem Leben - der Großvater und die Großmutter, welche viele Jahre später starb, ganz weich, lautlos, lächelnd fast. Sie war es, der ich verdanke, dass der Horror der 10 miterlebten Jahre einen Gegenspieler bekam. Sie war es - genau wie er - die mich trug durch die Kindheit - durch dieses System, schützend - um so wenig Schaden wie irgend möglich am Kind entstehen zu lassen. Ich vermisse sie. Sie ist noch da. Diese Liebe war die Einzigartigste, die ich erleben durfte. Ohne sie - wäre ich nicht mehr, das ist sicher. Und als sie ging, weinte ich. Ich habe auch sie gesehen - im Sterben. Und es legte sich eine sanfte Decke über mich. Ich wusste einfach: ICH HABE ALLES BEKOMMEN, was einem Menschen nur zuteil werden kann an Liebe und Vermächtnis. Es sind diese beiden Menschen, die heute aus mir sprechen - immernoch - und hoffentlich auf ewig. Ich bin verzweifelt. Und daneben steht die Erwachsene, die das tobende Kind zu beruhigen versucht....... Ich glaube, ich werde verrückt. Sie wollte tanzen auf meiner Hochzeit. Hat sie irgendwie. Sie war da. Das ich diesen wunderbaren Mann in mein Leben lassen würde war ansich ein Wunder. 12 Jahre sind wir beisammen, nachdem ich über 10 Jahre nach mehrfachen Gewalterfahrungen geschworen hatte: nie wieder! ich bleibe allein! Aber ich habe ihn in mein Leben gelassen - und tatsächlich geheiratet - wer hätte das gedacht. Ein Sieg der Liebe oder ...... oder Zufall? neeee. Wir haben den Krebs besiegt, der ihn 2015 heimsuchte. Er ist ein Kämpfer - wie ich - und dabei so sanft, unaufgeregt, im Vertrauen. Welch ein Geschenk, ihn an meiner Seite zu haben. Ich fasse es noch immer nicht, dass ich geheiratet habe tatsächlich. Und diese wundervolle Frau hatte bereits 2001 gesagt, 4 Jahre vor ihrem sanften Tod - DU WIRST IHN FINDEN , ICH WEIß ES - und ich schaue nach oben und lächle mit den Tränen der Erschütterung und gleichermaßen Dankbarkeit in den Augen.

  • Liebe Sumpfdotterblume,

    danke für Dein Vertrauen und Deinen Mut für diesen Text.

    Momentan kann und möchte ich "nur" Mitlesen, um zu versuchen zu verstehen.

    Ich mag keine "Schnellschüsse" in Deiner Geschichte platzieren ... und seien sie noch so "gut gemeint".

    Falls Dir eine konkrete Reaktion oder direkte Fragen lieber sind, dann sag es bitte. Das kann ich nicht einschätzen.

    Herzlichst,

    Tereschkowa

  • Liebe Sumpfdotterblume,

    Lass dir einfach Zeit. Und schreib was dir auf dem Herzen liegt.

    Welches Glück du mit deinen Großeltern hattest. Die Liebe vermag zu heilen <3


    Wenn du Fragen hast, zur Trauer, oder Trauerprozessen kannst du sie gerne stellen.


    Liebe Grüüße,

    Isabel