Der ungebetene Gast

  • Die Trauer ist ein unerwarteter Gast.


    Eines schönen Tages klopft sie an Deine Tür und fragt nicht erst,
    ob sie hereinkommen darf, sondern sie setzt sich mitten in Dein
    Wohnzimmer und macht es sich bequem und gemütlich.
    Am Anfang denkt man sich *nun gut, irgendwo muss sie ja sein* und
    bleibt gastfreundlich.


    Dann kommt der Punkt, wo man sich denkt *nun könnte sie aber mal
    langsam wieder gehen* und versucht, mit allerlei diplomatischen und
    weniger diplomatischen Mitteln, sie dazuzubringen, aufzustehen und
    sich zu verabschieden, weil man gern mal wieder für sich sein möchte.
    Aber nein, sie hockt da, stumm und unversöhnlich und bewegt sich
    keinen Fleck.


    Man versucht sie rauszuzerren, rauszuekeln - aber sie sitzt da
    einfach. Jeden Tag versucht man es wieder, doch wie ein Sack nasser
    Zement thront sie auf Deinem Sofa und schaut Dir die ganze Zeit über
    die Schulter. Du fühlst Dich beobachtet und unwohl - aber sie sitzt
    da einfach.
    Und schweigt.
    und wartet.
    Und weißt nicht mal worauf, geschweige denn wie lang.
    Und noch ein Tag und noch ein Versuch, sie zum gehen zu bewegen.
    Herrgott, in unserer modernen Welt muss es doch möglich sein, der
    Lage Herr zu werden!
    Aber nein, dieses Ding hockt da wie eine Spinne im Netz und wartet.


    Ok, raus will sie nicht.
    In Deinem Wohnzimmer ist zuwenig Platz.
    Also fängst du an, Dich an sie zu gewöhnen. Stellst den Tisch ein
    bisschen weiter da und den Stuhl ein bisschen weiter dort - und nun
    sitzt sie zwar noch immer da, aber nicht mehr in der Mitte.
    AHA - denkst Du Dir!


    Ich kann sie nicht zum Gehen bewegen - aber ich kann mich um sie
    herum bewegen. Ein bisschen Möbel umstellen, ein bisschen Perspektive
    wechseln und schon sieht sie nicht mehr so bedrohlich aus.
    Tatsächlich kannst Du sogar um sie herumgehen und sie von hinten
    anschauen - unspektakulär..


    Weitere Tage vergehen und sie setzt schon langsam ein bisschen Staub
    an, bis sie sich plötzlich wieder mal schüttelt, eine Trauer-
    Staubwolke aufsteigt und Dich einhüllt. *hust* . Du stellst den Tisch
    noch ein bisschen mehr dort und den Stuhl noch ein bisschen mehr da,
    und auf einmal ist sie nur noch der Rand Deines Wohnzimmers und
    nicht mehr das Zentrum.


    Aber sie sitzt noch immer da.
    Manchmal wirft sie Dir einen vorwurfsvollen Blick zu und Du fühlst
    dich versucht, sie wieder in die Mitte auszurichten.
    Manchmal schüttelt sie sich und hüllt Dich in eine Staubwolke...
    Aber irgendwann ist sie so eins geworden mit Deinem Wohnzimmer, dass
    Du sie nicht mal mehr siehst, außer wenn sie sich grad schüttelt.
    Und so hast Du aus der Not eine Tugend gemacht und dank dem
    ungebetenen Gast, der nicht mehr gehen wollte, eine ganz neue
    Perspektive in Dein Leben gebracht.


    Und würde man nun die Trauer aus Deinem Wohnzimmer entfernen - so
    würde ein hässlicher, kahler Fleck bleiben, weil da auf einmal etwas
    fehlt.


    (hab ich endlich wiedergefunden, verfasser unbekannt)

  • Hallo zeraphine,


    deine geschichte regt zum nachdenken an; ich habe es noch nie von dieser seite betrachtet ......


    die trauer ist ein ständiger begleiter; der tod eines geliebten menschens wäre nicht das, gebe es die trauer nicht. sie dient dazu, dass man die gefühle aufarbeitet, welche der verlust eines geliebten menschen mit sich bringt. hoffe, ich habe es nicht zu verwirrend geschrieben!? aber im grunde soll man die trauer annehmen und nicht versuchen, ihr den zutritt in unser haus, in unsere wohnung etc., zu verwehren - so wie es auch in deiner geschichte steht. die trauer fordert uns heraus, uns mit dem verlust eines geliebten menschen auseinander zusetzen und es zu akzeptieren - auch wenn es fürchterlich weh tut...


    lg


    Regenbogen

  • Liebes Regenböglein!
    Genau so empfinde ich es, gegen meine Trauer und meinen Schmerz anzukämpfen, wäre wie gegen meine Liebe zu meinem Sohn zu kämpfen.
    Die Trauer auszulöschen, wäre meinen Sohn zu negieren, also sehe ich die Trauer als Form der Liebe zu ihm an, die Trauer darf und soll in meinem Haus leben!
    Ich glaube wir lernen mit der Trauer zu leben, hin und wieder uns zu ihr zu setzen, ihr einen platz in unserem Leben zuzugestehen.


    ganz liebe grüße
    Zera

  • Liebe Zera,


    danke.
    Ich hab ja erst unlängst geschrieben:
    Ich möchte nicht "keinen Schmerz mehr" - möchte nur damit LEBEN können,
    möchte nicht "kein Vermissen mehr" - möchte nur damit LEBEN können.


    Dann werd ich mich also ans Möbel rücken machen ;)


    Alles Liebe
    Jutta

    Der Tod eines geliebten Menschen ist wie
    das Zurückgeben einer Kostbarkeit,
    die uns Gott geliehen hat.

  • Liebe Zera,


    ja diese Geschichte bringt es wirklich auf den Punkt. Danke dass du sie reingestellt hast.


    Ganz liebe Grüße
    Claudia

    Tretet her, Ihr meine Lieben,
    nehmet Abschied weint nicht mehr,
    Heilung war mir nicht beschieden,
    meine Krankheit war zu schwer,
    wär so gern bei Euch geblieben,
    die Ihr wart mein ganzes Glück,
    doch ich musste von Euch scheiden,
    lasse Euch allein zurück.


    Schmerz hat man nicht gespürt, solange man nicht einen lieben Menschen verloren hat.

  • ihr lieben,
    es freut mich, dass es euch gefällt.
    Vor langer zeit hab ich diese Geschichte einmal gekriegt und verloren...
    gestern fand ich sie wieder und hab mich erkannt.
    Ich wünsche euch/uns viel kraft beim umrücken ;-)
    glg

  • Liebe Zerra. Das ist eine fantastische Geschichte, wenn man das in der Hinsicht sagen darf. Danke :24:

    Eine Stimme die so vertraut war, schweigt.


    Ein Mensch, der immer da war, ist nicht mehr


    Was bleibt, sind dankbare Erinnerungen,


    die niemand nehmen kann.




    Susanne

  • Hallo Zeraphine,


    damit diese Geschichte wieder ein bißchen an die Oberfläche kommt für die "Neuen"......


    bin noch nicht so lange hier im Forum und habe Deine Geschichte erst jetzt gelesen.....aus dieser Perpektive die Trauer zu betrachten, hilft mir wieder etwas weiter. Hab sie mir auf schönem Papier ausgedruckt und aufgehängt, so hab ich sie immer wieder im Blickfeld......


    Vielen herzlichen Dank!!


    Evi

    *


    Es gibt Momente im Leben, da hört die Welt auf, sich zu drehen.
    Und wenn sie sich wieder dreht, ist nichts mehr so, wie es war.


    "Tempora praeterire Sed tenera Memoria restat"


    *

  • Dann kommt der Punkt, wo man sich denkt *nun könnte sie aber mal
    langsam wieder gehen* und versucht, mit allerlei diplomatischen und
    weniger diplomatischen Mitteln, sie dazuzubringen, aufzustehen und
    sich zu verabschieden, weil man gern mal wieder für sich sein möchte.
    Aber nein, sie hockt da, stumm und unversöhnlich und bewegt sich
    keinen Fleck.