Mein Herz ist zerbrochen

  • Lieber Billi,


    ja, "die Antennen nicht richtig ausgefahren zu haben", das trifft es sehr gut. Ich denke mir: ich liebe ihn doch, ich hätte doch irgendwie spüren müssen wie ernst die Lage WIRKLICH ist...


    Liebe Linchen,

    Dir auch lieben Dank fürs Antworten.

    Das "sich beschäftigen bzw. was unternehmen" war der Rat meiner Psychotherapeutin. Ich habe mittlerweile aber auch so meine Zweifel, ob das wirklich was bringt nach dem Motto "Hauptsache sich irgendwie ablenken und nicht über den Verlust nachdenken müssen".

    Ich merke ja daß mir nicht jeder Mensch und jede Unternehmung gut tut - sondern im Gegenteil eher nervt.

    Ich mache jetzt immer ein bisschen was (möchte ja die Leute nicht vor den Kopf stoßen), nehme mir aber auch genug Zeit zum Rückzug mit mir alleine.


    Vermutlich haben Psychotherapeuten auch nicht immer Recht oder könnnen helfen:(

    Ich hab die Therapie u.a. auch deswegen beendet.

    Wollte mich eigentlich nochmal nach wem anders umsehen der auf Trauer spezialisiert ist, hatte da aber momentan auch nicht die Kraft dazu:(

  • Liebe Nora,


    diesen Ratschlag hört man immer wider und ja manche Menschen brauchen das tatsächlich.


    Eine alte Freundin muss dann unter Menschen viele Menschen.

    Für mich ist das absolute Gegenteil ich brauch das Alleinsein den Rückzug das anhalten der Welt sozusagen.


    Das ist wirklich bei jedem komplett unterschiedlich.

    Da gibt es kein richtig oder falsch, man merkt sehr schnell ob es gut tut oder nicht und vor allem mit wem es vielleicht gar nicht gut tut und mit wem es okay ist.


    Vlg. Linchen

  • Liebe Nora,


    ich kann dich verstehen was deine Schuldgefühle angeht. Auch heute nach fast 3 Jahren melden sich die Schuldgefühle immer noch bei mir.

    Nicht mehr so stark wie am Anfang aber so ganz lassen sie mich nicht in Ruhe. Schuldgefühle gehören wohl nicht selten zu der Trauer dazu, so

    habe ich gelesen. Manchmal kommt es mir so vor, das ich mit meinem Kopf zu viel denke.

    Dann muss ich mich ganz bewusst stoppen, funktioniert nicht immer, aber doch des öfteren.


    Ich persönlich finde Ablenkung bis zu einem gewissen Punkt gut. Am Anfang konnte ich noch nicht richtig erfühlen was mir gut und wieviel mir von was gut tut.

    Mittlerweile kann ich es ganz gut händeln. Ich brauche beides, mal das oberflächliche damit ich nicht in meinen Gedanken, Gefühlen ertrinke und

    manchmal brauche ich das für mich zu sein mit meinen Gedanken und Gefühlen.

    Für mich wäre nur das eine oder nur das andere nicht gut. Aber das musste ich auch erst lernen.


    Ich glaube, wir können nur lernen mit der Trauer zu leben. Es ist sehr sehr schwer und oft habe ich Angst das nicht zu schaffen. Es ist ein anderes Leben geworden

    ganz klar. Ein Leben was ich so nicht möchte, aber ich habe keine andere Option. Oft frage ich mich, warum ist das alles passiert. Das ist jedoch die sinnloseste Frage überhaupt und ich sollte sie mir nicht stellen. Es wird keine Antwort geben.


    Ich habe jetzt ein/mein Leben mit meinem toten Mann.


    Einen lieben Gruß an dich.


    Anja

  • Liebe Anja,


    Danke Dir fürs Schreiben Deiner Erfahrungen.


    Ich brauche wohl auch beides - mal Zeit für mich alleine und mal Zeit mit anderen Menschen (Ablenkung).

    Beim Nachdenken ist mir dann noch eine dritte Möglichkeit eingefallen: Manchmal bin ich nun auch gerne alleine im Café oder sogar im Kino. Also umgeben von Menschen, aber trotzdem "alleine" mit mir selber.


    Auch bei deinem letzten Absatz kann ich alles genau nachempfinden. Ein anderes Leben ist es nun, ja. Nichts ist mehr wie vorher. Aber im Prinzip kann man die Tatsache nur schlucken und versuchen, irgendwie damit klarzukommen. Wir haben keine Wahl, können die Zeit nicht zurückdrehen, so bitter das auch ist.


    Auch die unendliche "Warum??"-Frage stelle ich mir oft. Und da kommt leider auch oft mein Schuldbewusstsein daher. Hab ich denn irgendwas verbrochen, daß ich derart "bestraft" werde? Aber im Grunde weiß ich natürlich, daß es keine Antwort auf das "Warum" geben kann.


    Liebe Grüße

    Nora

  • Liebe Nora,

    genau das habe ich mich auch schon oft gefragt. Was um aller Welt haben wir verbrochen ? Nichts. Gar nichts. Und was noch viel schwerer wiegt. WAS haben unsere Liebsten verbrochen ? Nichts. Gar nichts. Nur in Freude und Liebe gerne mit uns gelebt...

    Das Schicksal kennt kein gut oder schlecht, alt oder jung, krank oder gesund. Es haut einfach irgendwo rein.

    Unsere Warum werden hier auf Erden nie Antworten finden. Vielleicht in der nöchsten Ebene, die es wie ich inzwischen glaube gibt...

    Liebe Grüße Billi 🌻

  • Lieber Billi,

    ja ganz genau, auch diese Frage stelle ich mir so oft: was hat ER verbrochen dass er mit 52 Jahren so plötzlich und ohne Chance auf Wiederbelebung aus dem Leben gerissen wurde?

    Er war immer so hilfsbereit anderen gegenüber, in der Firma war er Betriebsrat, im Privaten Vereinsvorstand, hat sich immer für Schwächere eingesetzt. Hat bei zwei alten und kranken Nachbarinnen immer mal wieder bei Einkäufen geholfen. Hat den Mund aufgemacht, ist laut geworden, auch mal gegenüber Vorgesetzten, ohne Rücksicht auf (eigene) Verluste, wenn es um Ungerechtigkeiten ging.

    Ich habe ihn immer so bewundert für seinen Mut. Warum muss so jemand so früh gehen? Überall hinterlässt er riesige Lücken.

    Und ich weiß einfach: Er hätte sooo gerne weitergelebt, noch viele Jahre gehabt.


    Wegen meinen Schuldgefühlen denke ich mir manchmal: wahrscheinlich ist es einfacher, bei sich selber die Schuld zu suchen (mag es auch noch so abwegig sein), als zu akzeptieren dass das Schicksal einfach so wahllos zuschlägt. Dass wir Menschen einfach fallen wie zufällig getroffene Kegel...? Das ist einfach so viel grausamer zu akzeptieren, zu begreifen.


    Liebe Linchen,

    ja, DAS sollen "die da oben" mir dann bitte auch mal erklären, wenn es soweit ist!

    Ich habe ja auch schon so viel nach dem Sinn gesucht, bzw. tue es immer noch und kann nichts finden....


    Liebe Grüße

    Nora

  • Ihr Lieben,


    ich habe vier furchtbare Tage hinter mir. Ein schon lange währender Konflikt in der Arbeit ist komplett eskaliert😟

    Eine Kollegin stellt sich seit Ewigkeiten dumm, eine andere fährt (erfolgreich) eine gewisse Arbeitsvermeidungstaktik, gibt bei neuen Arbeitsaufträgen so lange nervende Rückfragen, bis der Chef im Prinzip alle neuen Projekte lieber gleich MIR aufgebürdet hat.


    Hab im Laufe der Jahre die miese Aufgabenverteilung immer wieder mal freundlich angesprochen, wurde immer abgeblockt. Es war aber alles früher immer noch "machbar" bzw. schaffbar für mich. Als ich noch Kraft hatte und mich auf die Feierabende und Wochenenden mit meinem Schatz freuen konnte😭


    Im Laufe der letzten Woche kamen dann wieder 2 neue Sachen dazu und ich war zuvor schon am Limit.


    Ich konnte Freitag einfach nicht mehr.

    Erst 7 Monate sind vergangen seit meiner persönlichen Katastrophe.

    6 Wochen war ich krankgeschrieben, bin dann gleich wieder Vollzeit arbeiten gegangen. Keinen Tag Urlaub seitdem beansprucht.

    Vielleicht so ca. 6-8 Wochen anfangs noch hatte ich am Arbeitsplatz spürbar "Schonzeit", der Chef hatte dann gleich noch scheinbar mitfühlend kondoliert und gesagt "Rühr Dich wenn Du was brauchst" - haha.


    Trotz einiger Bitten meinerseits, die Arbeit gerechter aufzuteilen, wurde es nur immer nur mehr und mehr und mehr.

    Freitag war ich am Ende, es ging nichts mehr. Stress pur, hatte quasi Blackouts, hatte innerhalb von 2 Sekunden vergessen was ich eigentlich in der Tabelle machen wollte etc.


    Hab dann im Effekt eine überdeutliche E-Mail geschrieben. Richtig gepfeffert, deutliche Forderungen, Drohung mit Betriebsrat wenn sich nichts ändert. Mir war alles egal. Mein Liebling ist gestorben, schlimmer kann es nicht mehr werden. Alles egal.

    Antwort vom Chef: wir können Montag reden.


    Das ganze Wochenende hatte ich dann Panikattacken und Weinanfälle.

    Mein Schatz, er fehlt mir so furchtbar.

    Mit ihm hätte ich alles durchgehen können, er hätte meine E-Mail nochmal gegenlesen können. Mir sagen was evtl. zu krass formuliert war oder was auch immer... Er war gut in sowas❤️

    Ach, was rede ich: Es wäre gar nicht so weit gekommen mit ihm an meiner Seite😔


    Irgendwann dann leise Hoffnung dass das Chef-Gespräch gut verlaufen würde. Dass es gut war, mal auf den Tisch zu hauen. Dass sich meine Arbeitssituation zum Besseren wenden würde...


    Aber nein. Das Gespräch heute war einfach nur grauenvoll. Ich wurde nicht angehört, mir wurde sogar Neid (?!) auf die sich dummstellende (hübsche) Kollegin vorgeworfen. Was total absurd ist.

    Ich soll doch bitte nur auf meine eigenen Aufgaben schauen. Und die andere, nervende Kollegin wäre ja schließlich ein armer kranker, unglücklicher Mensch, so wie sie sich benimmt, da solle ich Rücksicht nehmen.

    Hab dann nur zurückgeblafft "Meinst Du denn tatsächlich ich wäre selber NICHT unglücklich?".


    Es war einfach nur häßlich und verletzend. Ich war fassungslos. Nie hätte ich solch empathielosen Worte erwartet, niemals.

    Das bedeutungslose Pflicht-Kondolieren, das dahingesagte "Rühr Dich wenn Du was brauchst"... alles ein Witz.


    Auf trauernde Menschen wird null Rücksicht genommen. Es zählt einfach nicht. Nach 2-3 Monaten soll man bitte wieder die alte Performance am Arbeitsplatz hinlegen. Und doch bitte Rücksicht auf die angeblich psychisch kranke Kollegin nehmen und deren Arbeit mit übernehmen.


    Dabei habe ich wirklich keinerlei Sonderbehandlung verlangt, sondern einfach nur eine faire Arbeitsteilung. In der irrigen Annahme dass die Bitte eines trauernden Menschen zumindest mal ernstgenommen wird. Und zumindest ein freundliches, konstruktives Gespräch stattfindet.


    Ich hab mich wirklich noch nie in meinem ganzen Leben so furchtbar gefühlt. Da ist natürlich immer noch die Trauer, die Traurigkeit, der unfassbare Verlustschmerz, die absolute Verzweiflung. Wie seit Monaten schon.

    Und jetzt dazu diese lodernde Wut auf alles und jeden. Auf diese gefühlskalten, empathielosen Menschen. Die mich scheinbar nur noch als hysterisches Weib wahrnehmen, daß sich gefälligst zusammenreißen und klaglos gute Arbeit abliefern soll wie früher.


    Häßliche Gedanken, für die ich mich dann schäme. Gedanken wie "ich hoffe ER ist dann irgendwann auch mal der übriggebliebene Partner und WEISS dann wie grauenvoll man sich fühlt!!".


    Ja, ich bin weniger leistungsfähig als früher.

    Ja, ich bin stressanfälliger als früher.

    Ja, ich war jetzt EINMAL nicht so freundlich wie sonst. Hab mal auf den Tisch gehauen.

    Aber ich hab mich nach 6 Wochen wieder zurückgekämpft an den Arbeitsplatz. Hab mich durchgebissen. Nicht ganz uneigennützig, ich wollte auch gerne die Ablenkung.


    Aber jetzt? Wirklich zum Betriebsrat? Kostet zu viel Kraft, die ich nicht habe.

    Zum Arzt zwecks erneuter Krankschreibung? Ich würde im Prinzip ja gerne arbeiten. Aber eben unter fairen Umständen.

    Um ein weiteres Gespräch bitten? Wahrscheinlich nutzlos.


    Mir ist nur noch zum Heulen. Es ist ein Gesellschafts-Problem. Für Trauer gibt es keinen Platz, kein Verständnis, kein Entgegenkommen.

    Kein Chef, kein Teamleiter wird geschult wie man mit trauernden Mitarbeitern umgeht.


    Aber ansonsten ist ja ALLES so wichtig: "Mental Health", Umgang mit Suchterkrankungen, Umgang mit Mobbing, mit Diskriminierungen, mit diversen Kollegen, Burnout-Früherkennung....alles hat seinen Platz und wird in unserer Firma geschult oder mit Aktionstagen drauf aufmerksam gemacht, aber Tod und Sterben findet wohl einfach nicht statt...?


    Dabei ist es doch das, was uns Menschen alle betrifft😔


    (Was natürlich definitiv nicht heißen soll, dass die anderen Dinge nicht auch wichtig wären - bitte nicht falsch verstehen, das hat alles seinen Platz verdient...).


    Traurige, wütende, nachdenkliche Grüße

    Nora

  • Liebe Nora,

    es tut mir furchtbar leid, was Dir passiert ist. Dennoch denke ich, dass es richtig war, einmal klar Stellung zu beziehen. Ich würde durchaus mit dem Betriebsrat sprechen um Unterstützung für eine faire Arbeitsteilung zu erhalten. Dies dient nicht zuletzt dem Erhalt Deiner Arbeitskraft, das sollte im Interesse des Vorgesetzten liegen, denn wenn Du krank wirst kannst Du Deine Arbeit auf jeden Fall gar nicht erledigen. Ich würde mit dem Betriebsrat einen konkreten Plan ausarbeiten, wie es fair verteilt werden könnte. Oft fehlen nämlich einfach nur Zeit und Ideen, wie das gehen könnte. Ich würde auch darauf hinweisen, dass bei einer fortgesetzten Überlastung eine Erkrankung nicht ausgeschlossen werden kann, was Du gerne verhindern möchtest, weil Du ja arbeiten willst. Es sollte also im allgemeinen Interesse sein, eine einvernehmliche Lösung zu finden, an der Du sehr interessiert wärst.

    Keinesfalls solltest Du Dich in Dein Schicksal erheben, das wird Dich auf Dauer krank machen. Auch wenn es jetzt mehr Kraft erfordert, den Betriebsrat einzuschalten, wird es Dir langfristig helfen.

    Ich drücke Dir die Daumen und sende Dir Kraft!

    Lg Herzschmerz

  • Ach Danke, liebe Herzschmerz, für Deine ermunternden Worte🩵

    Ich lasse es mir mal durch den Kopf gehen und werde auch vorab selber versuchen, einen Entwurf für eine faire Verteilung aufs Papier zu bringen. Damit ich schonmal was in der Hand habe.

    Ich muss ja nicht gleich morgen zum Betriebsrat, da kann ich ja erst wieder ein paar Tage Kraft sammeln.


    Bessere Arbeitsbedingungen zu bekommen ist das eine, aber das andere ist eben diese erneute unsensible Behandlung und Verletzung.

    Daran werde ich sowieso jetzt länger zu knabbern haben. Macht auch wieder ein Stück einsamer und isolierter. Man traut sich schon gar nicht mehr mit Ehrlichkeit an andere Menschen ran, aus Angst dann erneut verletzt zu werden😞

  • Liebe Nora,

    ja, diese mangelnde Empathie und auch Rücksichtslosigkeit schmerzt, das kann ich mir gut vorstellen. Verstehe, dass Du Angst hast, erneut verletzt zu werden und daher auf Rückzug oder Zurückhaltung setzt. Ich denke aber, dass es dennoch auch viele empathische, mitfühlende Menschen gibt, verliere die Hoffnung nicht.
    Nein, Du musst das nicht sofort regeln aber dennoch zeitnah. Ich würde dem Betriebsrat auch sagen und zeigen, dass Dich das enorme Kraft und Überwindung kostet. Es ist gut, wenn Du selbst schon mal überlegst, wie die Arbeit fair verteilt werden könnte…..

    Fühle Dich lieb in den Arm genommen🫂.

    Lg Herzschmerz

  • Danke ihr beiden🩵


    Lieber Ron, du hast Recht. Ich habe mit meinem Chef sehr emotional geschrieben und gesprochen.


    Und ja ich war immer "pflegeleicht", im Beruf, in Beziehungen, im ganzen Leben.

    Mir fällt es ungemein schwer, für mich selber einzustehen. Ich hasse Streit und Auseinandersetzungen so sehr.

    Vermutlich war es also für meinen Chef recht erschreckend was da von mir auf einmal kam😅


    Deine Tipps z.b. mit dem "häppchenweise" werde ich berücksichtigen.

  • Puh...liebe Nora, ich habe beim lesen die Luft angehalten, so sehr habe ich deine Enttäuschung gespürt 🫂und du hast mit jedem Wort Recht... es tut mir so so leid für dich...in solch einer Situation überhaupt noch arbeiten zu können...mein Respekt ❤️

  • Liebe Nora,

    Ähnlich wie Pia habe ich deine Zeilen zu den letzten Tagen mit angehaltenem Atem gelesen.
    Einerseits ein "ganz normales Problem am Arbeitsplatz", das schon unter "normalen" Umständen viel, viel Kraft kostet. Und auf der anderen Seite die absolute Ausnahmesituation.
    Wenn diese beiden Dinge aufeinanderprallen, dann ist das logisch, dass das hochexplosiv ist.

    Ich kann dich gut verstehen, dass dir der Kragen geplatzt ist und finde es gut und richtig, dass du aufbegehrt hast.
    Vermutlich zum allerersten Mal bei dieser Arbeitsstelle. Das kommt für das Gegenüber dann wie ein unvorhersehbarer Vulkanausbruch an, mit dem er weder gerechnet hat, noch klar kommt.
    Zudem war natürlich der Zeitpunkt auf seiner und nicht auf deiner Seite. Da das Wochenende dazwischen lag, hattest du viele bange Stunden, während er Zeit hatte, sich einerseits hineinzusteigern und andererseits Rechtfertigungen und "Argumente" zu finden.
    Unfair, dass er das so ausnutzt, denn wenn du so emotional geschrieben hast, muss er deine Aufgewühltheit ja deutlich gespürt haben.
    Er hätte dich beruhigen sollen. Nicht einfach "wir reden am Montag", sondern "wir reden am Montag in Ruhe und finden gemeinsame eine Lösung".
    Aber Softskills sind leider nicht jedermanns Sache, auch nicht in Positionen, wo sie bitter nötig wären.

    Herzschmerz und Ron geben viele gute Tipps und ich möchte noch ein paar Anregungen hinzufügen:
    Eine vernünftige Diskussionskultur gibt es schon seit langem nicht mehr, meinem Empfinden nach. Wenn man jemanden (vermeintlich) angreift - und manche werten bereits ein "ich sehe das anders" als Angriff ... - kommt direkt ein Kontra mit sämtlichen Waffen entsichert und im Anschlag.

    Aber es hilft, wenn man selber das Ruder in der Hand behält. Den Ton angibt, bzw. vorgibt und den Zeitpunkt.
    Ich finde es gut, wenn du dir ein paar Tage Zeit nehmen wirst. Auch dir schon mal Lösungsvorschläge zu überlegen.

    Aber mein ganz großer Tipp ist, transparent zu sein. Transparent und professionell.
    Drohe nicht mit dem Betriebsrat, sondern verkaufe es als Vorschlag. Nach dem Motto: "Ich habe mir überlegt, es könnte für uns alle eine tolle Diskussionsgrundlage sein, wenn ich vorab mit dem Betriebsrat über ein paar Lösungsansätze rede."
    Oder "was hältst du davon, wenn ich tatsächlich erst mal mit dem Betriebsrat spreche; die können bestimmt gut einschätzen, was getan werden kann, damit all unsere Bedürfnisse beachtet werden, ohne dass die Arbeit drunter leidet". Das aber natürlich so vermitteln, dass er nicht sagen kann "da halte ich gar nichts von".

    Es ist einfach in solchen Situationen wichtig, nicht mit Beschuldigungen, Schuldzuweisungen, Vorwürfen und Drohungen zu kommen.
    Erkläre dich auch ruhig - wenn es für dich passt auch entschuldigend - aber niemals rechtfertigend oder unterwürfig.
    Erkläre, dass du dich in einer Situation befindest, die wohl keiner nachfühlen kann, der es nicht selbst erlebt hat und dass du das auch keinem wünschst. Erkläre, dass du dadurch vielleicht dünnhäutiger bist und andere Bedürfnisse entwickelt hast, aber dass das nichts mit deiner Arbeit und der Qualität deiner Arbeit zu tun hat. Lediglich mit dem Umgang mit dir. Bitte da offen um Verständnis, aber bettele nicht darum.

    Und - ganz ehrlich - wenn das schon so ist in eurem Betrieb, dass sich da mit allen möglichen sozialen Programmen gebrüstet wird, und Mental Health (eigentlich sehr, sehr löblich, wenn das nicht nur Lippenbekenntnisse sind) ein Thema ist, dann nutze das. Wende die Waffen gegen sie, denn sie schreien danach.
    Das, was du beschreibst, hört sich verdammt so an, als sei es einem Burnout gar nicht mal so fern oder unähnlich. Egal, ob das durch die Trauer potenziert wird oder nicht. Wenn also Burnout-Früherkennung ein Thema bei euch ist und es WIRKLICH ernst und wichtig genommen wird, dann berufe dich genau darauf. Aber frage, schlage vor, fordere nicht.
    Ähnlich ist es mit Mobbing. Sag deinem Chef ruhig: "Als du mir vorgeworfen hast, ich sei nur neidisch, dachte ich einen Moment, du steckst mich in die Schublade von Leuten, die andere mobben. Dabei fühle ich mich eher selbst manchmal gemobbt, aber ich weiß natürlich, dass das Quatsch ist. Hoffe ich zumindest."

    Durch solche Dinge solltest du deinen Chef zum Nachdenken bringen und eher in einen vernünftigen Dialog ziehen, als mit Vorwürfen.
    Sag ihm auch das ruhig. Sag ihm, dass du vielleicht emotional ein wenig über die Stränge geschlagen hast und es dir leid tut, aber dass du einfach so wütend warst und es ehrlich gesagt auch immer noch bist. Erklärend, nicht rechtfertigend.

    Hehe, das soll jetzt kein Skript für eine Unterredung mit dem Chef oder dem Betriebsrat sein. Die Beispielssätze habe ich lediglich eingefügt, damit du die Richtung verstehst, die ich meine. Die Wortwahl, das gesamte "Wie" muss von dir kommen. Authentisch ist hier ebenso wichtig wie ehrlich, transparent und konstruktiv, statt destruktiv.

    Wie gesagt: Eine gute Idee, dass du ein paar Tage warten und dich sammeln möchtest. Schreibe dir in der Zeit einfach alles auf, was dir zu dem Thema einfällt. Situationen, Beschreibung des Missstandes, deine Gefühle dabei, Verhalten der Kollegen und Kolleginnen, deine Ängste, Vorschläge zur Verbesserung, einfach alles. Strukturiere das dann und lege dir einen "Schlachtplan" zurecht. Denn ... Wie ich sagte: Es ist wichtig, dass du das Ruder in der Hand hast, Ton und am besten auch Zeit vorgibst.

    Ich drücke dir ganz doll die Daumen, dass sich die Arbeitssituation für dich sehr bald bessern wird und dass es dich nicht übermenschlich viel Kraft kostet, dafür zu "kämpfen".

    Fühl dich ganz lieb umarmt und tief verstanden, auch wenn ich hier vielleicht auch ein wenig Arbeitgebersicht einfließen lassen habe ✨💖

  • Liebe Pia,

    ich wollte nicht ins Krankengeld fallen, daher bin ich gleich nach 6 Wochen Krankschreibung wieder hin. Irgendwie schafft man zu arbeiten, wenn man muss, auch unter widrigen Umständen. Mir hat tatsächlich der strukturierte Tag und das Aufstehen-um-pünktlich-dazusein auch in der Trauer geholfen. Und nicht zuletzt gibt es neben meinen beiden speziellen Kolleginnen dann auch ein paar sehr nette Leute in den Nachbar-Abteilungen.

    So viel "Respekt" habe ich mir also gar nicht verdient;)


    Lieber Ron,

    Ja, genau so ist es! Mein Sicherheitsnetz (guter Begriff!) ist nun weg. Früher hatte ich immer meinen Partner im Rücken. Als Ratgeber, als Tröster. Kritische Situationen konnte man vorab durchsprechen. Und selbst wenn irgendein Konflikt sehr dramatisch war - egal. Man hat letzten Endes immer jemanden, der einem zur Seite steht. Alles dann halb so schlimm.

    Und ja, ich lerne mich grad selber neu kennen. Reagiere anders, schneller, undurchdachter.

    Vielleicht mutiger? Wegen dem "nun ist eh schon alles egal"-Gefühl.

    Danke Dir für Deinen Input!


    Liebe Sonnenente,

    wie immer (auch in anderen Wohnzimmern) bewundere ich Deine guten Texte und wieviel Mühe Du Dir immer gibst und wieviel Zeit Du in Deine ausführlichen Antworten investiert, um anderen zu helfen. Danke dafür🩵

    Es sind sehr wertvolle Tipps dabei.

    Hab mir einiges zusammengeschrieben und nehme mir nochmal ein paar Tage Zeit.

    Hab mich selber ja auch schon hinterher unwohl gefühlt mit der "Drohung" mit dem Betriebsrat.

    Das wurde garantiert schon als Angriff gewertet und das Übel nahm seinen Lauf. Ein bisschen eigene Schuld trifft mich also auch bzw. habe ich mich selber im Affekt in eine miese Ausgangslage gebracht.


    Ich stimme Dir zu, eine gute Diskussionskultur ist heutzutage fast nirgends mehr zu finden - leider.


    Ich versuche immer auch beide Seiten zu sehen und daher: ich verstehe auch dass ich mit meinem "Ausbruch" dem Chef wie ein plötzlich speiender Vulkan vorgekommen bin und er damit gar nicht umgehen konnte. Und dann - trotz Vorbereitungszeit am Wochenende - die dümmstmögliche Reaktion gebracht und mich mit dem "Du bist doch nur neidisch" unter der Gürtellinie abgekanzelt hat.

    Um die unangenehme Sache möglichst schnell abhaken und vom Tisch wischen zu können.


    Ich werde all Eure konstruktiven Tipps und Input berücksichtigen und halte Euch auf dem Laufenden - Danke nochmals🩵 Die liebe Hilfe hier ist unbezahlbar!

  • Liebe Nora,


    ich wünsche Dir von Herzen das es sich wieder einränkt und das Du auch gesehen wirst mit Deiner Trauer Deinem Schmerz und das Du einfach schlicht nicht so belastbar bist wie vorher.


    Ja das Sicherheitsnetz ist weg definitiv weg und das ist wirklich schwer das ganze Gleichgewicht fliegt auseinander und das muss man erst mal wieder finden das dauert.


    Vlg. Linchen

  • Ihr Lieben,


    nach der tollen Unterstützung hier wollte ich kurz berichten, wie der Konflikt an meinem Arbeitsplatz nun erstmal ausgegangen ist.


    Ich hatte mir erst noch eine gute Woche zum Nachdenken und Kräfte sammeln genommen, hatte dann ein wirklich gutes Gespräch mit einer sehr netten Betriebsrätin. Mein Anliegen hat Gehör und Verständnis gefunden und mir wurde ohne Druck Unterstützung angeboten.

    Hinterher unendliche Tränen der Erleichterung bei mir. Man ist ja so dünnhäutig und schnell gerührt wenn von irgendwem ein liebes Wort kommt


    Nach ein paar weiteren Tagen des Überlegens habe ich dann meinen Chef um ein weiteres Gespräch mit Teilnahme der Betriebsrätin gebeten.

    Klar, er war erstmal nicht grad erbaut - kostet ja alles seine wertvolle Zeit:rolleyes: Aber er hatte keine Wahl, wenn jemand vom Betriebsrat drauf besteht.


    Ich will jetzt nicht sagen dass das Gespräch einfach war - aber nach zähem Ringen und der tatkräftigen Unterstützung der Betriebsrätin an meiner Seite kam es dann zu Zugeständnissen:

    Vorerst werden mir keine neuen Projekte mehr aufgedrückt, und erst wenn ein Projekt abgeschlossen ist, kommt was Neues - somit bleibt die Arbeitsbelastung erstmal auf gleichem Niveau und wird keinesfalls mehr.


    Klar, ich bin erleichtert diesen kleinen "Sieg" errungen zu haben und es hat nun auch spürbar ein gewisser Leistungsdruck auch nachgelassen.


    Aber es war alles einfach soooooo unheimlich kräftezehrend;(

    Er fehlt immer noch so sehr an meiner Seite, jede Minute, jede Sekunde.

    Niemand da, mit dem ich solche Dinge durchsprechen kann. Der mich in- und auswendig kennt und definitiv immer zu mir steht.

    Niemand, der meine panische Angst vor diesen Gesprächsterminen ein bisschen mildern konnte. Niemand da, mit dem man auf den kleinen Erfolg hinterher anstoßen könnte.


    Ja, einerseits tat es ein bisschen gut, zu sehen dass ich auch alleine für etwas kämpfen kann.


    Aber natürlich, es ist kein tolles Hochgefühl da.

    Im Grunde habe ich nun immer noch Panik vor der nächsten Hürde oder Katastrophe in meinem Leben, die ich dann wieder irgendwie alleine meistern muss.

    Habe immer noch so große Ängste, dass meine Kraft irgendwann dann doch nicht mehr reicht.

  • Wie traurig, dass man um ein bisschen Menschlichkeit kämpfen muss. Ich hab das auch erlebt.
    Ein tolles Hochgefühl... Mensch das wär mal was! Aber irgendwie fühlt man sich nur ausgelutscht.
    Du hast alles richtig gemacht! Und kannst dich aber gar nicht so fühlen, oder?
    Man sagt, dass man an Herausforderungen wächst. Ist wahrscheinlich sogar so. Aber nach so kurzer Trauerzeit kann man das nicht wahrnehmen. Ich zumindest nicht.
    Ich klopf dir jetzt einfach auf die Schulter und sage: Gut gemacht! Und ich stoße jetzt mit dir an. Hab ein Gläschen Wein hier stehen (abends darf ich nicht). Auf dich und deinen Erfolg, Nora!

    Unsere Toten sind nicht abwesend nur unsichtbar,

    sie schauen mit ihren Augen voller Licht in unsere Augen voller Trauer.

    Es gibt ein Wiedersehen auf einer anderen Ebene.

    Und die Seelen unserer Vorausgegangenen begleiten uns

    Aurelius Augustinus