6 Jahre ohne dich, Mama..

  • Hallo,


    ich habe mich neu hier angemeldet und weiß ehrlich gesagt gar nicht genau warum eigentlich.. Ich glaube ich suche Menschen, mit denen ich mich ein bisschen austauschen kann, da dies in meinem Alltag kaum möglich ist. Das ist sicherlich auch meinem Alter geschuldet: Mein Name ist Jule, ich bin 24 Jahre alt und habe meine Mutter vor 6 Jahren und 4 Monaten verloren. Einen Tag nach meinem 18. Geburtstag, den sie unbedingt noch erleben wollte und für den sie gekämpft hat, ist sie eingeschlafen.

    Ziemlich genau ein Jahr vorher gab es die Diagnose Lungenkrebs. Mit 46, Nichtraucherin, nie Alkohol und immer gesund gelebt. Natürlich stellt man sich die Frage, ob das fair ist - aber danach fragt niemand..

    Es war ein Jahr mit viel Auf und Ab, der Tumor saß im rechten Lungenflügel, wurde in einer OP komplett entfernt. "Ihre Mutter wird wieder ganz gesund, der Tumor konnte vollständig entfernt werden und hatte noch nicht gestreut". Ein paar Monate später kam meine Mutter mit starken Schmerzen ins Krankenhaus. Das Ergebnis: Metastasen in der Lunge und der Leber. Nach zahlreichen Chemos und Bestrahlungen der noch größere Schock: Nichts von beidem schlägt an, die Art der Tumorzellen scheint völlig resistent gegen jegliche Art von Chemo und Bestrahlung. Man konnte nichts mehr tun.

    In den nächsten Wochen kamen Metastasen im Kopf, in den Knochen und am Herzen dazu. Sie hat gelitten, wollte aber partout nicht ins Krankenhaus. Mein Vater holte sie nach Hause (irgendwo verständlich, aber auch völlig verantwortungslos), war aber selbst oft arbeiten, sodass ich mit 17 Jahren für sie verantwortlich war - was mich natürlich völlig überfordert hat. In den nächsten Monaten musste sie immer wieder ins KH, es ging ihr zunehmend schlechter. Sie wurde depressiv, ich war ebenfalls Angriffspunkt ihrer Verzweiflung und ihrer Launen, habe mir sogar teilweise gewünscht dass sie stirbt, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Sie war wütend auf mich, dass ich ihr nicht helfen wollte zu sterben. Und trotzdem habe ich sie immer geliebt, wollte und war auch für sie da, bin über meine Grenzen gegangen. Am Ende, an meinem 18. Geburtstag, hat sie mich nicht mehr erkannt, wusste nicht wer ich bin. Einen Tag später ist sie eingeschlafen und ich war 10 Minuten zu spät.


    Das Ganze ist 6 Jahre her, ich habe eine Therapie gemacht und dachte, dass ich das alles so gut wie es eben möglich ist verarbeitet. Seit dem Tod meines besten Freundes vor einigen Monaten beschäftigt mich das Ganze wieder sehr. Ich frage mich, ob ich genug für sie da war. Ich fühle mich schuldig und furchtbar egoistisch, weil ich mir manchmal gewünscht habe, dass sie stirbt. Ich frage mich, ob ich mehr für sie hätte tun können. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich bei ihrem Tod nicht dabei war: Mein Vater rief mich an, dass ich so schnell wie möglich ins KH kommen soll - und ich habe nicht nachgedacht und erst noch 20 Minuten meine Schuldaufgaben gemacht, bevor ich gefahren bin. Ich hatte Angst, dass sie mich wieder nicht erkennt - das hat mich tags zuvor förmlich zerrissen. Im Nachhinein mache ich mir furchtbare Vorwürfe, dass ich nicht alles stehen und liegen gelassen habe, das andere Dinge wichtiger waren als meine sterbende Mutter.

    Nach meiner Therapie kam ich im Alltag gut klar, habe mein Abi gut gemacht, mein Studium begonnen und vor kurzer Zeit sehr gut abgeschlossen. Und trotzdem kommt immer wieder dieser große Schmerzen und der Wunsch, dass ich diesen Lebensabschnitt mit meiner Mama zusammen erleben könnte.

    Dazu kommt in letzter Zeit ein immer größer werdender Neid auf Freundinnen, die sich mit ihrer Mutter auf einen Kaffee treffen, die zusammen shoppen oder auf den Weihnachtsmarkt gehen. Ja, Neid, ich würde mir das auch so sehr wünschen. Ich vermisse sie so und wenn ich daran denke, dass ich sie nie mehr wieder sehen werde, zerreißt es mich förmlich.. ;(


    Ist das "normal"? Gibt es hier Menschen, die sehr ähnlich fühlen? Ich würde mich über einen Austausch sehr freuen!


    Liebe Grüße

    Jule

  • Für mich ist es gerade ein eigenartiges Gefühl das zu lesen. Irgendwie als würde man die Zeit vorspulen oder so. Meine Mutter hat Lungenkrebs und laut ihrer Aussage nicht mehr lange zu leben. einerseits würde ich nun gern Zeit mit ihr verbringen solange es noch geht aber andererseits bin ich sozusagen von Geburt an depressiv mal mehr und mal weniger und kann mich nicht permanent damit ausseinander setzen und Falle selbst so immer wieder in stärkere Depressionen in denen ich mehrere stunden nicht die Motivation habe irgendetwas zu tun und teilweise Wochen lang zu wenig Motivation für alltägliche Dinge habe. Wenn eine Möglichkeit nicht besteht will man das wohl umso mehr, so geht es mir zumindest, daher ist dein Neid denke ich nur natürlich.

  • Liebe Jule!


    Glaube mir, du bist normal, das ist normal.


    Den Neid kennt jeder und ich finde er steht einem in der Situation auch zu. Es ist ja auch einfach gemein vom Schicksal, dass manche so schwere Dinge erleben, andere wieder nicht.

    Dass die Gefühle zum Tod deiner Mutter jetzt wieder hoch kommen, ist sicher auch eine ganz normale Reaktion, da du jetzt wieder mit Trauer konfrontiert bist.

    Deine Schuldgefühle sind da, aber trotzdem hast du nichts falsch gemacht! Ich finde sogar, dass du bemerkenswert tapfer warst in deinem so jungen Alter.

    Es ist gut, dass du dir einen Ort suchst wo du dir alles von der Seele schreiben kannst.

    Hier versuchen wir alle uns gegenseitig zu unterstützen und so anzunehmen wie wir eben sind. Schön, dass du hier her gefunden hast!

    Lg Hedi

  • liebe Jule,


    erst mal will ich dich in diesem Forum herzlich willkommen heißen. Es ist gut, daß du den Weg hierher gefunden hast.Das Schöne hier, man kann über ALLES schreiben, muss nichts beschönigen, und findet immer ein offenes Ohr, Verständnis, Trost aber auch hin und wieder einen liebevollen "Tritt".

    Mir hilft dieser Austausch hier sehr und - ich übertreibe jetzt ganz und gar nicht - er hilft mir derzeit am Leben zu bleiben, zu überleben.


    Du hast schon so viel stemmen müssen in deinem Leben und es ist verdammt schwer,in so jungen Jahren seine Mutter zu verlieren und auch für sie verantwortlich zu sein. Ich kenne das aus meiner eigenen Erfahrung. Ich war noch einige Jahre jünger als du, als meine Mutter starb und auch ich fühlte mich für sie verantwortlich und musste mich um sie kümmern und sie versorgen. Meine Mutter war schwer depressiv und lag in der Zeit vor ihrem Selbstmord immer nur teilnahmslos im Bett. Und, liebe Jule, ich kann mich daran erinnern, ihr auch manchmal den Tod gewünscht zu haben, gedacht zu haben: "jetzt stirb doch endlich". Das war aber nicht weil ich sie tot sehen wollte, sondern ich wollte nur eine Änderung der Situation, wollte diese schlimme Hilflosigkeit nicht mehr spüren müssen...Dieser Wunsch war nur ein Zeichen meiner Überforderung. und in deinem Fall denke ich, dass du nicht nur Überfordert warst, sondern deine Mutter von ihrem LEIDEN, von den quälenden Schmerzen erlöst wissen wolltest.Ein Wunsch, der eigentlich nur deine Liebe zu ihr zeigt!

    Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es sein muss, wenn einem die eigene Mutter nicht mehr erkennt.:30:

    Jule, auch mich quält manchmal der Gedanke ZU WENIG für meine Mutter getan zu haben....Aber ich war ja damals noch ein Kind, und du warst auch erst 17/18. Was hätten wir anders/besser machen können? Ich denke, wir beide, haben das getan, was wir DAMALS konnten und das war, auch in deinem Fall, SEHR VIEL - und hat vieles von uns abverlangt. Sei daher bitte nicht so hart zu dir.

    Der Tod meiner Mutter liegt jetzt schon fast 40 Jahre zurück und vor einigen Monaten ist meine Freundin ( sie war hier auch Mitglied,rabelein) gestorben und seit dieser Zeit ist auch die Trauer um meine Mutter wieder aufgebrochen und es ist mir, als sei sie erst jetzt gestorben und als würde ich jetzt erst anfangen "richtig" , um sie zu trauern. und selbst jetzt, nach soviel Jahren, bin ich manchmal neidisch - ja SEHR neidisch - auf andere, die noch eine Mutter haben mit der sie noch was unternehmen können, die sie um Rat fragen können, mit ihr lachen und weinen können, von ihr kritisiert werden können... und ich bin immer irgendwie bestürzt, wenn andere über ihre Mutter schimpfen....


    Was ich eigentlich sagen möchte - und das haben meine Vorschreiber ja auch schon gesagt - :deine Gefühle sind ALLE NORMAL, vollkommen normal.


    Wenn du magst: fühl dich ganz fest und lang mit ganz viel Wärme in den Arm genommen und festgehalten.


    Alles Liebe dir


    blaumeise

  • liebe Jule, ich denke, du erlaubst mir, mich kurz an Jonas zu wenden


    Lieber Jonas,<3


    Ich freue mich so, wieder etwas von dir zu lesen.:8:

    Machs gut und halt die Ohren steif.

    Achte auf dich und versuche, deine Grenzen gut abzustecken und dich nicht zu überfordern und dich nicht "benutzen" zu lassen.


    Viel Kraft


    :24:

    blaumeise

  • Hallo an alle,


    Entschuldigt bitte, dass ich mich erst jetzt wieder melde. Ich weiß gar nicht wie ich euch für den lieben Empfang hier im Forum danken soll.. :2:

    Es tut unbeschreiblich gut zu wissen, dass man mit all dem nicht alleine ist, dass man trotz allem irgendwie doch "normal" ist und das meine Gefühle es auch sind.


    Vielen Dank für den interessanten Link. Über diese Phasen habe ich damals kurz nach dem Tod von meiner Mutter etwas gelesen, war damals aber noch viel zu nah an dem Geschehenen dran um alles verstehen zu können. Das ging jetzt besser - danke dafür!


    Liebe Blaumeise, ich danke dir von Herzen für diesen langen und einfühlsamen Text und für die Schilderung deiner Erfahrungen. Es tut mir leid, dass du auch schon so viel erleben musstest! Diese Gefühle kenne ich: Das Entsetzen, wenn andere schlecht über ihre Mutter reden, den Neid, die Wut - einfach alles.

    Schon meine Therapeutin sagte damals, dass ich zu hart mit mir umgehen würde (leider tue ich das häufiger) und ich alles getan hätte (und noch mehr) was damals möglich gewesen wäre.

    Und trotzdem fühle ich immer wieder auch die Wut auf meine Mutter, dass ich "wegen ihr" so viel meiner Jugend und der "besten Zeit meines Lebens" verpasst habe. Ich habe nach ihrem Tod angefangen mich selbst zu verletzen und war 4 Jahre lang essgestört. Das habe ich alle vollständig hinter mir gelassen, trotzdem hatte ich nicht das "normale" Leben eines jungen Erwachsenen, das ich mir immer gewünscht habe. Dabei kann sie für all das nichts, das weiß ich genau, denn sie hat es sich sicherlich nicht ausgesucht. Daher kommen auch meine Schuldgefühle..


    Ich habe am Freitag meine Therapeutin kontaktiert und im Gespräch gemerkt, dass es mittlerweile doch einige Dinge gibt, die ich in diesem Zusammenhang nochmal bearbeiten sollte/möchte. Sie hat mir angeboten nochmal für mich da zu sein, sodass ich ab dieser Woche nochmal einige Termine bei ihr wahrnehmen werde. Ich hoffe, dass mich das auch nochmal etwas weiter bringt :)


    Danke euch allen nochmal und euch ebenfalls alles Gute! Ich finde das Forum toll, hier werde ich auf jeden Fall weiter bleiben :2:

  • Liebe Jule,

    herzlich willkommen hier auch von mir!:24:

    Du bist ja schon sehr liebevoll von einigen Mitgliedern hier aufgenommen worden und ich möchte nochmal bekräftigen: Du bist absolut normal, alle deine Gefühle; Gedanken sind normal und auch o.k.

    Deine Schuldgefühle sind auch normal: Wir haben immer das Gefühl "zu wenig getan" zu haben, auch wenn das gar nicht stimmt. Ich bin mir sicher, du hast über deine Grenzen weg mehr getan als eigentlich deine Aufgabe gewesen wäre. Darum wiedehole ich mich jetzt, weil ich es fast jedem hier im Forum einmal sagen muss: Schuldgefühle zu haben, heißt nicht schuldig zu sein!:)


    Du erwähnst, dass vor ein paar Monaten dein bester Freund gestorben. Da ist es auch ganz normal, dass die "alte" Trauer um deine Mutter wieder aktiviert wird. Magst du uns erzählen, wie dein bester Freund gestorben ist und wie es dir mit deiner Trauer um ihn geht?


    In jedem Fall ist es super von dir, dass du so gut auf dich acht gibst und deine Therapeutin kontaktiert hast und dir frühzeitig Hilfe holst.

    Auch wir werden gerne für dich da sein und dich begleiten!


    Alles Liebe!

    Christine

  • Liebe Jule,


    ganz herzliche Grüße auch von mir, und mein Beileid zum Tod deiner Mutter.

    Dein Bericht hat mich sehr berührt.


    So viel ist schon gesagt worden, so viel Wahres.

    Ich habe meine Mutter verloren, da war ich fast doppelt so alt wie du, und ich habe es auch manchmal kaum mehr ausgehalten, wie sie gelitten hat, das nichts tun können, die Veränderung der Persönlichkeit...und wusste nicht woher die Kraft nehmen. Dafür brauchst du dich bestimmt nicht schlecht fühlen, du hast mehr als genug gegeben, finde ich.


    Aber natürlich kenne ich auch diese komischen Gefühle, so als könnte man den Menschen zurückholen, oder etwas ändern, was man ja nicht kann und was ja auch nicht nötig ist, denn mehr hättest du nicht tun können...


    meine Mutter starb im Hospiz, und ich bin dann auch nach Hause gefahren.

    Ich war auch beim Transport dorthin nicht dabei, ich musste mich einfach ausruhen (hatte auch ein kleines Kind). Ich bliebt dann wirklich länger am Nachmittag zu Hause nachdem ich sie dort besucht hatte, schrieb E-Mails an liebe Freunde, sogar Facebook Meldungen, was ich eigentlich sonst überhaupt nicht mache, ich musste mich ablenken, habe mich ausgerastet und habe geweint.

    Ich musste mich sehr überwinden und Kraft sammeln, um wieder hin zu gehen.

    Als wir dann hinkamen, war sie am Gehen.


    Ich fühlte mich sehr schlecht dass ich nicht die ganze Zeit bei ihr war, ich hatte es auch verdrängt dass sie nun sterben würde...oder vielleicht wusste ich auch nicht wie damit umgehen, hatte Angst davor.


    Mir hat dann eine Hospizmitarbeiterin gesagt, und das haben mir auch liebe Menschen hier wiederholt gesagt...

    dass gerade eine Mutter es braucht, um gehen zu können, dass ihr Kind (oder Kinder) auch mal nicht im Raum ist.

    Sicher auch bei anderen nahen Angehörigen, dass man den geliebten Menschen einfach nicht verlassen will, bei mir war es wie bei dir auch die Mutter.


    Und so wäre es für mich - als Mami- auch...ich würde einfach mein Kind nicht verlassen wollen.

    Vielleicht würde es mir auch zu weh tun. Ich würde da weniger an mich denken.


    Dieser Gedanke hat mir sehr geholfen, dass sie die Zeit alleine brauchte, um gehen zu können.


    Ich spreche dir auch mein Beileid aus zum Tod deines Freundes...wenn es passt und du magst - vielleicht willst du von ihm erzählen?


    Und ja, gut dass du eine gute "Anlaufstelle" für Hilfe hast...



    alles Liebe <3 und Gute dir weiterhin

    M.

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • Lieber Jonas,


    wie schön dich zu lesen - wie geht es dir und Luna?

    Magst du im Café o.ä. davon erzählen?


    Ja, ich wünsche dir alle Kraft um die richtige Balance zu finden zwischen dem da sein und dem da sein können für deine Mutter. Sie würde bestimmt nicht wollen, dass du etwas tust, dass dich dann aus der Bahn wirft...überlege dir vll. einfach, was dir wichtig ist... in der noch verbleibenden Zeit...was du dir wünschst, und du kannst natürlich auch deine Mutter fragen, was sie sich wünscht?


    Ganz liebe Grüße,

    M. <3

    Die Wahrheit triumphiert nie, nur ihre Gegner sterben aus (Max Planck)


    rilke.de/briefe/160703.htm


    VORÜBUNG FÜR EIN WUNDER


    Vor dem leeren Baugrund
    mit geschlossenen Augen warten
    bis das alte Haus
    wieder dasteht und offen ist

    Die stillstehende Uhr
    so lange ansehen
    bis der Sekundenzeiger
    sich wieder bewegt

    An dich denken
    bis die Liebe
    zu dir
    wieder glücklich sein darf

    Das Wiedererwecken
    von Toten
    ist dann
    ganz einfach

    (Erich Fried)

  • liebe Jule<3:24:<3:30:<3


    da ist so viel weises...liebevolles ...richtiges geschrieben worden von meinen Vorgängerinnen<3<3<3<3<3 und Jonas<3

    dass ich jetzt wirklich einfach schreibe


    du bist in einem forum...wo du dich mit ALLEN Emotionen :!:<3 geborgen und aufgehoben fühlen kannst

    fühle dich VERBUNDEN umarmt<3:24:<3:30:<3

    deine Claudia Amitola

  • Hallo ihr Lieben,


    vielen Dank auch an Amitola, Nebelfrau und Christine für den warmherzigen Empfang hier :2:

    Nebelfrau, ich danke dir für die Schilderung deiner eigenen Erfahrungen. Es tut mir sehr leid, dass du diese Situationen miterleben musstest. Dennoch tut es mir irgendwo auch "gut", mit diesen Gedanken, Gefühlen und allen weiteren Emotionen nicht mehr alleine zu sein, sondern zu sehen dass es Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Das ist bei mir im Freundeskreis kaum der Fall bzw. rede ich dort natürlich auch kaum über das Thema bzw. über die Gedanken, die mich beschäftigen. Es wäre eine zu große Überforderung für meine Freunde, was ja auch völlig verständlich ist.

    Das was du ansprichst, nämlich dass viele Menschen erst gehen können wenn sie alleine sind, war eines der ersten Dinge die der Arzt zu mir gesagt hat. Er sagte, dass er in den Raum kam, meinem Vater gesagt hat dass meine Mutter den Tag nicht mehr schaffen wird und er uns Kindern bescheid sagen soll. Daraufhin hätte meine Mutter für einen Moment plötzlich anders geatmet und sei innerhalb von ein paar Minuten sanft eingeschlafen - viel schneller als es irgendjemand gedacht hätte.. Ich versuche es also auch so zu sehen, dass es ihr vielleicht sogar ein wenig geholfen hat, dass ich nicht da war - wer weiß?


    Der Tod meines besten Freundes ist wie gesagt erst wenige Monate her und war ein weiterer schwerer Schlag für mich. Wir kannten uns 23 Jahre lang, waren wie Geschwister, uns konnte nichts trennen - bis es zu dieser Motorradfahrt im September kam. Wir fahren beide leidenschaftlich gerne Motorrad und fuhren unsere Lieblingsstrecke. Er fuhr wieder einmal am oberen Geschwindigkeitslimit, fing plötzlich an leichte Schlangenlinien zu fahren, geriet dann auf die Gegenfahrbahn und wurde frontal von einem Auto erfasst. Ich habe alles gesehen und konnte nichts tun. Wir versuchten ihn wiederzubeleben, bevor der Krankenwagen kam - es konnte ihm keiner mehr helfen ;(

    Auch hier stellt sich mir so oft die Frage, ob ich irgendetwas hätte tun können.. Ich weiß dass dem nicht so ist, aber diese Hilflosigkeit ist furchtbar. Ich träume jede Nacht davon, sehe die Bilder vor mir :13:

    Vor 6 Jahren habe ich 4 Freunde bei einem Autounfall verloren (der Unfall ging durch die Medien. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht sagen, da ich meine Anonymität wahren möchte). Ich verstehe das nicht, wieso passiert mir das alles? Manche Menschen sagen, dass das meine "Lebensprüfung" sei und alles im Leben irgendwie und irgendwann einen Sinn macht. Aber wie soll das Sinn machen? Ich habe innerhalb von 6 Jahren meine Mutter, meinen besten Freund und 4 Freunde verloren. Das klingt wie in einem schlechten Film und so fühle ich mich manchmal auch, aber so ist es leider nicht.. :13:


    Ich weiß jetzt besser, dass meine Gefühle normal sind. Und trotzdem wünsche ich mir im Moment einfach wieder (wie ganz viele sicherlich) die Vergangenheit hinter mir zu lassen, abschließen zu können. Ich bin durch die Geschehnisse sehr erwachsen für mein Alter - teilweise viel zu erwachsen, womit auch meine Freunde manchmal Schwierigkeiten haben. Ich möchte ein ganz normales Leben haben :(


    Entschuldigt den langen Text. Es tut unheimlich gut in diesem Forum zu schreiben. Danke euch allen!

  • liebe Jule<3


    leider :huh: für mich und ich denke auch vielleicht ein bisschen für dich, schreibst du deine berührenden und sooooo immens wichtigen Texte am abend, wo ich leider schon etwas müde bin... sorry<3:24:<3

    Gerade heute schreiben hier ja ganz viele über Schuldgefühle haben und nicht haben wollen und dennoch haben...

    Ich glaube , auch durch sehr viel erlebtem Abschied nehmen müssen:!: dass wir immer uns zumindest leicht schuldig fühlen...


    Für MICH ist es die ....mmmmh Gesellschaft, also wir Menschen , ....dass wir aus ethischen Prinzipien heraus

    die FürSORGE ...das VerBUNDENSEIN... auch so interpretieren, das wir etwas für den andern geliebten Menschen machen können...

    ihm etwas abnehmen können..

    ihm helfen können. ...

    Unsere Logik sagt uns ja , das dass nicht geht..

    .aber unser Herz, unser Gefühl ...haaaach , das will alle schmerzhaften Ereignisse nicht zulassen...

    Jedes Gefühl ist ja Energie ...

    und ja, die können wir "umwandeln" und dadurch "wandeln" wir uns....werden "erwachsener " ;) "reifer";)


    Vielleicht kannst du mit diesem Gedankenkonstrukt etwas anfangen?


    Es muss nicht unbedingt als Schicksalsplan... oder Karma.... oder "Erbsünde" ... angesehen werden...

    Könntest du dir vorstellen , dass es "eine Seele im unbegrenzten Universum " gibt? ....

    die ein SEIN hinter allem SEIN ist...?

    das ist meine momentane innere Einstellung....

    ALLes ein kosmischer "Tanz"...


    Das nimmt einem nicht völlig alle Schuldgefühle ,

    gibt aber mir das Gefühl

    das ALLES ein LEBENSTANZ ...eine LEBENSENERGIE hervorbringt....

    und mir damit mehr FRIEDEN....

    Ich wünsche dir MIT der Zeit mehr FRIEDEN

    deine Claudia Amitola

  • Liebe Amitola,


    danke für deinen Text. Du hat sicherlich recht, dass abends nicht mehr so viele antworten. Das ist auch ok, ich schaffe es leider nicht früher. Tagsüber bin ich sehr viel in der Uni und abends ist dann eben der Zeitpunkt, an dem diese Gedanken und Gefühle mit Wucht zum Vorschein kommen, an dem sie mich nicht mehr loslassen und damit eben auch der Zeitpunkt, an dem ich hier schreibe.

    Vielleicht schaffe ich es ja demnächst mal auch früher zu schreiben :5:

  • ooooooooh liebe Jule<3

    das war KEINESWEGS so gemeint...<3<3<3<3<3SORRY

    wenn du das so interpretiert hast...

    Ja , das ist wirklich die Crux beim NUR schreiben...


    Es ist ganz NORMAL , das gerade ABENDS die meisten Gedanken ...Lebensgefühle "herauskommen"

    also ....

    du DARFST IMMER ganz ENTSPANNT am ABEND schreiben ...

    jetzt dennoch gelich

    Gute Nacht Umarmung<3:24::30:<3

    D machst ALLes richtig fühlst AllES richtig<3:!:<3:!:<3:!:

  • Liebe Jule,

    zuerst <3lich willkommen, auch von mir.

    Deine Geschichte hat mich angerührt. Ich freue mich, dass du den Weg zu uns gefunden hast.

    Du brauchst dich nicht zu entschuldigen - lange Texte gehören hier dazu. Wenn man sich was von der Seele schreibt, dann schreibt es einem manchmal einfach. Wir haben hier kein Limit.

    Und auch, was die Zeit anbelangt. Claudia Amitola wollte - wie sie selber ja auch schon schrieb - nur ausdrücken, dass ihre Antwort auf Grund der Müdigkeit eher kurz ausfallen wird.

    Du bekommst vielleicht spät Abends nicht direkt eine Antwort, doch du hast es geschrieben und es wird hier festgehalten. Alle können zu ihren Zeit antworten. Das ist der Vorteil des virtuellen Forums.


    Es wäre eine zu große Überforderung für meine Freunde, was ja auch völlig verständlich ist.

    Ja, das Umfeld ist überfordert. Ich bin der Meinung, dass Menschen gefordert werden dürfen. Hast du schon mal daran gedacht, dass

    auch du überfordert bist? Oft kann es helfen, wenn die Freunde eine to-Do oder Don't Anleitung bekommen. Es gibt wunderschöne Texte, die ausdrücken, was Trauernde brauchen oder auf keinen Fall wollen.

    Viele Menschen, die im Umfeld sind, sind dankbar, wenn sie wissen, was sie tun können oder nicht tun sollen.


    Liebe Jule, ich wünsche dir einen erträglichen Tag

    sei lieb gegrüßt

    Astrid.

  • Hallo ihr Lieben,


    vielen Dank für alle Antworten, entschuldigt bitte, dass ich mich länger nicht gemeldet habe.


    Liebe Claudia, ich habe dich nicht falsch verstanden oder mich angegriffen gefühlt, mach dir da gar keine Gedanken. Trotzdem sehr lieb, dass du nochmal geschrieben hast, dass du mich gerne liest - danke dafür :2:


    Liebe Astrid, auch dir vielen lieben Dank für die lieben Willkommensgrüße. Du hast sicherlich recht mit dem was du geschrieben hast, wobei ich zumindest das mit den Do's und Don'ts bereits gemacht habe - ohne Erfolg. Ich glaube bzw. weiß, dass einige mit meiner "Wesensveränderung" nicht zurecht gekommen sind. Denn das Problem habe ich nur mit einigen wenigen Freunden, die mich bereits vor der Krankheit von meiner Mutter kannten und mir regelmäßig vorwerfen, ich hätte mich so verändert. Die Freundinnen, die mich erst seit 4-5 Jahren kennen, wissen nicht wie ich vorher war und schätzen mich so wie ich bin :)


    Ich hatte seit meinem "Neustart" bei meiner Therapeutin bisher zwei Gespräch und merke, dass es für mich der richtige Weg sein wird - auch wenn dieser nicht einfach werden wird. Ich merke, dass ich schon sehr viel verarbeitet habe - aber genau so, dass da noch Dinge sind, die nochmal genauer angeschaut werden wollen.

    Die letzten Tage wiederum taten unheimlich weh: Mein Vater wird dieses Jahr heiraten.. Auf der einen Seite freue ich mich sehr für ihn, andererseits ist es ein sehr schmerzhafter Gedanke. Ich werde wohl Zeit brauchen, um mich damit zu arrangieren. Gleichzeitig war gestern der Geburtstag meines verstorbenen besten Freundes und die Geburt meines Neffen. Leben und Tod liegt manchmal so nah beieinander..


    Mal schauen wie es weitergeht :)

  • Liebe Jule,

    dass du dich veränderst, das ist doch klar. So einschneidende Ereignisse und der Weg durch die Krankheit und die Trauer verändern. Meistens verändern sie sogar dahin, dass wir mehr wir selbst werden. Würdest du dich nicht verändern, würdest du die Trauer nicht annehmen.

    Es ist schön, dass da auch Freunde sind, die dich nehmen, wie du jetzt bist.

    Ich wünsche dir, dass die Therapie schwer und heilsam ist. Ich wünsche dir, dass du die Freude über die Hochzeit auch für dich spüren kannst und nicht nur für deinen Vater.


    Sei lieb gegrüßt.

    Astrid.

  • Liebe Jule,

    herzlich willkommen auch von mir. Dass sich im Freundschaftskreis nach einem Trauerfall viel ändert, dass alte Freundschaften in die Brüche gehen, sich auflösen und neue Freundschaften entstehen, das ist ein typisches Muster im Trauerprozess. Das ist zwar zunächst verletzend, aber letzten Endes gewinnt man: Neue Freunde, die auch dann bei dir bleiben, wenn du nicht gut drauf bist. Es bleiben vielleicht weniger Freunde übrig, diese sind dann aber echt und beständig. Man kommt drauf, dass viele der früheren Freundschaften eher oberflächlich waren.

    Alles Liebe und Gute für die Therapie und überhaupt!

    Christine