Hallo,
ich habe mich neu hier angemeldet und weiß ehrlich gesagt gar nicht genau warum eigentlich.. Ich glaube ich suche Menschen, mit denen ich mich ein bisschen austauschen kann, da dies in meinem Alltag kaum möglich ist. Das ist sicherlich auch meinem Alter geschuldet: Mein Name ist Jule, ich bin 24 Jahre alt und habe meine Mutter vor 6 Jahren und 4 Monaten verloren. Einen Tag nach meinem 18. Geburtstag, den sie unbedingt noch erleben wollte und für den sie gekämpft hat, ist sie eingeschlafen.
Ziemlich genau ein Jahr vorher gab es die Diagnose Lungenkrebs. Mit 46, Nichtraucherin, nie Alkohol und immer gesund gelebt. Natürlich stellt man sich die Frage, ob das fair ist - aber danach fragt niemand..
Es war ein Jahr mit viel Auf und Ab, der Tumor saß im rechten Lungenflügel, wurde in einer OP komplett entfernt. "Ihre Mutter wird wieder ganz gesund, der Tumor konnte vollständig entfernt werden und hatte noch nicht gestreut". Ein paar Monate später kam meine Mutter mit starken Schmerzen ins Krankenhaus. Das Ergebnis: Metastasen in der Lunge und der Leber. Nach zahlreichen Chemos und Bestrahlungen der noch größere Schock: Nichts von beidem schlägt an, die Art der Tumorzellen scheint völlig resistent gegen jegliche Art von Chemo und Bestrahlung. Man konnte nichts mehr tun.
In den nächsten Wochen kamen Metastasen im Kopf, in den Knochen und am Herzen dazu. Sie hat gelitten, wollte aber partout nicht ins Krankenhaus. Mein Vater holte sie nach Hause (irgendwo verständlich, aber auch völlig verantwortungslos), war aber selbst oft arbeiten, sodass ich mit 17 Jahren für sie verantwortlich war - was mich natürlich völlig überfordert hat. In den nächsten Monaten musste sie immer wieder ins KH, es ging ihr zunehmend schlechter. Sie wurde depressiv, ich war ebenfalls Angriffspunkt ihrer Verzweiflung und ihrer Launen, habe mir sogar teilweise gewünscht dass sie stirbt, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Sie war wütend auf mich, dass ich ihr nicht helfen wollte zu sterben. Und trotzdem habe ich sie immer geliebt, wollte und war auch für sie da, bin über meine Grenzen gegangen. Am Ende, an meinem 18. Geburtstag, hat sie mich nicht mehr erkannt, wusste nicht wer ich bin. Einen Tag später ist sie eingeschlafen und ich war 10 Minuten zu spät.
Das Ganze ist 6 Jahre her, ich habe eine Therapie gemacht und dachte, dass ich das alles so gut wie es eben möglich ist verarbeitet. Seit dem Tod meines besten Freundes vor einigen Monaten beschäftigt mich das Ganze wieder sehr. Ich frage mich, ob ich genug für sie da war. Ich fühle mich schuldig und furchtbar egoistisch, weil ich mir manchmal gewünscht habe, dass sie stirbt. Ich frage mich, ob ich mehr für sie hätte tun können. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich bei ihrem Tod nicht dabei war: Mein Vater rief mich an, dass ich so schnell wie möglich ins KH kommen soll - und ich habe nicht nachgedacht und erst noch 20 Minuten meine Schuldaufgaben gemacht, bevor ich gefahren bin. Ich hatte Angst, dass sie mich wieder nicht erkennt - das hat mich tags zuvor förmlich zerrissen. Im Nachhinein mache ich mir furchtbare Vorwürfe, dass ich nicht alles stehen und liegen gelassen habe, das andere Dinge wichtiger waren als meine sterbende Mutter.
Nach meiner Therapie kam ich im Alltag gut klar, habe mein Abi gut gemacht, mein Studium begonnen und vor kurzer Zeit sehr gut abgeschlossen. Und trotzdem kommt immer wieder dieser große Schmerzen und der Wunsch, dass ich diesen Lebensabschnitt mit meiner Mama zusammen erleben könnte.
Dazu kommt in letzter Zeit ein immer größer werdender Neid auf Freundinnen, die sich mit ihrer Mutter auf einen Kaffee treffen, die zusammen shoppen oder auf den Weihnachtsmarkt gehen. Ja, Neid, ich würde mir das auch so sehr wünschen. Ich vermisse sie so und wenn ich daran denke, dass ich sie nie mehr wieder sehen werde, zerreißt es mich förmlich..
Ist das "normal"? Gibt es hier Menschen, die sehr ähnlich fühlen? Ich würde mich über einen Austausch sehr freuen!
Liebe Grüße
Jule