Auf der Suche nach neuer Kraft

Hallo ihr Lieben,

ich möchte euch allen von ganzem danke sagen.

Ihr alle tragt mich durch eine - mich zusätzlich zu meiner Trauer - sehr herausfordernden Zeit.

Lieber Uwe,

bitte entschuldige, dass ich dir erst heute auf dein Angebot antworte.

Ich saß gestern ganz lange auf einer Bank und habe nachgedacht.

Dein Angebot ehrt mich. Ich weiß, dass es aus tiefem Herzen kommt und ich weiß es sehr zu schätzen.

Von daher war mein erster Gedanke: "oh wie schön!!"... doch dann kamen leichte Zweifel, Bedenken, Angst und ich fragte mich: "Darf ich mich dir eigentlich zu-muten.? Darf ich meine Ängste noch in deinen schon soo schwer beladenen Rucksack mitreinpacken.?

Und das täte ich, denn in einem Telefongespräch kämen mehr Dinge zur Sprache, als ich hier im Forum schreiben würde. Wäre das für dich nicht zu belastend? Du hast doch selbst schon viel durchgemacht...Hast nicht nur Rosi sondern auch u. a Brigitte und Elizabeth durch ihre Krankheit begleitet.

Würde dich das nicht allzu sehr triggern?

Es ist ein Unterschied - glaube ich - ob man sich liest / schreibt oder ob man miteinander telefoniert. Beim Lesen kann man sich zwischendurch ausklinken.. später weiterlesen.. .wenn man es gerade nicht aushält Beim Schreiben kann man in Etappen schreiben (mach ich oft hier) ...

Aber beim Telefonieren geht das nicht so leicht. Da ist der andere, - weil sehr dünnhäutig - leicht verletzt oder gekränkt, wenn man abbricht oder auf "später" verschiebt... Und so telefoniert man weiter, weil man eben nicht verletzen will bzw sich verpflichtet fühlt...

Und das wäre das allerletzte was ich möchte: dass du dich mir gegenüber irgendwann verpflichtest fühlst. Dass du, wenn ich voller Angst bei dir anrufe, es nicht fertig bringst zu sagen: "Stop, meine liebe blaumeise, jetzt will ich aber schlafen" (wenn ich nachts anrufe, weil ich nicht auf die Uhr schaue)... oder "im Augenblick ist mir alles zuviel..."

Das ist beim Lesen/Schreiben eben anders. Da kann man einfach mal pausieren.

Andererseits ist ein direkter Kontakt viel schöner.

Man hört die Stimme (aus der man viel herauslesen kann), man kann nachhaken, wenn Missverständnisse drohen, man kann dem anderen nicht so schnell etwas "vormachen", man spürt die Emotionen besser.

Man ist sich halt viel näher.

Und das ist ein ganz wichtiger Punkt bei mir.

Man ist sich näher

Das lieber Uwe.. das macht mir immer ANGST...

dieses sich "näher sein" (seelisch meine ich)

Da habe ich große Probleme mit. Riesengroße!

Daher gebe ich auch so ungern meine Anonymität auf.

Uwe das hat nichts mit dir als Person zu tun.

Ich bin ein gebranntes - fast könnte ich sagen - ein nahezu verbranntes Kind.

Ich habe sehr schlechte Erfahrungen gemacht.

Auch in diesem Forum. Ich schreibe auch seit dieser Zeit hier keine Konversation mehr. Blocke diesbezüglich alles ab.

Nur einer Person habe ich seit dieser

"Sache" geantwortet.

Wie du siehst bin ich zweigeteilt.

Vielleicht sind meine Gedankengänge aber auch etwas krude. Doch so sieht es zur Zeit in meinem Innern aus.

Ein großes Kuddelmuddel.

Unterm Strich würde ich mich aber über eine Konversation von Dir SEHR freuen!!

Vielleicht kannst du mir deine E-Mail

Adresse schicken, damit wir, falls einer von uns, aus welchen Gründen auch immer, hier nicht mehr schreiben sollte, nicht aus den Augen verlieren. Das fände ich schade...

Überlege dir das gründlich mit der Telefonnummer. Ich würde mich freuen.

Aber nur unter der Bedingung, dass du dich auch gut abgrenzen kannst, denn wenn ich Angst habe, dann bin ich sehr "anhänglich". Ach ja, Angst habe ich vorzugsweise nachts!

Ob ich mich dir zumuten kann, kannst wahrscheinlich nur du selbst entscheiden. Das steht mir nicht zu.

Bei vielen deiner Berichte die du Anfangs geschrieben hast, habe ich mir oft gedacht :"ach Uwe, pass bitte auf dich auf. Grenze dich ab. Mute dir nicht zuviel zu. Sorge in erster Linie für dich und nicht NUR für die anderen."

Ich beziehe mich jetzt auf die "Besucher" bei dir, die dich vereinnahmten und wie ich damals fand, auch ausnutzten.

Du hattest ein großes, weites Herz für alle. Warst für alle da. Sie durften bei dir wohnen.. . Erinnerst du dich?

Ich dachte oft: "Uwe, wo bleibst du dabei"

"Vergiß dich nicht. "

Ich glaube, ich habe dir das damals auch geschrieben.

Ich weiß, anderen zu helfen, hilft einem auch selbst. Gibt Kraft. Aber manchmal zehrt es auch, laugt aus. Es ist ein schmaler Grat zwischen beidem.

Jetzt habe ich sehr viel unzusammenhängendes geschrieben.Sorry.

Bin heute aber auch ein bisschen durch den Wind. Habe heute früh wieder mit der Chemo weitergemacht. Es geht immer zwei Wochen lang täglich morgens 3 und abends 4 Tabletten und dann eine Woche lang Pause - wenn ich Glück habe nur bis zum Sommer, Wenn ich Pech habe länger... und wenn ich ganz großes Pech habe, müssen wir abbrechen.

Heute früh lagen insgesamt (mit Chemo) 16 Tabletten in der Tagesbox. Habe die 4 Chemotabletten soooo widerwillig genommen - hat mich richtig angeekelt... war schon satt vom bloßen hinsehen... Aber Sohnemann sagte: "gewöhnst dich wieder dran." Hoffe, er hat Recht. Er nennt sie übrigens : dein Naschzeug. Gummibärchen oder Schokolade wären mir allerdings lieber!!!!....

Uwe, ich bin sehr glücklich, dich als Freund zu haben. Mit oder ohne Telefonnummer...!

blaumeise

Danke liebe Gabi

und ja, du hast Recht:

"Heilung ist keine Einbahnstraße".

Werde ich mir merken!

Alles, alles Liebe

blaumeise

Kurz vor der Coronakrise habe ich mir ein Buch mit Gedichten einer meiner Lieblingsdichterinnen gekauft und vorhin folgendes Gedicht gefunen.

Ich hoffe, es spricht euch auch an.

"Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe

All meine Einsamkeit auf dies Papier.

Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.

Die Maienandacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht da bist, ist der Bäume Blühen

Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,

Der Nachtigallen Liebesmelodie

Nur in Musik gesetzte Ironie.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.

Aus fremden Augen starrt die Nacht mich an

Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,

Dem ich nicht folgen kann.

Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirm;

Den Herbst im Herzen. Winter im Gemüt.

November singt in mir sein graues Lied.

"Weil du nicht da bist" flüstert es im Zimmer.

"Weil du nicht da bist" rufen Wand und Schränke.

Verstaubte Noten über dem Klavier.

Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke

Die Dinge um mich reden nur von dir.

Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen

Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.

Mein Lachen Liebster, ist dir nachgereist.

Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.

Mascha Kaleko

Liebster Klaus, gerade heute vermisse ich dich so sehr.

Warum hast du nicht genug auf dich aufgepasst?

Du warst doch mein Fels in der Brandung.

Jetzt fühl ich mich so einsam.

Guten Morgen,

gestern war ein sehr schlimmer Tag für mich. Ich bin gefühlsmäßig zusammengebrochen und hatte einen richtigen Heulkrampf. Wegen einer Nichtigkeit!

Ich saß auf einem Baumstumpf als mich dort ein Vögelchen besuchte...und ich wußte den Namen des Vogels nicht... Statt diesen Besuch zu genießen, zu beobachten, zermarterte ich mir nur den Kopf, suchte verzweifelt nach dem Namen und bekam schlußendlich einen schlimmen Heulkrampf.

Nur, weil ich den Vogel nicht bestimmen konnte!

Das wäre früher nicht passiert. Früher hätte ich zuhause in einem meiner Bücher nachgeschaut und gut wärs dann gewesen. Gestern hat mich dieses Nicht-Wissen vollkommen umgehauen.... Noch Stunden später tat mir vom Weinen alles weh.....

Heute morgen ist meine Sehnsucht nach Klaus ganz besonders groß.

Ich vermisse unsere Ausflüge in die Natur. Ich vermisse, gemeinsam mit ihm auf einem Baumstamm oder auf der Erde oder auf einer Bank zu sitzen und dabei sein : "Hast du das gesehen?", "Riechst du das"?, "Hörst du das?" zu hören.

Ich vermisse seine langen Monologe über Pflanzen, Bäume, Tiere. Oft fand ich das schön ( ich habe soviel dabei gelernt! ) aber sehr, sehr oft haben mich diese Monologe genervt.

Draußen in der Natur bin eher der schweigsame Typ. Rede nicht allzuviel. Sitze lieber ganz still und ruhig auf einer Lichtung, schaue und fühle lieber. und hasse das "Zerreden", während Klaus gerne dabei dozierte..

(er wusste halt auch sehr viel)

Was gäbe ich heute darum, wenn er wieder dozieren würde....

Liebend gerne würde ich jetzt stundenlang seinen Vorträgen lauschen. Ich würde es genießen.!!!

Aber es geht nicht mehr. NIE MEHR!

Klaus war Landschaftsgärtner aus Berufung.

Nachdem er aus Krankheitsgründen aufhören musste, fuhr er mit mir sehr oft zu seinen alten Wirkstätten. Um sie mir zu zeigen, um zu sehen, wie sich alles entwickelte.... Und auch da hielt er liebend gerne Vorträge...

Auch diese Fahrten vermisse ich und ich ertappe mich des öfteren dabei, beim spazieren gehen zu denken: "die Bäume müssten aber geschnitten werden", "was haben die da gemacht? Das hätte man aber besser lösen können".....

Ich betrachte so langsam die Natur mit seinen Augen, den Augen eines Landschaftsgärtners - jetzt, wo Klaus tot ist...

Aber Klaus hat nicht nur "Vorträge" gehalten.

In Zeiten, in denen ich ganz tief in meinen Depressionen gefangen war, setzte er mich einfach ins Auto und fuhr mit mir zu den schönsten Plätzen in der Natur und saß lange schweigend neben mir. Täglich!

Er saß auch neben mir, , als ich wieder, unter einem Baum sitzend und an den Stamm angelehnt, sehen und fühlen konnte, dass der Himmel blau und der Baum grün war.

Natürlich sah ich vorher auch, dass der Himmel blau war. Aber an diesem bestimmten Tag war anders blau. Richtig blau! Ich kann das nicht mit Worten erklären.

Ich war einfach wieder da - hier, bei den Lebenden.

Spürte... sah wieder.... Diesen Tag werde ich NIE

vergessen!!

Ich bin überzeugt, dass diese Ausflüge in die Natur mit Klaus sehr viel dazu beitrugen

Er war damals sehr hartnäckig. Sah über meine Widerstände hinweg, packte mich trotz Protest einfach ins Auto....

Dafür bin ich ihm soo dankbar.

Dadurch hat er mir geholfen, wieder ins Leben zurückzufinden...

Wieder zu sehen: der Himmel ist blau, der Baum ist grün, ein Mensch lächelt...

Wie gesagt, ich kann das nicht in Worten beschreiben.

Dieser Zustand hielt nicht lange an. Wiederholte sich aber oft und dauerte immer länger....Und jetzt ist es fast durchgehend so. Ich will leben.!

Muss jetzt aufhören. Es kommen wieder Tränen - aber es ist kein Heulkrampf.

Sorry, aber ich hatte jetzt den Drang, euch alles zu erzählen

blaumeise

l

Liebe Gabi,

Deine Worte tun mir sehr gut.

Gemeinsam sind wir stark!

Dieses Forum ist für mich wie ein Rettungsring. Wir können uns festhalten und gehen nicht unter.... Jeder ist für den anderen da.

Ich schicke viele gute Gedanken zu dir.

blaumeise

"Der Schmerz den ich jetzt fühle, ist das Glück, das ich davor hatte"

L. S. Lewis

Schick mir keinen Engel

der alle Dunkelheit bannt

aber einen

der mir

ein Licht anzündet.

Schick mir keinen Engel

der alle Antworten kennt

aber einen

der mit mir die Fragen aushält.

Schick mir keinen Engel

der alle Schmerzen wegzaubert

aber einen

der mit mir

Leiden aushält.

Schick mir keinen Engel

der mich über die Schwelle trägt

aber einen

der in dunkler Stunde

noch flüstert

Fürchte dich nicht.

Elisabeth Bernet