Liebe Lilifee,
Ein wunderschöner Liedertext und ja, den hatte ich auch direkt im Kopf.
Nein, nein, das ist nicht zu persönlich und ich kann gerne darauf antworten, auch wenn das hier im öffentlichen Bereich ist.
Ich denke, dass wir in diesem Horizont etwas anderes sehen, zumindest was mich aktuell angeht.
In diesen Überlegungen sehe ich den Horizont nicht als den Punkt, an dem Thomas auf mich wartet. Wenn dem so wäre, dann würde ich das sicherlich genauso sehen, wie du, voller Licht und nicht im Nebel.
Wenn ich in diesen Zusammenhängen - losgehen, aufbrechen, weitergehen - von dem Horizont rede, dann ist das mehr der Punkt meines Lebens, den ich grad nicht vorhersehen kann.
Obwohl da auch eine Unlogik in der Wurzel selbst liegt, denn seit knapp vier Monaten weiß ich sehr schmerzhaft das das, was man "früher" so als Binsenweisheit acht- und sorglos geplappert hat, nämlich, dass man nie weiß, was die Zukunft bringt, nicht nur ganz allgemein, sondern sogar für eine halbe Stunde in die Zukunft nur zu wahr ist.
Aber genau das ist der Horizont. Ob er jetzt nur eine halbe Stunde entfernt ist oder Stunden, Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte, das weiß ich nicht.
Dazu meine ich zudem auch nicht, dass der Horizont das Ende ist, sondern eben einfach der Punkt, ab dem man nicht mehr sofort sieht, was dahinter liegt.
Diese Ungewissheit, die mich "früher" immer neugierig gemacht hat, ist jetzt zu einem Teil einer ängstlichen Vorsicht gewichen.
Wenn man mich "früher" angesprochen hat, ob ich Angst vor dem Tod habe, dann war meine Antwort immer voller Überzeugung: Nein, Aber ich habe Angst davor nicht mehr zu leben, weil ich viel zu neugierig bin auf das Leben.
Ich denke, da ist ein großer Unterschied zwischen Tod und "nicht mehr leben" in dem Zusammenhang, so wie ich das immer gemeint habe.
Dieser ganz große kleine oder kleine ganz große Unterschied ist seit knapp vier Monaten zu einem sehr verworrenen Konstrukt geworden.
Denn Thomas ist tot. Aber ist es auch so, dass er nicht mehr lebt? Ich meine jetzt nicht im medizinischen Sinne, natürlich. Aber er lebt noch. In mir und in allen anderen, die an ihn denken und denen er etwas bedeutet hat.
Wie kann ich also dann mit diesem Gedanken im Hinterkopf noch auf die Frage, ob ich Angst vor dem Tod habe, antworten?
Ich habe mir die Frage schon gestellt, eben genau vor dem Hintergrund. Und Stand heute wäre meine Antwort: Nein, habe ich nicht. Aber es wäre mir egaler, wenn ich es wäre, als es "früher" war - aber ... und hier kommt ein ganz großes Aber: Was, wenn ich dann nicht mit Thomas zusammen wäre?
Ich bin eigentlich überzeugt davon, dass wir wieder zusammen sind, aber ich habe eben Angst davor, dass es doch nicht so ist, warum auch immer. Weil eine Überzeugung keine Gewissheit ist.
Und gleichzeitig habe ich auch Angst davor, wie dieses Leben ohne ihn weitergeht. Ich bin nicht neugierig darauf, was ich an einem bestimmten Tag im Jahr 2036 oder zwei Jahre und drei Tage später im Jahr 2038 machen werde, wie dieser Tag wird.
Noch vor vier Monaten war ich das. Ich war neugierig darauf, wie sich der rote Luftballon anfühlen würde, ob wir spazieren gehen, wo das sein wird. Würde es mein Geburtstag sein, oder seiner? Oder beide? Ich war neugierig drauf. Freudig neugierig.
Jetzt bin ich es nicht mehr, denn ich werde diesen Luftballon nicht bekommen, nicht so, wie es geplant war.
Und hier liegt die eigentliche Antwort auf deine Frage, warum ich ein wenig Angst davor habe, vor dem Horizont: Weil ich zwar nicht weiß, was dort ist und vielleicht sogar ein Stück weit immer noch neugierig bin, aber dafür ganz genau weiß, was nicht dort ist: Dort ist kein "wir sind gemeinsam alt geworden und machen noch ein paar Jährchen als coole Alte weiter" und stattdessen ist dort ein großes Nest mit "nie wieder".
Falls das jetzt alles etwas wirr klingt, dann liegt das daran, dass mein Hirn öfter mal solche merkwürdigen Windungen geht. Vielleicht auch ein Sinnbild für die verworrenen Wege ...