Ihr Lieben,
und es gibt auch eine eher stillere Freude.
Ich besuchte gestern im Rahmen meines Ehrenamtes Frau H. im Seniorenheim. Vergangene Woche gab mir ein wahrer Engel in diesem Haus endlich einmal ein paar Ideen mit auf den Weg, wie ich der Dame eine Freude machen kann. Sie ist schwerhörig, dement, kann sich nicht mehr ohne Hilfe fortbewegen und beim Sprechen kaum zu verstehen. Dass sie Blumen liebt, habe ich bereits herausgefunden und als ich ihr einmal eine "Damals"-Zeitschrift mitbrachte, merkte sie angesichts Romy Schneider in jungen Jahren, Ingrid Bergmann, Grace Kelly, Udo Jürgens usw. sichtbar auf. Nun weiß ich endlich, dass sie Mensch-ärgere-dich-nicht gerne spielt und es liebt, Bälle einfach in die Luft zu werfen und möglichst wieder aufzufangen.
Gestern war es hier einfach unerträglich heiß und ich empfinde das Szenario im Aufenthaltsraum mehr als bedrückend. So rufe ich in der Regel immer eine halbe Stunde vor meinem Kommen an, checke die Lage und lasse mir Frau H. fortbewegungsfähig machen und gestern schnappte ich mir die XXL-Ausfertigung von Mensch-ärgere-dich-nicht für Senioren und setzte mich mit ihr auf einen Schattenplatz der Dachterrasse. Dort ging ein leichter Wind, die Dame war noch in ihrem Zuhause und ich musste das Gekreisch, Geleier, Gesumm und die Gerüche nicht aushalten. Damit Ihr mich nicht falsch versteht: Ich liebe das Ehrenamt und bin regelmäßig in dem Heim, doch diese Station setzt mir einfach etwas zu - da sind die Extremfälle gerade potenziert und konzentriert auf einem Flecken einquartiert....
JEDENFALLS sitzen wir beide am Tisch, das Spielbrett vor uns und ich mache dem Team innerlich eine lange Nase, die mich gebeten haben, der Frau um Himmelsheiligenwillen den Becher Wasser zuzuführen und sie WILL EINFACH NICHT und es ist meine Aufgabe, den Menschen Gutes zu tun und das kleine Verwöhnprogramm zu liefern... Ich lasse das Wasser Wasser sein und beginne das Spiel mit ihr. Hierzu die Basics: Würfeln!
Wieder bekomme ich eine Lehrstunde des Lebens. Spiele mal ein Gesellschaftsspiel mit einem Menschen, der zwar im Außen den Stempel "Demenz" hat und im Innen, in dem, was für uns unsichtbar ist, ein klares Leben in seiner eigenen Welt führt und nach seinen Gesetzen lebt. Es klappte also nicht recht mit dem Würfeln. So setzte ich mich neben sie, zeigte ihr langsam und behutsam, wie das funktioniert, so einen Würfel (überdimensional groß) aufzuheben, mit den Fingern festzuhalten, vorsichtig die Hand umzuwenden, so dass der Würfel auf der Handinnenfläche zum Liegen kommt und ihn dann mit leichtem Schubs über den Tisch kullern zu lassen... Diesen Vorgang übte sie mit stiller Beharrlichkeit und ich musste dann irgendwann erkennen, dass die Spielkegel völlig unwichtig geworden waren und der Würfelvorgang ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Zwischendurch erinnerte sich das Gehirn daran, dass da ein Spiel aufgebaut steht und sie ein paar Züge tun muss. Manchmal mit meiner Figur und auch rückwärts - und doch wusste ihr Gedächtnis noch aus der Erinnerung, ab welcher Position bestimmte Zahlen gesetzt werden. Während dieser zwei Besuchsstunden überkam mich ein so zärtliches Gefühl für diese liebenswürdige Dame, das mir ganz nah ans Herz ging. Es war eine Stille über uns, ein Frieden und ein Miteinandersein - fast fiel es mir schwer, nach Hause zu fahren. Ich bin dem Verständnis zu dementen Menschen jedenfalls ein ganz großes Stück näher gekommen und dankbar darum.
Hayat