Gedichte, Geschichten, Zitate und Aphorismen für jeden Tag

  • Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.


    Dietrich Bonhoeffer

  • Bitte

    Wir werden eingetaucht

    und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen

    Wir werden durchnäßt

    bis auf die Herzhaut


    Der Wunsch nach der Landschaft

    diesseits der Tränengrenze

    taugt nicht

    der Wunsch den Blütenfrühling zu halten

    der Wunsch verschont zu bleiben

    taugt nicht


    Es taugt die Bitte,

    daß bei Sonnenaufgang die Taube

    den Zweig vom Ölbaum bringe

    Daß die Frucht so bunt wie die Blume sei

    daß noch die Blätter der Rose am Boden

    eine leuchtende Krone bilden


    Und daß wir aus der Flut

    daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen

    immer versehrter und immer heiler

    stets von neuem

    zu uns selbst

    entlassen werden.



    Hilde Domin

  • Habe Geduld gegen alles Ungelöste

    in deinem Herzen und versuche,

    die Fragen selbst liebzuhaben

    wie verschlossene Bücher,

    die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.


    Forsche jetzt nicht nach Antworten,

    die dir nicht gegeben werden können,

    weil du sie nicht leben kannst,

    und es handelt sich darum,

    alles zu leben.


    Lebe jetzt die Fragen -

    vielleicht lebst du dann allmählich

    ohne es zu merken

    eines fernen Tages

    in die Antwort hinein.


    Rainer Maria Rilke

  • Ich habe lange dedacht

    man muß Trauer überwinden.

    Aber die Trauer ist IMMER bei einem.

    Sie erinnert an den Wunderbaren Menschen,

    den ich verloren habe.

    Trauer kommt für mich aus dem gleichen Ort,

    wie die Liebe.


    Louise Brown

  • In Memoriam


    Wie ist die Zeit vergangen,

    seit du gestorben bist!

    Ich spüre ein Verlangen,

    das unerfüllbar ist,


    die Sehnsucht, gutzumachen,

    was falsch war und mißlang,

    zu weinen und zu lachen:

    Ich liebe dich. Hab Dank!


    Noch einmal mit dir sprechen,

    gereift aus langem Weh,

    den Bann des Schweigens brechen

    verstehender denn je.


    Wie wär es mit uns beiden,

    wärst du noch auf der Welt?

    Wie, zwischen Glück und Leiden,

    wär es um uns bestellt?


    Ein Trost wächst durch das Schwere,

    ernüchternd wunderbar:

    Es war so, wie es wäre,

    es wäre, wie es war.


    (Detlev Block)

  • Was die Erde mir geliehen,

    Fordert sie schon jetzt zurück.

    Naht sich, mir vom Leib zu ziehen

    Sanft entwindend Stück für Stück.

    Um so mehr, als ich gelitten,

    Um so schöner ward die Welt.

    Seltsam, daß, was ich erstritten,

    Sachte aus der Hand mir fällt.

    Um so leichter, als ich werde,

    Um so schwerer trag' ich mich.

    Kannst du mich, du feuchte Erde,

    Nicht entbehren? Frag ich dich.

    "Nein ich kann dich nicht entbehren,

    Muß aus dir ein' andern bauen,

    Muß mit dir ein' andern nähren,

    Soll sich auch die Welt anschauen.

    Doch getröste dich in Ruh'.

    Auch der andre, der bist du."


    Peter Rosegger

  • Das Bleibende im Wandel


    Der Kirschbaum blühte, schwarz war mein Haar,

    ich tanzte in der Gefährten Schar.


    Der Kirschbaum blühte, grau war mein Haar,

    und die Blüte war jung, wie sie damals war.


    Auf eines lächelnden Gottes Geheiß

    blüht er nun wieder.

    Mein Haar ward weiß.


    Aus dem Japanischen

  • Ich möchte diese Birke sein

    Die du so liebst:

    Hundert Arme hätt ich um dich zu schützen

    Hundert grüne und sanfte Hände

    Um dich zu streicheln!

    Ich hätte die besten Vögel der Welt

    Um dich bei Tagesanbruch zu wecken

    Und am Abend zu trösten

    In den Stunden des Sommers könnt ich dich

    Unter Blumenblättern aus Sonne verschütten

    In meinen Schatten hüllte ich zur Nacht

    Deine ängstlichen Träume …

    Ich wollte ich wär diese Birke

    Ivan Goll

  • Aus

    Claire Goll, Klage um Ivan:


    Mit jeder Wolke form ich dein Profil

    Jedem Kind schenk ich den Honig deiner Augen

    Jeder Blume eine deiner Zärtlichkeiten

    Jedem Lebewesen ein Echo

    Deiner unerschöpflichen Kosenamen

    Produkt von zehntausend Liebesnächten

    Heute mit ebensoviel Tränen bezahlt


    ...


    Immer träum ich davon dir nachzusterben:

    Aber eine künftige Rose

    Bedarf vielleicht meiner Tränen

    Um zu wachsen

  • Eternal Lights Flicker


    Eternal lights flicker


    In a distant sky.


    Where have you gone;


    Why did you die?




    I look to the heavens,


    Hoping to see you anew.


    Where have you gone?


    I'm searching for you.




    My painful cries


    Fill the dark of night.


    I need your arms


    To hold me tight.




    Where have you gone?


    Show me the place


    So I can once again see


    The smile on your face.




    I know you are in my heart,


    But I long to see your face.


    Memories of yesterday


    Leave only a trace.




    There's emptiness now


    That nothing can fill.


    I so need to find you


    So I, too, can be still.




    (Audrey Klatkiewicz)

  • Tränen

    Sie löschen das Feuer

    das in dir brennt


    Auf Befehl

    der bestürzten Sekunde

    rollen sie aus deinen Augen

    den Wangenweg herab


    Keiner kann sie aufhalten


    Sie fragen dich nicht

    um Erlaubnis


    Verläßliche Salztropfen

    deines inneres Meeres

    (aus: R.A.: Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977-1979, 1984)

  • Loslassen

    Loslassen bedeutet nicht vergessen,

    loslassen heißt nicht,

    nicht lieben,

    loslassen ist nicht negativ,

    loslassen ist nur,

    nicht mehr festhalten

    loslassen,

    im Jetzt sein,

    hier sein, die Vergangenheit loslassen,

    im Augenblick leben.

    Petra Timm-Bortz

  • Das Blau der Ferne klärt sich schon

    Vergeistigt und gelichtet

    Zu jenem süßen Zauberton,

    Den nur September dichtet.

    Der reife Sommer über Nacht

    Will sich zum Feste färben,

    Da alles in Vollendung lacht

    Und willig ist zu sterben.

    Entreiß dich, Seele nun der Zeit,

    Entreiß dich deiner Sorgen

    Und mache dich zum Flug bereit

    In den ersehnten Morgen.


    Hermann Hesse