
Gedichte, Geschichten, Zitate und Aphorismen für jeden Tag
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Bitte
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen
Wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut
Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht
der Wunsch den Blütenfrühling zu halten
der Wunsch verschont zu bleiben
taugt nicht
Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
Daß die Frucht so bunt wie die Blume sei
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden
Und daß wir aus der Flut
daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.
Hilde Domin
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Habe Geduld gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen und versuche,
die Fragen selbst liebzuhaben
wie verschlossene Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben kannst,
und es handelt sich darum,
alles zu leben.
Lebe jetzt die Fragen -
vielleicht lebst du dann allmählich
ohne es zu merken
eines fernen Tages
in die Antwort hinein.
Rainer Maria Rilke
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Welch wunderbare wahre Worte, genauso ist es ❤️🖤
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In Memoriam
Wie ist die Zeit vergangen,
seit du gestorben bist!
Ich spüre ein Verlangen,
das unerfüllbar ist,
die Sehnsucht, gutzumachen,
was falsch war und mißlang,
zu weinen und zu lachen:
Ich liebe dich. Hab Dank!
Noch einmal mit dir sprechen,
gereift aus langem Weh,
den Bann des Schweigens brechen
verstehender denn je.
Wie wär es mit uns beiden,
wärst du noch auf der Welt?
Wie, zwischen Glück und Leiden,
wär es um uns bestellt?
Ein Trost wächst durch das Schwere,
ernüchternd wunderbar:
Es war so, wie es wäre,
es wäre, wie es war.
(Detlev Block)
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Was die Erde mir geliehen,
Fordert sie schon jetzt zurück.
Naht sich, mir vom Leib zu ziehen
Sanft entwindend Stück für Stück.
Um so mehr, als ich gelitten,
Um so schöner ward die Welt.
Seltsam, daß, was ich erstritten,
Sachte aus der Hand mir fällt.
Um so leichter, als ich werde,
Um so schwerer trag' ich mich.
Kannst du mich, du feuchte Erde,
Nicht entbehren? Frag ich dich.
"Nein ich kann dich nicht entbehren,
Muß aus dir ein' andern bauen,
Muß mit dir ein' andern nähren,
Soll sich auch die Welt anschauen.
Doch getröste dich in Ruh'.
Auch der andre, der bist du."
Peter Rosegger
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Ich möchte diese Birke sein
Die du so liebst:
Hundert Arme hätt ich um dich zu schützen
Hundert grüne und sanfte Hände
Um dich zu streicheln!
Ich hätte die besten Vögel der Welt
Um dich bei Tagesanbruch zu wecken
Und am Abend zu trösten
In den Stunden des Sommers könnt ich dich
Unter Blumenblättern aus Sonne verschütten
In meinen Schatten hüllte ich zur Nacht
Deine ängstlichen Träume …
Ich wollte ich wär diese Birke
Ivan Goll
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Aus
Claire Goll, Klage um Ivan:
Mit jeder Wolke form ich dein Profil
Jedem Kind schenk ich den Honig deiner Augen
Jeder Blume eine deiner Zärtlichkeiten
Jedem Lebewesen ein Echo
Deiner unerschöpflichen Kosenamen
Produkt von zehntausend Liebesnächten
Heute mit ebensoviel Tränen bezahlt
...
Immer träum ich davon dir nachzusterben:
Aber eine künftige Rose
Bedarf vielleicht meiner Tränen
Um zu wachsen
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Eternal Lights Flicker
Eternal lights flicker
In a distant sky.
Where have you gone;
Why did you die?
I look to the heavens,
Hoping to see you anew.
Where have you gone?
I'm searching for you.
My painful cries
Fill the dark of night.
I need your arms
To hold me tight.
Where have you gone?
Show me the place
So I can once again see
The smile on your face.
I know you are in my heart,
But I long to see your face.
Memories of yesterday
Leave only a trace.
There's emptiness now
That nothing can fill.
I so need to find you
So I, too, can be still.
(Audrey Klatkiewicz)
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Tränen
Sie löschen das Feuer
das in dir brennt
Auf Befehl
der bestürzten Sekunde
rollen sie aus deinen Augen
den Wangenweg herab
Keiner kann sie aufhalten
Sie fragen dich nicht
um Erlaubnis
Verläßliche Salztropfen
deines inneres Meeres
(aus: R.A.: Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977-1979, 1984)
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Loslassen
Loslassen bedeutet nicht vergessen,
loslassen heißt nicht,
nicht lieben,
loslassen ist nicht negativ,
loslassen ist nur,
nicht mehr festhalten
loslassen,
im Jetzt sein,
hier sein, die Vergangenheit loslassen,
im Augenblick leben.
Petra Timm-Bortz
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Das Blau der Ferne klärt sich schon
Vergeistigt und gelichtet
Zu jenem süßen Zauberton,
Den nur September dichtet.
Der reife Sommer über Nacht
Will sich zum Feste färben,
Da alles in Vollendung lacht
Und willig ist zu sterben.
Entreiß dich, Seele nun der Zeit,
Entreiß dich deiner Sorgen
Und mache dich zum Flug bereit
In den ersehnten Morgen.
Hermann Hesse -