Liebe Alle,
es hat lange gedauert, bis auch ich meinen Weg als registriertes "Mitglied" hierher gefunden habe. Aber ich komme einfach nicht mehr zurecht und hier gibt es offensichtlich viele, denen es genauso geht wie mir (leider...)
Meine Mama wurde am 23.01.2020 in Krankenhaus eingeliefert. Sie hatte seit dem Sonntag zuvor diffuse Schmerzen gehabt, vor allem im linken Arm und im Oberbauch, hatte Übelkeit, war schwach und müde. Sie war Rheumatikerin und schon seit 2010 überwiegend bettlägerig, also riet man (Doc) ihr, es mit Cortison oder Novalgin zu versuchen. Am besagten 23.01. hatte ich eigentlich den Eindruck, es ginge endlich wieder bergauf. Doch der Hausarzt ließ sie sofort ins Krankenhaus einweisen. Sie war völlig irritiert und verzweifelt (da ich selbst eine Muskelerkrankung habe und wir zwei 18 Monate einer unfassbaren Odyssee mit entsprechenden Erfahrungen der Mediziner-Welt) und fragte, ob man diese Lungenentzündung, die der Arzt vermutete, nicht mit Antibiotika zuhause kurieren könne. Könnte man, aber das sei der letzte Versuch, den sie machen würde, war seine Antwort.
Ich war wie vorm Kopf gestoßen. Meine Mama, auf die ich so aufpasste, bei der ich jedes noch so kleine "Wehwehchen" sofort merkte, in tödlicher Gefahr? Es kamen kurz darauf mehrere Rettungssanitäter, die sie sofort verkabelten. Ich wurde aus dem Zimmer geschickt. Ich war nur am Heulen. Als sie meine Mama wegbrachten, brachte ich gerade mal ein "Ich komm sofort nach, ich liebe dich, alles wird gut" heraus, sah ihr nach und brach dann zusammen. Ich packte ein paar Sachen, sah nach unseren Katzen und gemeinsam mit einer Freundin, die ich angerufen hatte, fuhr ich dann in die Uniklinik.
Dort saßen wir etwa 4 Stunden, bis ich auf die ITS kam. Ich durfte sie nicht sehen. Kardiogener Schock, zweimal Katheter erfolglos, künstliches Koma. Ich solle mit dem schlimmsten rechnen.
Nach einer Woche schien sie auf dem Weg der Besserung. Sie war eine Kämpferin, das sagten sogar die Ärzte, die trotzdem bemüht waren, mich täglich auf den Ernst der Lage hinzuweisen (als ob ich das nicht mitbekommen hätte). Ich war optimistisch. Ich wusste, sie kämpfte, schon meinetwegen.
Dann näherte sich der 13.02. Sie bekam eine Lungenentzündung. Und ich wusste: sie schafft es nicht. Der 13.02., das ist auch der Todestag meiner Großmutter, die ebenfalls an einer Herzerkrankung starb. Und so wurde auch ich am 13.02. morgens angerufen, ich solle bitte in die Klinik kommen. Man hätte "kein Ziel mehr, auf das wir hinarbeiten können", durch die Medikamente seien nur noch "die Randgebiete" versorgt. Ich sollte entscheiden, ob die Maschinen abgeschaltet werden sollen.
Ihr Körper war so am Ende, dass sie schon eine halbe Stunde nach dem Abschalten verstarb. Die Ärzte versicherten mir, sie hätte keine Schmerzen gehabt und nichts gemerkt. Ich hoffe es inständig.
Und auch wie meine Großmutter 30 Jahre zuvor, wurde meine Mama am 20.02. beerdigt.
Ich verstehe nicht, was passiert ist. Warum das plötzlich so kam, warum niemand eher gemerkt hat, dass ihr Herz so krank war. "Weil sie eine chronisch kranke Frau war", antwortete unser Hausarzt.
Ich plage mich mit Vorwürfen. Sie hatte im Herbst 2019 in eine Klinik gewollt, verschob es aber, weil ich zu dem Zeitpunkt ins Krankenhaus musste - und ich kam bei ihr immer zuerst. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich es nicht rechtzeitig bemerkt habe. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich in den letzten Minuten, wo sie wach war, nicht bei ihr war.
Immer wieder tauchen die Bilder vor meinen Augen auf. Wie sie im Krankenhaus liegt. Lebend. Tot. Habe ich den falschen Ärzten vertraut? Hätte ich irgendetwas machen können, was sie gerettet hätte? Täglich war ich dort, in dieser Klinik, in der ich selbst schlechte Erfahrungen gemacht hatte, und sprach mit meiner Mama. Meine Mama, die mir mehr bedeutete als mein Leben, die mehr war, als "nur" meine Mama. Die meine beste Freundin war, mein anderes Ich, meine Lebensgefährtin. Wir zwei getrennt, das gab es nicht. Wir wohnten bis zum Schluss zusammen. Ich bin 28 Jahre alt, wir waren nie getrennt bis auf 2 Klassenfahrten und 2 Urlaube. Oft hatte ich sie angerufen, als sie gerade den Hörer in die Hand nahm, um mich anzurufen. Sätze mussten wir oft nicht zum Ende sprechen, wir wussten sowieso, was die andere sagen wollte. Nichts konnte die andere der anderen vormachen. Ging es der einen schlecht, merkte das die andere. So einfach war das.
Am 13.02. ist auch ein Teil von mir gestorben. Und so dachte ich: warum der andere Teil nicht auch noch? Ich weiß, dass meine Mama das nicht wollen würde. Ausschlaggebend dafür, dass ich noch lebe, sind unsere beiden Katzen, die unser Leben seit 17 Jahren treu begleiteten, auch jetzt mir immer beistehen und um die Wette schnurren, wenn ich mal wieder weine. Nein, die beiden darf ich nicht im Stich lassen.
Und doch: es ist so unsagbar schwer. Ich meine, ersticken zu müssen, so schmerzt der Verlust dieses wundervollen Menschens, der viel zu früh, mit gerade mal 66 Jahren, gehen musste. Wenn ich daran denke, dass ich im schlimmsten Fall noch mindestens 40 Jahre ohne sie leben muss, könnte ich laut schreien. Der Gedanke ist nicht auszuhalten. Es gibt Tage, da will ich unbedingt aus unserer Wohnung ausziehen, weg von den Erinnerungen, die mich schier umbringen. Dann, und das ist meistens, möchte ich niemals weg von genau diesen Erinnerungen.
Ich möchte gerne daran glauben, dass sie noch bei mir ist, und manchmal tue ich das auch. Doch dann werde ich traurig und wütend, weil es nicht mehr das gleiche ist. Weil ich ihr Lachen nicht höre, ihre schönen liebevollen Augen nicht mehr sehe, ihre weichen Hände nicht mehr berühren kann. Selbst jetzt beimTippen laufen mir unentwegt Tränen über's Gesicht und ich frage mich, wie lange ein Mensch das aushalten kann. Die Frage nach dem "Warum" geht mir nicht aus dem Kopf, auch wenn mir darauf natürlich niemand Antwort geben kann. Und dann dieses schreckliche Gefühl, dass sowieso niemand versteht, was ich durchmache. Dass niemand versteht, dass ich keinen Tag aufstehen möchte, dass ich die Sonne verfluche, dass sie scheint und dass ich nicht fassen kann, dass sich die Welt weiterdreht, obwohl sie für mich am 13.02. stehen geblieben ist.
An diesem unheilvollen Tag, dem 30. Todestag meiner Großmutter. Aus dem Nichts, einfach so, urplötzlich. Wir hatten so viel vor. Wir wollten zusammen nach Italien auswandern. Sie hatte so viel Lebensmut und Kraft, es war unvorstellbar. Trotz ihrer chronischen Schmerzen, sie hatte leben wollen. Warum durfte sie das nicht?
Ich kann nicht genau sagen, ob es mir hilft, das alles niederzuschreiben. Aber es tut doch irgendwie "gut", weil ich weiß, dass viele von euch das gleiche durchmachen mussten.
Ich grüße euch,
Alika